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Am Beispiel Mtowe…

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Entwicklungshilfe” ist ein vieldeutiges Wort geworden. Spätestens durch die große UNO-Konferenz über den Einsatz von Wissenschaft und Technologie für Entwicklung und die dabei aufgebrochenen Gegensätze erfuhr auch der österreichische Zeitungsleser, daß unter dem Begriff Entwicklungshilfe vieles segelt, was in den Entwicklungsländern nicht von jedem als Hilfe empfunden wird.

Es geht längst nicht mehr lediglich um das legendäre eine Prozent vom Bruttonationalprodukt, das von jedem Industriestaat für Entwicklungshilfe aufgebracht werden sollte (außer Schweden hält sich kaum ein Industriestaat daran, und auch Schweden hat diese „Traumgrenze” erst kürzlich erreicht).

Es geht mindestens ebensosehr um die Verwendung. Oft kann den Menschen in den armen Ländern durch Maßnahmen, die direkt in ihrem Lebensbereich wirksam werden und dabei wenig kosten, sehr viel besser gedient werden als mit grpßen, aber falsch eingesetzten Mitteln.

Wenn von fehlgeleiteten Beträgen die Rede ist, denken viele Europäer an die vielzitierten goldenen Betten. Derlei Auswüchse kommen vor, und sicher ist in Ländern, in denen ein Teil der Bevölkerung kaum genug zum Überleben hat, privater Potenta- ten-Luxus sowohl volkswirtschaftlich wie psychologisch besonders negativ zu beurteilen. Darüber darf aber nicht übersehen werden, daß Dollarmillionen, die dafür verwendet werden, in einem Entwicklungsland eine automatisierte Produktion aufzuziehen, durch die Menschen, die noch Arbeit haben, diese auch noch verlieren, viel negativere Auswirkungen haben können.

So manche Investition in der Dritten Welt, die dort zwar in- oder ausländischen Investoren Gewinn bringt, die Situation aber eher verschärft, wird heute propagandistisch als Entwicklungshilfe verkauft. Sie mag auch tatsächlich die Industrialisierung vorantreiben. Bei der Antwort auf die Frage, ob solche Investitionen, die kurz- und mittelfristig die Probleme eher verschärfen als lindern, langfristig positive Effekte haben können, scheiden sich die Geister.

Entwicklungshilfe ist aber eine äußerst pluralistisch betriebene Angelegenheit, bei der die verschiedensten Konzepte zum Tragen kommen. Die Vorstellungen darüber, wie Entwicklungshilfe aussehen soll, sind von Geberland zu Geberland und von Entwicklungsland zu Entwicklungsland verschieden und müssen von Fall zu Fall auf einen Nenner gebracht werden. In vielen Entwicklungsländern werden mitunter in engster Nachbarschaft diametral verschiedene Entwicklungsstrate gien angewendet. Und auch die Entwicklungsprojekte, die von ein und demselben Industriestaat gefördert werden, können von gegensätzlichen Vorstellungen ausgehen.

In Österreich zum Beispiel ist die Entwicklungshilfe „mediatisiert”, das heißt, sie war zwar zum überwiegenden Teil vom Staat finanziert, die zu fördernden Projekte werden aber - in Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt - von zwei katholischen Organisationen ausgewählt.

Eine dritte Organisation, der vom Bundesjugendring getragene österreichische Jugendrat, schied kürzlich als Entsendeorganisation aus und beschränkt sich auf die Öffentlichkeitsarbeit. Es verblieben, als Entsendeorganisationen für Entwicklungshelfer und Experten, das Institut für Internationale Zusammenarbeit (HZ) mit dem rechtlichen Status eines kirchlichen Instituts und der von katholischen Organisationen getragene österreichische Entwicklungsdienst. Beide Körperschaften verfügen nicht nur über staatliche, sondern zum Teil auch über eigene Mittel.

Diese Kombination bietet einen hohen Grad von Sicherheit, daß bei der Vergabe der in Österreich für Entwicklungshilfe bereitgestellten Gelder von Grundsätzen ausgegangen wird, die sich an den Interessen jener orientieren, die wirklich Hilfe brauchen, daß die Entwicklungshilfe „nach unten durchkommt”.

Entwicklungshilfe ist in Österreich ein stilles Geschäft, um das wenig Gerede gemacht wird. Der gesamte Personalstab beider Organisationen dürfte etwa dem der Presseabteilung in der staatlichen schwedischen Entwicklungshilfe-Organisation entsprechen. Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Entwicklungshilfe findet in Österreich kaum statt. Der Finanzminister kann sich darüber freuen, denn der geringe Entwicklungsgrad des Entwicklungshilfe-Bewußtseins in der Bevölkerung bedeutet, daß die- ohnehin von keiner Seite besonders vehement vorgetragenen - Forderungen nach einer Erhöhung unserer.

