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Altersheime - eine letzte Chance

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Sie sagen: „Das Vorzimmer zum Tode“, und großteils haben sie recht: Nur wenige können rehabilitiert und für eine meist nur kurze Zeit wieder entlassen werden. Müssen deswegen aber die Tage oder Jahre, welche in Altersheimen durchlebt werden, sinn- und inhaltslos sein?

Die zuständigen Verantwortlichen haben längst erkannt, daß körperliche Ertüchtigung den Alterungsprozeß wesentlich hinausschieben kann und soll. Von einer Belebung der Körperfunktionen erwartet man sich dabei gleichzeitig eine größere innere Zufriedenheit der Pfleglinge. Aus diesem Grunde gibt es in fortschrittlichen Heimen Heilgymnastik, Ergotherapie, Wanderausflüge und ähnliches mehr. Das ist gut und sollte in noch verstärktem Maße eingesetzt werden. Allerdings verzögert es nur die Problematik. Der Zeitpunkt kommt unausweichlich, wo der Patient an das Bett gefesselt ist, nichts mehr tun kann, hilflos und oft sogar bewegungsunfähig ist. Was dann? Hat dann schmerzhaftes, depressives Dahinvegetieren noch einen Sinn? Wäre es nicht besser, ein mitfühlender Mensch würde diese Leiden beenden?

Letzteres ist ganz klar mit „Ja“ zu beantworten. Allerdings nur von jemandem, für den mit dem Tode alles aus ist. Wer sich im rein innerweltlichen Bereich bewegt, für den sind Gesundheit, materielle Zufriedenstellung, Nützlichkeit sowie Angst- und Schmerzlosigkeit die Kriterien lebenswerten Lebens. Sind diese nicht mehr gegeben, gilt der Satz: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Dieses führt man dann selbst herbei oder es erbarmt sich ein edler, gutmeinender aber geistig beschränkter Samariter...

Die Frage ist ganz klar aber auch mit „Nein“ zu beantworten. Allerdings nur von einem Menschen, der das körperliche'Leben als Teil größerer Zusammenhänge glaubt. Solche Menschen glauben an einen Schöpfer von Körper, Seele und Geist, sie glauben an eine vorgeburtliche Existenz, sie glauben, daß die 30, 60, 90 Jahre auf Erden eine besondere Bedeutung haben, sie glauben, daß nach dem Tode das Leben nicht zu Ende ist.

Trotz vielen Studierens, Prüfens und persönlicher, zweijähriger Yogapraxis habe ich bisher keine bessere Antwort gefunden als diese: Der Sinn des Lebens ist, Christus kennenzulernen; deswegen kommt der Mensch auf die Welt. Die Aufgabe des Lebens aber ist: Ein immer liebe-vollerer Mensch zu werden. Der Rest steht im Neuen Testament. Die Bergpredigt ist so bedeutend, daß'sie heute bereits von Menschen zitiert wird, die noch gar nicht an den auferstandenen, unter uns wirkenden Christus glauben. Seine Forderung der Zuneigung ist so bedeutend, daß sie heute bereits von atheistischen Menschen erhoben wird, die trotz brillanter Intelligenz und Vernunft am Ende ihrer Weisheit sind.

Was aber hat das alles mit Altersheimen zu tun? Viel. Denn gerade in den Alters- und Pflegeheimen liegen oder bewegen sich viele Menschen, die hier völlig auf sich selbst zurückgeworfen sind. Sie haben vieles aufgeben müssen: Den Beruf und seine Anerkennung; die Wohnung und ihre Behaglichkeit; die Beweglichkeit, welche sie unter die Leute, ins Theater oder zum Heurigen kommen ließ; die Kraft für den Haushalt, die Pflege, das Geschenkpackerl für die Enkel. Darunter leiden sie.

