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Am Beispiel Portugals

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„Die sowjetische Militärstrategie läßt sich von der fortschrittlichen, konsequent und bis ins , letzte wissenschaftlichen Theorie des Marxismus-Leninismus und von der Philosophie des dialektischen und historischen Materialismus leiten, der die Möglichkeit bietet, die objektiven Gesetze, die für den Sieg im modernen Krieg maßgebend sind, zu erkennen und richtig anzuwenden.“

W. D. Sakolowski, Militärstrategie, Köln 1965, Seite 95.

Mit lautem Beifall hat das libera-listische und sozialistische News-Management der freien Welt des Westens den Militärputsch in Portugal begrüßt und den Sturz des „nunmehr am längsten bestehenden faschistischen Regimes in Europa“ gefeiert. Die katholischen Bischöfe Portugals machten einen dicken Strich unter die Summe der seit 1926 vom Regime Salazar bezogenen diversen Pfründen und sicherten der siegreichen Militärjunta von

1974 am Tage nach dem Sieg ihre Sympathie zu. Sie taten es mit der gleichen Entschiedenheit, mit der ihre Amtsvorgänger vor nunmehr fast 50 Jahren, 1926, den Durchbruch des „Katholischen Kreises“ um Salazar zur Macht begrüßt hatten. Kommunisten und Sozialisten feierten gemeinsam den 1. Mai 1974 in Portugal, priesen die bisher als „hündische Verfolger“ verdammten Militärs und steckten den Soldaten rote Nelken in die Mündungen ihrer Gewehre und Maschinenwaffen, damit diese „Waffenträger für die Freiheit“ fortan wissen sollten, in wessen Interesse künftig diese Gewehre losgehen würden.

Der sogenannte einmalige Vorgang

Was jetzt in Portugal nach dem Putsch einer Militärjunta geschieht, wird in den von Liberalen und Sozialisten beherrschten Massenmedien als ein „geradezu einmaliger Vorgang“ in der Geschichte jenes Militarismus hingestellt, der im Gebrauch der Schlagworte der Linken stets in Zusammenhang mit „Kapitalismus“ und „Imperialismus“ genannt wird. Je mehr die Menschen in der freien Welt unter „Abstreifung einer endlich bewältigten Vergangenheit“ in ein geschichtsloses Fellachentum absinken, desto leichter wird es, die Geschichte der Freiheit als eine Serie von Siegen der Macht ihrer Idee hinzustellen. Unter hundert Intellektuellen weiß kaum einer, daß in Paris die Revolution von 1789 nie gesiegt hätte, wären nicht im Jahre der Entscheidung, 1792, bereits die Linienregimenter der französischen Armee auf der Seite der Revolutionäre gestanden, so daß es nur noch der Abschlachtung einiger

Kompanien der Schweizergarde bedurfte, die bis zuletzt die Tuilerien verteidigten, erst auf Befehl Ludwigs XVI. die Waffen niederlegten und waffenlos von den Metzgern der Revolution geschlachtet wurden. Auch in der Pariser Revolution von 1830 fiel die Entscheidung dank der „Unverläßlichkeit der Truppen“, über die kein künstlerisch noch so sehr gelungenes Gemälde von Eugene Delacroix vom Sieg des kämpferischen Volkes hinwegtäuschen kann. Die grausamen Kämpfe der Februarrevolution von 1848 in Paris wurden entschieden, als in der Krise der Barrikadenkämpfe zwei Linienregimenter des Königs überliefen. Die ganze Geschichte der Militärputsche, die jeweils Zünglein an der Waage des „revolutionären Fortschritts“ sind, erreichte zwei besonders signifikante Höhepunkte in den beiden Umstürzen, die 1917 in Petrograd stattfanden: In der Märzrevolution des liberalen Besitzbürgertums gab es nicht einmal, wie 1792 in Paris, einen letzten Wider-