Entwicklungshilfe-Aufwendungen in der breiten Öffentlichkeit kaum positiven Widerhall finden.

Es muß schon allerhand geschehen, damit Erfolge österreichischer Entwicklungshelfer in Österreich überhaupt zur Kenntnis genommen werden. So zum Beispiel wurde das Mtowe-Projekt des Instituts für Internationale Zusammenarbeit von der Regierung Sambias ausgezeichnet, es wurde zu einem Anziehungspunkt für Entwicklungshilfe-Fachleute aus verschiedenen Ländern, die die dort angewendeten Methoden studieren, und es wurde von Bischof Medardo Mazombwe, in dessen Diözese Mtowe liegt, anläßlich eines Österreich-Besuches in einem Gespräch mit österreichischen Journalisten gelobt. (Der Widerhall war gering.)

Mtowe ist ein Dorf im Osten Sambias, etwa 800 Kilometer von der Hauptstadt Lusaka entfernt. Die Menschen in Mtowe haben dieselben Probleme wie in vielen anderen afrikanischen Dörfern. Ursache ist hier nicht zuletzt die einseitige Bevorzugung des Kupferbergbaues und die forcierte Industrialisierung der Zentralregion von Sambia durch die Regierung.

Folge dieser nicht zuletzt durch eine den Interessen der Industriestaaten dienende Wirtschaftshilfe geförderten Politik ist die massive Abwanderung junger Menschen aus den

Dörfern in die großen Zentren. Dadurch gehen den Dörfern gerade die tüchtigsten und aktivsten jungen Menschen verloren.

Ziel des Mtowe-Projektes ist es, den jungen Menschen im Dorf selbst Zukunftsaussichten zu eröffnen. Das „Mtowe-schoolleaver-Projekt” erfaßt die Schulabgänger. Der Leiter der Grundschule von Mtowe, der Lehrer Nkhoma, versuchte bereits 1972, Gruppen von Schulabgängern zu organisieren, um ihrer Beschäftigungslosigkeit und damit der Landflucht entgegenzuwirken. Seit 1976 arbeiten die österreichischen, vom IIZ entsandten Entwicklungshelfer Gertrud und Johannes Rauch in Mtowe.

Auf Grund des von ihnen erarbeiteten Konzeptes wurde der Bau einer zentralen Landwirtschaftsschule in der Diözese Chipata zurückgestellt und ein Weg gesucht, die landwirtschaftliche Ausbüdung der Burschen und Mädchen ohne Herauslösung aus dem Dorfverband zu ermöglichen, denn schon die temporäre Abwesenheit vom Dorf ist der erste Schritt zur Abwanderung. 60 Prozent der sambischen Bevölkerung leben außerhalb der Zentralregion, des „Kupfergürtels” - diese 60 Prozent erbringen nur 3 Prozent des gesamten Bruttonationalprodukts!

Unter Anleitung des Ehepaares Rauch begannen Burschen und Mädchen von Mtowe gemeinsam auf einem Feld zu arbeiten, dessen Fruchtbarkeit langsam gesteigert und das auch bald vergrößert werden konnte. Damit wurde die Produktion von Überschüssen ermöglicht, die auch außerhalb des Dorfes abgesetzt werden können. Darüber hinaus wird durch Förderung und Weiterentwicklung der lokalen handwerklichen Traditionen der Eigenbedarf an Hausrat und Kleidung gedeckt und durch den Verkauf solcher Produkte eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit geschaffen.

Das Projekt hat sich so gut entwik- kelt - unter anderem konnten Rinder angeschafft und für die Arbeit auf den Feldern abgerichtet werden -, daß es heute bereits weitgehend von selber funktioniert. Die Menschen im Dorf haben die landwirtschaftliche Ausbildung als Möglichkeit erkannt, ihre Kinder im Dorf zu halten. Das Ehepaar Rauch konnte zur Gründung eines neuen, ähnlichen Projektes in der Umgebung übergehen.

Entwicklungshilfe dieser Art kommt nicht nur jenen zugute, die Hilfe am dringendsten brauchen. Sie garantiert auch maximalen Effekt eines jeden ausgegebenen Schillings. Wobei freilich Entwicklungshelfer, die den hohen Anforderungen entsprechen, mindestens so schwer zu bekommen sind wie das notwendige Geld.

Trotzdem ist das Mtowe-Projekt alles andere als ein Einzelfall, sondern typisch für die Arbeit des IIZ, das laufend 45 bis 50 Entwicklungshelfer in Afrika und Lateinamerika im Einsatz hat. Einige Beispiele dafür sollen hier kurz charakterisiert werden.

In Ost-Paraguay wurde die Arbeit mit zwei Indianerstämmen, die bis dahin weitgehend rechtlos gewesen waren, von den Ethnologen Dr. Georg und Friedl Fürnberg begonnen und von Dr. Klaus und Mag. Eva Re- noldner (er Arzt, sie Wirtschaftspädagogin) und Dr. Hans-Rudolf und Beate Wicker (er Schweizer, beide Ethnologen) fortgeführt. Dem Ehepaar Grünberg gelang es, für die etwa 8000 Pai-Tavytera-Indianer ein rechtlich gesichertes Siedlungsgebiet zu garantieren, wozu Vermessungsarbeiten, Finanzierung von Landkäufen, Landzusammenlegungen, Zusammenführung verstreuter Gruppen zu Kolonien und ähnliche Maßnahmen nötig waren. Dazu kam eine Hebung des Ernährungs- und Gesundheitszustandes durch Ausbildung.

1976 wurden die Guarani-Indianer in das Projekt einbezogen. Die Entwicklungshelfer verhandeln für die Indianer mit den Behörden, schufen die Grundlagen für Lese- und Schreibunterricht und konnten bei beiden Stämmen das Erwachen eines neuen Selbstverständnisses als Volksgruppe beobachten. Wenigstens in diesem Gebiet können Großgrundbesitzer Indianer nicht mehr so leicht wie vorher aus ihrem Wohngebiet vertreiben.

In Obervolta wurden zwei vom IIZ entsandte Entwicklungshelfer in ein internationales Großprojekt zur Bekämpfung der Folgen der Dürrekatastrophe eingeschaltet. Der Politologe Dr. Christoph Gütermann entwik- kelte ein funktionierendes System zur Rückzahlung von Krediten, die für die Einführung von Ochsengespannen vergeben werden, Maschi- nenbau-Ingenieuer Rainer Mück entwickelte Ackerbaugeräte, vor allem Pflüge, die im Lande hergestellt werden können, und überwachte den Bau der dafür notwendigen Werkstätten.

In Mexiko lebt seit 18 Jahren die Österreicherin Dr. Christa Kübler in enger Gemeinschaft mit den Tspltal indianem und arbeitet mit 600 heimischen Katecheten und 160 „Pro- motoras” (heimischen Entwicklungshelferinnen), die sie zu einem großen Teil selbst ausbildet, in der Erwachsenenbildung und Katechese. In dieser Zeit wurde sie nicht nur Taufpatin von 200 Kindern, sondern sie konnte auch 70 Siedlungen mit Wasserleitungen von jeweils 300 m bis zehn Kilometer Länge versorgen.

In Brasilien koordiniert der Hy- drogeologe Dr. Norbert Fenzl ein Projekt, das die Versorgung der Insel Marajö mit Wasser zum Ziel hat. Zugleich leistet er Aufklärungsarbeit bei der Bevölkerung über Wasserhygiene.

In Sambia bildete die österreichische Krankenschwester Rosa Gisela Dobosch im St. Francis Hospital, das mit 315 Betten und fünf Außenstationen das Hauptkrankenhaus der Ostprovinz ist, Schwestern, Hebammen und Krankenpfleger aus.

Und so weiter. Entwicklungshilfe muß, wie man sieht, nicht das sein, was die armen Leute in den reichen Ländern den reichen Leuten in den armen Ländern geben. Sie muß auch kein Faß ohne Boden sein. Doch ist Entwicklungshilfe der hier geschilderten Art fast niemals spektakulär. Sie bedeutet Arbeit im Alleingang oder höchstens in kleinsten Teams: Das IIZ hat selten mehr als fünf Teams mit jeweüs maximal drei Personen im Einsatz, alle anderen arbeiten allein.

Es liegt in der Natur dieser Arbeit, daß sie dort wirkt, wo sie geleistet wird, und nur dort. An Ort und Stelle gefundene Lösungen lassen sich nur selten ohne weiteres auf anderswo herrschende Verhältnisse übertragen. Meist nicht einmal von einem auf ein anderes Dorf. Auch da muß mit neuen Situationen gerechnet, muß modifiziert werden. Entwicklungshilfe, so verstanden, ist kein Industrieprodukt, das in beliebiger Menge produziert werden kann. Ihr Multiplikator ist die Beispielwirkung.

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