Sie fragen sich: Was habe ich falsch gemacht, daß ich jetzt hier gelandet bin? In einem Zimmer mit fünf bis acht Fremden, total dem Ärzte- und Pflegepersonal ausgeliefert. Wo in der Nacht der eine schnarcht, der andere Radio spielt, der dritte ruhelos herumgeistert und laut Selbstgespräche führt. Mögen auch Essen und medizinische Versorgung gut sein, so ist doch alles so unpersönlich und kalt. Hätte ich, um dem zu entkommen, ein anderes Leben führen müssen? Welches? Hätte ich weniger den materiellen Gütern nachgehen und von ihnen alles Glück erwarten sollen; hätte ich mir mehr Zeit für meine Familie nehmen sollen; hätte ich mich mehr um die Pflege meines Bekanntenkreises kümmern sollen?

„Wenn ich nochmals anfangen könnte, ich würde vieles anders machen.“ „Man müßte viel mehr Gutes tun, solange man es noch kann.“ Solche und ähnliche Sätze habe ich immer wieder gehört.

Viele verdrängen solche Gedanken. Bis zur Bösartigkeit halten sie an der eigenen Fehler- und Sündlo-sigkeit fest. Andere aber entdecken neue Dimensionen, öffnen sich in verstärktem Maße für die Gesetze der „Liebe“, der „Zuwendung“. Das ist schon viel, sagt doch die hl. Theresa von Avila: „Je mehr ihr in der Nächstenliebe fortschreitet, desto mehr werdet ihr die Gottesliebe entdecken.“

In den Altersheimen, die ich kenne, geschieht solches leider nicht allzu oft. Aber es geschieht. Ein Nachholprozeß setzt ein, der bis zum letzten Atemzug alle Möglichkeiten in sich birgt. Selbst wenn das Gehirn seine Funktion verliert, so sind die Gefühle immer noch intakt. Wer einmal einem verwirrten, bewegungslos daliegenden Menschen liebevoll die Hand gestreichelt hat, wer seine Entkrampfung und sein ruhigeres Atmen beobachtet hat, wird es bestätigen. Die Liebe findet selbst dort noch Zugang, wo alles andere tot zu sein scheint. Es ist ein großes Geheimnis um die Schule des Lebens. In Altersheimen ist durchaus die Chance gegeben, daß Menschen zu einem Umdenken, Umkehren und Neuwerden finden.

Aus all dem Gesagten ergeben sich nun mehrere Konsequenzen.

Erstens: So begrüßenswert ergo-therapeutische Maßnahmen sind, sie sollten immer im Hinblick auf das Eigentliche erfolgen: Gymnastik wird also nicht nur angeboten, damit man beweglicher bleibt, sondern damit ich meinen Mitpatienten - aber auch dem Hilfspersonal - besser dienen kann. Zum Beispiel beim Einsammeln der Kaffeeschalen, beim Begleiten eines Rollstuhls, beim Telefonieren für Bettlägerige und so weiter.

Oder: Töpfern sollte nicht zum Zeit totschlagen betrieben werden, sondern um andere damit zu beschenken, einen Sozialbasar zu beschicken und so weiter.

Das Denken und Tun kann damit zu einem Dienst am anderen werden. Auch der Hilflose im Bett bekommt durch den anderen eine

Zielrichtung und Aufgabe: Zumindest kann er zu den Bettnachbarn und dem Pflegepersonal freundlich sein, nicht wegen jedem Schmarrn die Glocke läuten, die Mitmenschen ärgern und auslaugen. Und das ist schon etwas Großes.

Der alte Mensch könnte so lernen, seine Mitmenschen voll Wohlwollen zu betrachten. Es ist die letzte Chance, dies nachzulernen.

Und zweitens: Es müßte in den Altersheimen irgendwer ganz klar von Christus sprechen. Innere Sehnsucht und Bereitschaft sind vielfach vorhanden. Aber diese Gelegenheit wird so wenig genutzt. Altersheime könnten auch so gesehen werden, als Chance - auch als die eigene.

Der Autor besuchte in den letzten 14 Jahren rund 350 Mal mit Gruppen junger Menschen mehrere Altersheime.

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