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Altersschwach nach Tagen

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Der Wiener Karl von Frisch war nicht nur ein großer Forscher, sondern auch ein Autor von Rang. Einer seiner Schüler aktualisierte seine klassische Einführung in die Biologie.

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Der Wiener Karl von Frisch war nicht nur ein großer Forscher, sondern auch ein Autor von Rang. Einer seiner Schüler aktualisierte seine klassische Einführung in die Biologie.

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Auch beschützt vor jeder Gefahr, unter günstigsten Bedingungen, kommt für Mensch, Tier und Pflanze eine Zeit, wo sie altersschwach werden und schließlich eines „natürlichen Todes“ sterben — beim Menschen nach etwa achtzig bis neunzig Jahren, bei manchen Tieren sehr viel früher.

Aber durch die Eintagsfliegen dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Wenn diese als geflügelte Insekten oft schon nach wenigen Stunden sterben, so haben sie doch vorher als Larven im Wasser eine Jugendzeit von vielen Monaten, ja auch von mehreren Jahren verbracht.

Doch manche Würmer sterben wirklich einige Tage, nachdem sie aus dem Ei gekrochen sind, an Altersschwäche, manche Fliegen nach wenigen Wochen, die meisten Käfter nach einigen Monaten. Andere Insekten werden einige Jahre alt, die Königinnen mancher Ameisenarten zwanzig bis dreißig Jahre, die Weinbergschnecke sechs bis sieben Jahre. Hunde zehn bis fünfzehn, Hühner fünfzehn bis zwanzig, Tauben vierzig bis fünfzig, Papageien und Elefanten über 75 Jahre, und so hat jede Art ihr natürliches Alter innerhalb gewisser Grenzen.

Der Mensch darf sich nicht einbilden, daß er es darin am weitesten gebracht hat. Die Riesenschildkröten “können mehr als zweihundert Jahre alt werden. Noch größere Verschiedenheiten berichten uns die Botaniker aus ihrem Reich, wo manche Bäume ein Alter von mehreren tausend Jahren erlangen, wie bei uns die Eiben, wie die Zedern des Libanon oder gar die berühmten Mammutbäume Kaliforniens. Nicht menschliche Generationen, sondern menschliche Kulturperioden sind gekommen und vergangen in der Lebenszeit eines solchen Baumriesen; doch endlich altert auch er.

Nach dieser kurzen Abschweifung über Lebensdauer und Tod stellen wimoch einmal die Frage, was denn Leben von der leblosen Welt unterscheidet. Die wichtigsten Kennzeichen des Lebens seien hier lediglich stichwortartig genannt; spätere Kapitel werden dazu noch ausführlich berichten. Wachstum und Entwicklung wären da zu nennen, wenn sich also aus einem befruchteten Keim nach einem festgelegten Programm das geschlechtsreife Individuum entwickelt. Stoffwechsel ist eine andere Sonderleistung der Lebewesen, darunter versteht man die Fähigkeit, Stoffe aus der Umwelt aufzunehmen und zu körpereigenem Material umzubauen und dabei Energie für alle Lebensprozesse zu gewinnen:

Fortpflanzung wäre ein weiteres Kennzeichen des Lebens, eng verknüpft mit strengen Gesetzen der Vererbung. Schließlich wäre als Privileg der Lebewesen die Erregbarkeit zu nennen, das heißt, bestimmte Reize der Umwelt durch Sinnesorgane in ein Signal zu übersetzen, das dann den höheren Zentren zur weiteren Verarbeitung zugeleitet wird.

An dieser Stelle sei in aller Kürze auf zwei weitere Kennzeichen des Lebens hingewiesen, die man gern übersieht und als nicht so wichtig betrachtet: „Adaptabili-tät“, das heißt Anpassung und „Individualität“. Bewegung, Wachstum, Stoffwechsel, Vermehrung werden letztlich in den Dienst einer Fähigkeit der Lebewesen gestellt, die eine großartige Leistung des Lebens insgesamt darstellt und ihm seine Existenz seit dreieinhalb Milliarden Jahren auf diesem Erdball sichert: Die Kunst, sich an die wechselnden Umweltbedingungen anzupassen. Ob warm oder kalt, ob Regen oder Sonnenschein, das Leben geht weiter. Wir haben im Winter und Sommer eine konstante Bluttemperatur, ob wir einen Berg besteigen, Holz sägen oder faul in der Wiese liegen; auch Blutzucker, Sauerstoffgehalt des Blutes, Blutdruck passen sich solchen Extremen an. Es gibt Lebewesen im ewigen Eis und im mageren heißen Sand der Sahara. Der Lachs wandert von den Süßwasserflüssen ins Meer hinaus und kommt nach Jahren wieder in seine Heimatgewässer zurück; dies erfordert eine Umstellung des gesamten Salzhaushaltes, eine Osmoregulation, die dem Biochemiker ein Staunen abzwingt.

Der Fachmann spricht von einem Fließgleichgewicht, das heißt, daß lebenswichtige Prozesse auch unter wechselnden Außenbedingungen, also wechselnder Temperatur und Feuchtigkeit, in einem Gleichgewicht gehalten werden. Dieses Fließgleichgewicht finden wir nicht nur in der einzelnen Zelle, in jedem Organ und in jedem Lebewesen, sondern auch in der gegenseitigen Auseinandersetzung einer

Population in ihrem Lebensraum. Ein eigenes Gebiet der Biologie, die Ökologie, befaßt sich mit diesem Gleichgewicht, wo Nahrung und Nistmöglichkeit aufzutreiben sind, wo Räuber und Beute sich die Waage halten, wo Regulationsmechanismen dafür garantieren, daß eine Uberbevölkerung frühzeitig abgewendet wird.

Wieviel Mißverständnis, wieviel Leid und Ärger ließen sich aus der Welt schaffen, würden wir ein weiteres wesentliches Kennzeichen des Lebens nicht nur von der negativen, sondern mehr von der positiven Seite sehen: die Individualitätaller Lebewesen. Daß kein Lebewesen, ob Tier oder Pflanze, mit dem anderen identisch ist, sollte uns nachdenken lassen, welcher biologische Sinn, welche Idee der Evolution dahintersteckt.

Gekürzt aus: „Du und das Leben“ von Karl von Frisch, neu bearbeitet von Martin Lindauer. Ullstein, Berlin 1988. 424 Seiten, viele Bilder, Ln.. öS 310,50.

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