stand der Garden, weil der Kommandeur der zaristischen Garde-Equipe, Großfürst Cyrill, “diese Elitetruppe geschlossen unter der alten Fahne den neuen Machthabern zuführte. Die von Eisenstein gedrehten Filmszenen der Oktoberrevolution von 1917 können nur Unwissende täuschen, denn die „Große Oktoberrevolution“ siegte nicht mit dem Massenangriff auf das Winterpalais, sondern mit dem Uberlaufen jener Truppenverbände, die noch im Sommer desselben Jahres den Versuch einer Machtergreifung der bolschewikischen Minorität mit Waffengewalt unterdrückt hatten. Und so wie der Kommunismus im „Vaterland aller Werktätigen“ nur dank der Unterstützung durch die Truppen der Garnisonsverbände in der Hauptstadt siegte, während über die Boulevards die klingelnden Straßenbahnen fuhren, siegte dank des militärischen Erfolgs der Roten Armee über die Deutsche Wehrmacht der Kommunismus in den heutigen Volksdemokratien; wo er im Falle freier Wahlen und einer abgesicherten parlamentarischen Demokratie nie seine Diktaturen hätte aufrichten können.

Die feine Unterscheidung

1937 noch war die russische Oktoberrevolution von 1917 nach Ansicht des Großen Alten der Neuen Linken, Ernst Bloch, Patriarch des Linkskatholizismus, sowohl „groß“ als auch „befreiend“. 1971 strich man beim Neudruck seiner Werke das Eigenschaftswort „befreiend“ und ersetzte es durch „aufrührerisch“. Derlei Spiel mit Worten ist im Hinblick auf die Bedeutung der „Neuen Sprache“ für die Neue Linke nicht

ohne Bedeutung. Denn: Bloch unterscheidet grundsätzlich zwischen Kampf, der im Interesse des Fortschritts ohne Ausrede und konsequent zu führen ist, und Krieg, wenn dieser im Sinne Marxens von einer „bürokratisch-militärischen Maschinerie“ betrieben wird. Die differeri-tia specifica zwischen erlaubtem „Kampf“ und verdammtem „Krieg“ im Sinne Blochs, liefert der jeweilige Stand der im Anschluß an Marx entwickelten Dialektik.

Daher: Wenn 1967 in Griechenland und 1973 in Chile eine Militärjunta bei ihrem Putsch siegte, dann war das ein Werk jener „bürokratisch-militärischen Maschinerie“, die im Sinne eines wissenschaftlichen Sozialismus nicht siegen darf und kann, weil sie letztlich im Klassenkampf zu „zerschlagen“ ist. Anders der jüngste Sieg einer Militärjunta in Portu-. gal. Dieser Militärputsch, der in Lissabon die Linke und die linke Linke an die Macht bringen soll, ist einer „internationalen Akklamation“

(FURCHE vom 4. Mai 1974) sicher.

Der Monismus, der in jeder im Anschluß an Marx entstandenen Philosophie steckt, soll angeblich den parlamentarischen Mehrparteienstaat, die Pressefreiheit und die politische Bewegungsfreiheit für die Opposition erbringen. Reden wir nicht von den Möglichkeiten der politischen Opposition im sozialistischen Österreich; prüfen wir lieber die Tätigkeit der Meinungskneter im soziali-stisch-liberalistisch beherrschten Deutschland; oder den Wert eines Mehrparteiensystems unter einem sozialistischen Regime. 1970 griff Bruno Kreisky in die Debatte über Demokratie- und Parlamentsreform mit dem lapidaren Satz ein, er stimme nicht mit, (Hans) Kelsen überein, wonach „der Parlamentarismus die einzig mögliche reale Form ist, in der die Idee der Demokratie innerhalb der sozialen Wirklichkeit von heute erfüllt werden kann“.

Und nach der Ansicht derselben Autorität ist für lateinamerikanische Verhältnisse eine • militärisch abgestützte Form der „Demokratie“ wahrscheinlich unausweichlich.

Wenn, was selbstverständlich vorausgesetzt ist, das Kommando über die regulären Truppen des Staates ein Oberkommandant linker Linker, wie Allende oder Fidel Castro (oder jetzt der General-Präsliident an der Spitze der portugiesischen Militärjunta), hat. Eine „militaristische Ab-stützung“, wie sie etwa die Obersten in Athen oder jene in Chile praktizieren, ist dagegen ein „Verbrechen an der Idee der Freiheit“.

Eins kommt zum anderen

Seit Jahren stand das „faschistische Portugal“ im Fadenkreuz des Punktfeuers liberalistischer und se-

zialistischer sowie linkskatholischer Agitation. Das muß deswegen überraschen, weil dieses verdammte Regime nach 1933, zumal nach 1940, letzter Zufluchtsort der politisch und rassistisch Verfolgten Westeuropas war, wie Österreich 1933 bis 1938 in Mitteleuropa.. Die Überraschung wächst, wenn man bedenkt, daß das „faschistische Portugal“ nach 1949 der verläßlichste „Flugzeugträger“ des Verteidigungssystems der USA und der NATO wurde; zumal in der Zeit, als „Franco-Spanien“ in der freien Welt des Westens noch nicht gesellschaftsfähig genug war, um auf Spaniens Boden das vom Pentagon gesteuerte Stützpunktsystem auszubauen, wie dies jetzt der Fall ist. 1973, während des vierten jüdischarabischen Krieges, zumal in den Tagen einer unmittelbar drohenden militärischen Intervention der UdSSR im Nahostkonflikt, war Portugal der Stützpunkt für militärische Hilfe an Israel, der zu sein die BRD Willy Brandts ablehnte.

In den Logen der US-Offiziere und der portugiesischen Offiziere des „faschistischen Regimes“ entstanden jene Verschränkungen, auf die Militärs nicht verzichten können, wenn sie putschen wollen. Natürlich haben in Portugal unlängst nicht NATO-oder US-Oberste geputscht (die Presse der Linken erwähnt im Falle Portugal nicht einmal die CIA, deren Präsenz in Portugal ja beträchtlich

ist); indessen fällt den,in Athen oder Chile amtierenden Junten, besser: den Militaristen dieser Junten, kein Haar aus, ohne daß sich die „ausländischen“ AbStützungen dieser Regime darum kümmern würden; wie sehr muß es auffallen, daß in Portugal den Generalen und Admiralen, die nicht zur Junta gehören, sowie den bisherigen Politikern gleich alle Haare ausfielen.

1974 haben die „Jungtürken“ in Lissabon ebenso Revolution gemacht wie 1908 jene jungtürkischen Offiziere, die in der Loge von Saloniki belehrt wurden, bis sie zuschlugen und damit den Grund zur heutigen „modernen Türkei“ legten. Zur Geschichte der Freiheit gehört der regelmäßige Nachschub fteuer freiheitlicher Modelle aus der freien Welt des Westens. Wenn in den USA der Rassismus , der Weißen und der Schwarzen um sich greift und in Afrika ein „schwarzer“ Rassismus in die Halme schießt, der sich nicht „nur“ gegen Weiße richtet, sondern ebenso gegen Farbige, die keine Neger . sind, dann erhebt sich eine Frage. Warum unterstützen die USA diesen „schwarzen“ Rassismus, Nationalismus und Militarismus (dessen deutsche und japanische Versionen sie 1945 verdammten), wenn sie sich doch einer Tatsache bewußt sein müßten:

• Die protestantischen Buren haben in Südafrika die Ausrottung der Ureinwohner ebenso vermieden wie die katholischen Portugiesen in ihren afrikanischen Kolonien. Ist diese historische Tatsache nicht eine fortwirkende Anklage gegen jene „Pioniere“, die in Nordamerika die Indianer „from coast to coast“ ausrotteten, um das Land der unbe-

grenzten Möglichkeiten zu schaffen? Was soll es also mit dem Anti-Anti-rassismus gegen das Portugal von gestern, und was sollen sich die Nachkommen jener Buren, die in Südafrika waren, bevor es die USA gab, oder jene der seit 500 Jahren in Afrika präsenten Portugiesen von einer „schwarzen“ Freiheit erwarten, vor deren Wüten in den meisten Fällen nicht einmal die schwarzen Stammesgenossen sicher sind? