6822636-1973_45_20.jpg
Digital In Arbeit

Am Atlantik sterben Riesen

Werbung
Werbung
Werbung

Noch vor wenigen Jahren konnte man hören und lesen, der Jumbo-Jet sei um mindestens ein Jahrzehnt zu früh eingesetzt worden. Heute verkehren auf immer mehr Langstrek-ken volle oder fast volle Jumbos. Der Luftverkehr hat in den letzten Jahren in einem Ausmaß zugenommen, das man vorher — in diesem Zeitraum — kaum für möglich gehalten hätte. Und er wird weiter wachsen — wobei der schärfste Konkurrenzkampf auf den am stärksten beflo-genen Routen, nämlich vor allem auf der Nordatlantikstrecke zwischen

Europa und den USA, stattfinden wird.

Das Flugzeug hat hier das Passagierschiff total verdrängt und wird nun seinerseits dem Schiff immer ähnlicher. Die Reise in den großen Kabinen der modernen Großflugzeuge ähnelt immer mehr der Uberfahrt an Bord eines Schiffes und hat immer weniger mit dem Abenteuer des Fliegens, wie man es selbst noch im Zeitalter der Nachkriegsflugzeuge, der letzten Propellermaschinen, erlebte, gemeinsam.

Dabei hat, wie schon so manches Mal in der Geschichte, die Schnelligkeit, mit der eine sich zunächst langsam anbahnende Entwicklung schließlich ablief, wieder einmal alle Beteiligten überrascht — die Opfer der Entwicklung ebenso wie jene, die sie vorangetrieben hatten. Der Luftverkehr über dem Nordatlantik wuchs im letzten Jahrzehnt mit der Unaufhaltsamkeit eines Naturereignisses, für dessen Teilnehmer oft genug Wohl und Wehe von der Richtigkeit der Entscheidungen abhing, die sie trafen.

Mit welchem Tempo technische und wirtschaftliche Entwicklung et-

wa auf eine Fluggesellschaft von — im internationalen Vergleich — mittlerer Größe wie die Swissair zurollte und welche Voraussicht dem Management abverlangt wurde, geht schon allein daraus hervor, daß nur wenig mehr als drei Jahre nach dem letzten Passagierflug einer Swissair-Maschine der Type Convair 440 (mit Propellern) der erste Swissair-Jumbo der Type Boeing 747 in Zürich landete, und daß die Aufnahme des regelmäßigen Swissair-Transatlantik-dienstes zwischen Zürich und New York wenig mehr als zwei Jahrzehn-

te zurücklag, als der Elefant den Vogel ablöste.

Mehrere Kilometer unter dem „Lebensraum“ der Flugzeuge ging in den Jahren, in denen der Luftverkehr „explodierte“, das Sterben der großen Ozeanschiffe weiter. Gut hundert Jahre hat ihre Ära gedauert. Ein Schiff wie die „United States“, das 1952 seine Jungfernfahrt absolvierte — das Schiff der Superlative zi ner Zeit — wartet, heute längst „ gemottet“ auf den Sankt-Nin leins-Tag. Die Schiffe der Superlative unserer Zeit sind die Boeing 747 und die DC 10, deren jede pro Jahr mehr Passagiere über den Ozean befördert als mehrere schwimmende Paläste von einst. Denn sie haben nicht nur einen größeren Fassungsraum, sondern fliegen auch unabhängiger vom Wetter als jedes Flugzeug zuvor, angetrieben von Düsenaggregaten von nie vorher gekannter Verläßlichkeit. Der Komfort in jedem dieser Swissair-Flugzeuge ist überreichlich, verglichen mit der Enge einer Propellermaschine, und . die Reise ruhiger als mit jedem anderen von Menschen erfundenen Verkehrsmittel.

Die Luftriesen waren bereits in Planung, als eine Reederei wie die „Societä Italiana“ noch zwei Superpassagierschiffe in Dienst stellte: Die „Michelangelo“ und die „Raffaelo“. Wer diesen eleganten Geschöpfen der Meere bei ihrer Jungfemfahrt die Pleite vorausgesagt hätte, zu der es dann tatsächlich kam, hätte als notorischer Schwarzseher gegolten. Heute verschlingt der Betrieb der stets viel zu schwach besetzten Schiffe Unsummen aus der Staatskasse. Da bei ihrer Planung niemand hatte glauben wollen, daß längst nicht mehr die Jahre, sondern bereits die Monate der Dampfschiffära gezählt waren, schied auch die in anderen Fällen rettende Möglichkeit aus, sie zu Kreuzfahrten umzufunktionieren, denn mit ihrer Größe und ihrem Tiefgang sind sie für den Atlantik bestimmt und passen nicht in die kleinen Häfen des Mittelmeeres und der Karibischen See, wohin es das Kreuzfahrtpublikum lockt.

Heute reisen nur noch Sonderlinge, die Angst vor dem Fliegen haben, mit dem Schiff, und allenfalls noch der eine oder andere Demonstrativ-Individualist — so wurde allenthalben als Kuriosum vermerkt, daß Günter Grass nicht mit dem Flugzeug, sondern mit dem Schiff zu einer Tagung der Gruppe 47 in die USA reiste (und auch prompt in einen schweren Sturm geriet, der selbst dem großen Dampfer arg zusetzte).

Dabei bedeutete schon die Geburt der großen Dampfer ein Todesurteil für die Beförderungsmittel der Vergangenheit — nämlich die Segelschiffe, die allerdings viel langsamer ausstarben. Auch war der Ubergang vom Segel zur Dampfmaschine viel gleitender. Die frühen Dampfer waren kaum noch -als Segler mit einer Hilfsmaschine, die Dampfer der ersten Generation sogar vollwertige Segelschiffe, die manchmal, nach einem Maschinenausfall, unter dem Wind schneller vorankamen als mit Hilfe ihrer mächtigen Räder (die Schiffsschraube, auch „archimedische Schraube“ genannt, wurde erst etwas später aktuell). Diese Schiffe wurden auch, sobald ihre Dampfmaschinen altersschwach geworden waren, „ausgenommen“ und als reine Segelschiffe weiterbetrieben.

Die Geschichte der großen Dampfer ist voll der dramatischen Höhepunkte — und der dramatischen Pleiten. Bin Unglücksschiff wie die „Great Eastem“ brachte mehreren Gesellschaften hintereinander den Ruin und endete als Kabelleger — kein Wunder, daß die „Great Eastem“ ein Unglücksschiff war, da man doch, beim Abwracken, in ihrem

Zwischenkiel das Skelett eines offenbar beim Bau irrtümlich eingeschlossenen Werftarbeiters fand.

Dem Luftverkehr ist jeglicher Aberglaube fremd. Und auch das große Harren, ob sich ein Schiff bewähren wird, meint der Laie — was aber nicht stimmt. Denn sehr oft stehen die neuen Flugzeuge, wenn sie von den ersten Airlines bestellt werden, erst auf dem Papier, und selbst wenn die Prototypen ihre Tests absolviert haben und sich die Auftragsbücher des Herstellerwerkes füllen, sind noch viele Fragen, betreffend die Wirtschaftlichkeit, offen.

Trotzdem muß das Management jeder Fluggesellschaft, die nicht auf der Strecke bleiben will, vorausschauende Entscheidungen treffen, darf den Blindflug in die Zukunft nicht scheuen. In der Geschichte der

Swissair gibt es so etwas wie einen roten Faden: Die Orientierung an noch nicht gegebenen Bedingungen — wobei selten zu hoch gegriffen wurde. Wenig mehr als ein halbes Jahrhundert liegt zwischen dem probeweisen Verkehr zwischen Genf und Zürich 1919 (die Reise in einer einmotorigen, offenen DH-3 dauerte zwei Stunden und zwanzig Minuten und kostete 300 Franken) und dem Jahr 1973 der auf vielen Strecken vollen Jumbos, in dem 12 Millionen Menschen den Atlantik im Flugzeug und nur 25.000 per Schiff überqueren.

Dazwischen liegt die Entscheidung für die ersten von einer europäischen Fluggesellschaft eingesetzten amerikanischen Maschinen, die mit 260 km/h um 100 km/h schneller waren als alle anderen damals in Europa gebräuchlichen Typen (1932), | liegt die Weichenstellung zur Schaffung eines vorwiegend aus Douglas-Mustern bestehenden Flugzeugparkes, liegt die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg vollzogene Erkenntnis, jetzt sei der Moment gekommen, um die Schweiz mittels des Luftverkehrs aus ihrer Verkehrsisolation zu lösen, liegt das Einsteigen in den Langstreckenverkehr. Liegen vor allem immer wieder großzügige Investitionsbeschlüsse, die großteils durch Kapitalerhöhungen der mehrheitlich in Privatbesitz befindlichen Aktiengesellschaft realisiert werden konnten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung