6798476-1971_22_04.jpg
Digital In Arbeit

Altes Uemauer

19451960198020002020

Die sozialistische Internationale tritt heuer in das zweite Jahrhundert ihres Bestehens. Sie ist ein ehrwürdiges Relikt aus der sozialdemokratischen Kämpferzeit der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Aber die altersbedingten Abnützungserscheinungen haben diesen ideologischen Staatenbund zu einem baufälligen, ja einsturzgefährdeten Gemäuer gemacht.

19451960198020002020

Die sozialistische Internationale tritt heuer in das zweite Jahrhundert ihres Bestehens. Sie ist ein ehrwürdiges Relikt aus der sozialdemokratischen Kämpferzeit der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Aber die altersbedingten Abnützungserscheinungen haben diesen ideologischen Staatenbund zu einem baufälligen, ja einsturzgefährdeten Gemäuer gemacht.

Werbung
Werbung
Werbung

„Es wäre falsch, nicht zu erkennen, daß Not und Elend des Proletariate, daß Mangel und Rechtlosigkeit im Frühkapitalismus stärkere Anreize zu internationaler Solidarität boten als Wohlstand und gehobener Lebensstandard. Der Wohlfahrtsstaat und das Vorhandensein der staatsbürgerlichen Rechte in der parlamentarischen Demokratie bieten umgekehrt stärkere Anreize zu nationaler Ent- ideologisierung, internationaler Indifferenz und zu neuen Erscheinungen eines trägen und inaktiven Neopatriotismus oder Neonationalismus“, klagt deshalb SPÖ-Parteiideologe Czernetz über den langsamen Niedergang dieser Bewegung.

In den Augen des Präsidenten der

Internationale, des österreichischen Exvizekanzlems Dr. Piittermann, hat die Stimme der „Internationale“ noch immer Gewicht. Die nackten Zahlen geben ihm recht:

Am Beginn des 2. Jahrhunderts ihrer Existenz umfaßt die „Sozialistische Internationale“ 52 Parteien auf allen Kontinenten. Zusammengefaßt vertreten diese Parteien etwa 15 Millionen Mitglieder und können mit der Unterstützung von 80 Millionen Wählern rechnen. In nahezu allen demokratischen Staaten haben wenigstens zeitweise Sozialdemokraten Regierungsverantwortung getragen, und gegenwärtig leben weit mehr als 200 Millionen Menschen in Ländern, in denen Sozialdemokraten alleinige Träger der Regierungsmacht oder Koalitiosnpartner sind. Im Gegensatz zur „Kommunistischen Internationale“ ist das Statut der Sozialisten demokratisch aufgebaut. Das Recht, an Diskussionen und Abstimmungen teilzunehmen, haben alle Parteien, die die Verpflichtungen anerkennen und Mitgliedsbeiträge abführen.

Abg. Czernetz, der oft als Altmarxist und Bürgerschreck eingestufte Chef des sozialistischen Bildungsreferates, sieht heute die

Hauptschwächen in der Organisation der „Internationale". Der Ausbau der Regionalsekretariate, vor allem in Lateinamerika, würde eine Betreuung und Bearbeitung der bisher vernachlässigten Gebiete wesentlich erleichtern.

Während Czernetz und Pittenmann alles versuchen, um das Image der Internationale wieder aufzupäppeln, wendet sich Bundeskanzler Kreisky von ihr ab. Er braucht offensichtlich den Rat der ausländischen Kollegen, sieht man von Brandt und Palme ab, weniger. Er will offensichtlich eine eigenständige Politik machen, die in den Augen so mancher Genossen schon viel zu blaßrosa ist.

Die „Sozialistische Internationale“ ist nun aber keineswegs tot So soll es angeblich geheime Absprachen geben, die Verteidigungsbereitschaft in Europa zu reduzieren. Tatsächlich gibt es ja auch in der SPÖ die weitverbreitete Ansicht, das Heer solle so klein wie möglich gehalten werden und das Heeresbudget sei ein Budgetposten, den man anderweitig besser einsetzen könnte.

Interessant in diesein Zusammenhang ist auch, daß das Mutterland der „Sozialistischen Internationale“, Großbritannien, unter der sozialistischen Regierung Wilson wohl die schwächste Armee besaß, die es je hatte, so daß damals ernstlich Vergleiche mit der Wehrkraft der Schweiz gezogen wurden.

Eine Politik der Schwächung der Verteidigungsbereitschaft, wie sie offenbar von der „Sozialistischen Internationale“ betrieben wird, würde aber die langsame, aber sichere Gefährdung Europas durch den Kommunismus verstärken.

Viel entscheidender aber ist für die Internationale heute die Schlacht um die Dritte Welt. Dazu Czernetz: „Immer wichtiger wird die größere Zusammenfassung, die weiter um spannende Sammlung der dem Sozialismus verwandten Kräfte.“ Das sind in den ehemaligen Kolonialländern vor allem sogenannte „antiimperialistische“, Sozialrevolutionäre und nationaldemokratische Parteien. Solche Parteien werden bereits heute als „Beobachter“ bei der Internationale zugelassen, wie etwa die indische „Praja“-Partei. In ein loses Verhältnis strebt derzeit auch die Partei des (marxistischen) Chile- Präsidenten Allende.

Der Österreicher Czernetz schlägt deshalb in der letzten „Zukunft“ eine „Weltallianz“ vor, die die Aufgaben der Internationale übernehmen könnte, wenngleich sie kein Ersatz für die Internationale sein dürfte. Die Abgrenzung für die österreichischen Sozialisten (sie stellen nicht nur den Präsidenten der Internationale, sondern auch den Generalsekretär) ist und bleibt aber eindeutig: keine Kooperation mit faschistischen oder kommunistischen Bewegungen.

Daß diese Abgrenzung im Zweifelsfall gerade mit Parteien aus der Dritten Welt nicht immer einfach sein wird, ist allerdings offensichtlich. Der Demokratiebegriff ist weitgespannt zwischen Hongkong und Santiago de Chile.

Und für viele Parteien, die dem demokratischen Sozialismus nahestehen, ist das Schwanken zwischen den Blöcken symptomatisch. Schwanken zwischen den Blöcken aber heißt auch, manchmal doch ein wenig nach Moskau zu blicken.

Denn auch diese Frage ist innerhalb der sozialistischen Bewegung nicht ausdiskutiert: Wo stehen die Jusos, die Jugendlichen einer Neuen Linken, die zum Großteil in den sozialdemokratischen Bewegungen Europas organisiert sind? Schauen sie sogar mit einem Auge nach Peking?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung