6865810-1978_02_16.jpg
Digital In Arbeit

Am Anfang steht der „Hasch“ -die „Harten“ sind im Vormarsch

19451960198020002020

„Mit Drogen Mädchen zur Prostitution gezwungen*^, „Suchtgift gestohlen und verkauft“, „Mauerdurchbruch für Morphium“ ... Solche und ähnliche Schlagzeilen sind in ihrer Aufmachung und Regelmäßigkeit in den österreichischen Tageszeitungen nicht zu übersehen. Kaum zu glauben, daß die mit der Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität befaßte Abteilung des Innenministeriums kürzlich erklärte, der Suchtgiftmißbrauch in Osterreich sei 1976 leicht rückläufig gewesen. Auf den ersten Blick scheint das sogar zu stimmen: mit 2211 liegt die Zahl der Fälle tatsächlich um 176 unter der Vorjahrsmarke.

19451960198020002020

„Mit Drogen Mädchen zur Prostitution gezwungen*^, „Suchtgift gestohlen und verkauft“, „Mauerdurchbruch für Morphium“ ... Solche und ähnliche Schlagzeilen sind in ihrer Aufmachung und Regelmäßigkeit in den österreichischen Tageszeitungen nicht zu übersehen. Kaum zu glauben, daß die mit der Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität befaßte Abteilung des Innenministeriums kürzlich erklärte, der Suchtgiftmißbrauch in Osterreich sei 1976 leicht rückläufig gewesen. Auf den ersten Blick scheint das sogar zu stimmen: mit 2211 liegt die Zahl der Fälle tatsächlich um 176 unter der Vorjahrsmarke.

Werbung
Werbung
Werbung

Nähere Angaben lassen die Freude darüber jedoch sofort ersterben. 80 Prozent der gemeldeten Fälle von Drogenmißbrauch liegen in der Altersgruppe der 18- bis 25jährigen - jeweils die Hälfte von 18 bis 21 und von 21 bis 25 Jahren -, etwas über zehn Prozent bei den über 25jährigen und fast ebenso viele allein bei den 14-. bis 18jährigen. Ergänzend bestätigt Primarius Rudolf Mader, der Leiter für Alkohol- und Suchtgiftkranke in Wien-Kalksburg, einen Trend zu „harten“ Drogen, in erster Linie Heroin, dem sich immer mehr jüngere Menschen zuwenden.

Dazu kommt, daß die Dunkelziffer -die polizeilich nicht bekannten Fälle von Drogenmißbrauch - mindestens doppelt so hoch ist und daß, wie Min.-Rat Herbert Fuchs vom Innenministerium meint, die Differenzierung zwischen städtischem und ländlichem Raum längst nicht mehr stimmt. Auch diese Feststellung läßt sich durch Zahlen belegen, wobei die unterschiedliche Einwohnerzahl der einzelnen Bundesländer zu berücksichtigen ist. 1976 wurden in Wien 575, in Oberösterreich 474, in Tirol 213, in Salzburg 200, in Niederösterreich 195, in der Steiermark 186, in Kärnten 139, im Burgenland 129 und in Vorarlberg 106 Fälle von Drogenmißbrauch angezeigt. Gegenwärtig breite sich der Drogenmißbrauch allerdings im Westen Österreichs besonders aus.

Etwa ein Drittel der Anzeigen in Wien erfolgt nach Paragraph 6 des Suchtgiftgesetzes, wonach der Handel und der Besitz größerer Mengen („Wenn die Menge ausreicht, um etwa dreißig Personen zu versorgen“) bestraft wird. Die Haupttätigkeit der Polizei richtet sich gegen Händler, die nach ihrer Verurteüung in die Strafanstalt Stein kommen. Da Österreich nur ein Transitland ist, sind diese Fälle eher selten. Der weitaus größte Teil, zwei Drittel der Angezeigten, sind Konsumenten (Paragraph 9 des Suchtgiftgesetzes) und in den meisten Fällen bereits Süchtige. Die DunkelZiffer ist hier besonders hoch, sind Polizeirat Felir Schödl und Dr. Werner Keuth vom Wiener Rauschgiftdezernat überzeugt. Konsum und geringer Besitz ohne Handel werden dann nicht verurteilt, wenn die Betroffenen bereit sind, sich einer Entwöhnung und therapeutischen Behandlung zu unterziehen. Das gilt auch für Jugendliche bis zu 18 Jahren, die beim Jugendgerichtshof angezeigt werden. 1976 standen 15 Jugendliche als Händler und 72 als Konsumenten vor dem Richter.

Min.-Rat Maria Freihofner vom Ge-suridheitsministerium schätzt die Zahl der Süchtigen in Österreich auf 5000. ■1976 haben sich aber nur 763 in ganz Österreich einer Entwöhnung und Behandlung unterzogen. Daß der Drogenmißbrauch in erster Linie ein sozialpsychologisches Problem ist, beweist die Tatsache, daß es sich bei 40 Prozent der bekannten Fälle um Beschäftigungslose gehandelt hat.

Die Möglichkeit zur freiwilligen Therapie ist auch der Grund dafür, daß die Zahl der als Konsumenten Verurteilten und in der Sonderanstalt Favoriten Inhaftierten relativ klein ist. Die aus ganz Österreich kommenden Insassen bleiben hier zwischen sechs und achtzehn Monaten. Während dieser Zeit wird auf die therapeutische Betreuung viel Wert gelegt, betont Dr. Wolfgang Gratz, der Leiter der Anstalt. Da es sich bei den wegen Suchtgiftkonsum Verurteilten keineswegs um raffinierte Kriminelle handelt, sondern in erster Linie um in ihrer Sozialisation schwer gestörte Personen, wären seiner Meinung nach Übergangseinrichtungen sinnvoller.

Die erste Position bei den Drogen nimmt immer noch Haschisch ein, doch schon an zweiter Stelle steht Heroin, das immer häufiger zu Todesoder zumindest zu hoffnungslosen Fällen führt. Morphium, LSD und eine Reihe von Beruhigungsmitteln ergänzen die Liste von Suchtgiften, für die junge Menschen Rezepte fälschen und in Apotheken einbrechen. Hier liegt auch ein Kernproblem des Drogenmißbrauches, denn der Konsum von Drogen stellt bereits eine strafbare Handlung dar, und auf die Dauer ist der Erwerb von Drogen ohne kriminelle Handlung nicht möglich.

Die Kriminalisierung beginnt schon beim landläufig als harmlos bezeichneten Haschisch. Der Kontakt mit Rauschgift-Kreisen und das „Erlernen“ von süchtigem Verhalten bilden die Grundlage dafür. 80 Prozent der „harten“ Süchtigen haben mit Haschisch begonnen, nur wenige bleiben auf die Dauer dabei stehen, kann Univ.-Prof. Kornelius Kryspin-Exner, der bis 1975 die Drogenstation in Kalksburg geleitet hat, aus Erfahrung sagen. Ganz abgesehen davon, daß jeder körperlich und psychisch anders reagiert. Es gibt neben organischen Schäden auch Haschischpsychosen und Haschischverblödung. Daß einzelne, ohne es zu wissen, schon nach der ersten Einnahme von Heroin süchtig sind, ist ebenfalls viel zu wenig bekannt, ebenso der „Toleranzbruch“, wo aus Gewöhnung Sucht wird, erläutert Primarius Mader.

Ursprünglich waren Drogen ein Zeichen des Protestes junger Intelek-tueller gegen die bestehende Gesellschaft. Die Drogen-Welle nahm ihren Ausgang im Zusammenhang mit den Studentenrevolten von 1968 und kam mit Verpätung und abgeschwächt zu Beginn der Siebzigerjahre nach Österreich. Auch hier waren es in erster Linie Studenten, die mit Drogen begannen. Seit dem Höhepunkt 1974 stagniert die Zahl der Süchtigen. Allerdings ist es heute kein Merkmal des intellektuellen Protestes mehr, sondern immer deutlicher ein sozialpsychologisches Problem. Ungebüdete junge Menschen und vor allem Jugendliche in der Pubertät aus gestörten Familienverhältnissen sind drogenanfällig. Die bekannten Fälle würden den Schluß zulassen, daß Drogenmißbrauch in erster Linie ein „Unter-schichf-Symptom ist. Allgemein wird jedoch vermutet, daß die Dunkelziffer besonders die Mittel-, aber auch die Oberschicht betrifft. Dort gelingt es eher, unauffällig zu bleiben oder die Angelegenheit zu vertuschen. Reiche Eltern schicken ihre drogensüchtigen Kinder gerne in Sanatorien in die Schweiz..

Daß die Schule nur wenig tun kann, darüber sind alle einig, die mit dem Rauschgiftproblem zu tun haben. Es gibt zwar jedes Jahr eine vom Gesundheitsministerium veranstaltete Suchtgiftwoche über Alkohol, Nikotin und Rauschgift, während der Lichtbilder gezeigt und verstärkte Aufklärung geboten wird. Es gibt auch einen „Bund für suchtgiftfreie Jugenderziehung in Österreich“, bei dem eine Reihe von Unterrichtsmaterialien kostenlos für jede Alterstufe zur Verfügung stehen. Daß diese Materialien von den Schulen viel zu wenig angefordert werden, wie Maria Petsch, die langjährige Leiterin des Bundes, feststellt, ist nur ein Zeichen für das Dilemma, in dem sich die Schulen befinden. „Je mehr man über Rauschgift spricht, desto mehr macht man darauf aufmerksam“, ist die herrschende Meinung. 108 bekannte Fälle von Schülern, die Drogen nehmen, sind, jedoch bedenklich. Min.-Rat Dr. Heinrich Schwarz, der im Unterrichtsministerium in dieser Frage für den Schulbereich zuständig ist, sieht die Schuld in erster Linie in der Gesellschaftsstruktur, in der Konsumgesellschaft, bei Eltern, die selbst rauchen und trinken, in Filmen, in denen die Rauschgiftszene brutal ausgespielt wird.

Das Versagen der Familie, der Väter und Mütter hat (viel zu wenige!) Institutionen entstehen lassen, die sich der Süchtigen annahmen. Ihre Chancen sind gering, weil es wieder die gestörte Familie ist, die dem Entwöhnten eine wirkliche Resozialisierung unmöglich macht. Da sie nur selten Arbeitsplätze bekommen, noch seltener eine Wohnung, die Familie sich nicht um sie kümmert, werden die meisten Entwöhnten rückfällig, weü ihre Drogen-Gruppe die einzige ist, die ihnen Schutz, Geborgenheit, „Kameradschaft“ und Kontakt bietet. Da hat etwa Dr. Heinz Wüfing, der das Referat Psychohygiene des Gesundheitsamtes der Stadt Wien leitet, bittere Erfahrungen gemacht. Oder Dr. Günther Pernhaupt, der die Drogenstation in Kalksburg seit 1975 leitet. Die 16 freiwilligen Insassen der Station, die von insgesamt acht Therapeuten mindestens ein halbes Jahr betreut werden, sind sorgfältig ausgewählt - sie sind die mit größter Wahrscheinlichkeit heübaren Fälle. Aus Platzmangel können nicht alle aufgenommen werden. Trotzdem wird nur etwa ein Fünftel mit Erfolg behandeltDas Schwergewicht der Behandlung liegt auf Gruppenpsychotherapie, aber auch Einzel-, Beschäftigungs- und Arbeitstherapie gehören dazu.

Charakteristische Voraussetzungen für die Neigung zu Drogen sind eine große Sensibilität, Depressionen, aber auch die Ablehnung der Mann- oder Frauenrolle, beim Patienten selbst, sowie in der „Umwelt“, depressive Mütter und gleichgültige, aber autoritäre Väter ohne Kontakt zu den Kindern. Die Drogen-Symptome rechtzeitig zu erkennen, ist schwierig. Sie ähneln in vielem dem Verhalten während der Pubertät: Stimmungsschwankungen, mangelnde Gesprächsbereitschaft mit den Eltern, Depression, Passivität, Aggression,*Nachlassen der schulischen oder Arbeitsleistungen Familientherapie, die Behandlung gestörter Familien wären die beste Vorbeugung für Drogenmißbrauch, betont Dr. Pernhaupt, der auch eine Zweigstelle der Bewährungshilfe für Drogengefährdete, den Klub „Chan-ge“ leitet.

Eine Wohngemeinschaft, die sich der noch „leichteren“ Drogenfälle annimmt, ist die 1973 in Innsbruck entstandene KIT (Kontaktrlnformation-Therapie). Sie nimmt bis zu 14 drogengefährdete Jugendliche auf und sieht ihre Hautauf gäbe in der Sozialisierung der Entwöhnten. Die Leiter des KIT sind Laienhelfer, die ärztliche Betreuung hat Prof. Kryspin-Exner, heute Vorstand der Innsbrucker Universi-täts-Nervenklinik, übernommen. Er verzeichnet im westlichen Österreich einen zunehmenden Drogenmißbrauch von Kindern unter vierzehn Jahren und einen steigenden Trend zu harten Drogen auch in „besseren“ Kreisen.

Der Einwand, daß der Drogenkonsum, verglichen mit dem Alkohol, nur ein Randproblem darstellt, stimmt vielleicht rein zahlenmäßig, keinesfalls aber, was die Auswirkungen betrifft. Hoffnungslose Fälle bei Alkoholikern sind relativ selten, Drogen greifen erheblich stärker in die Persönlichkeitsstruktur ein, die (Selbst)Zer-störung ist viel häufiger eine totale. 5000 Süchtige, also zum großen Teü hoffnungslose Fälle von Jugendlichen, sind genau um 5000 zuviel.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung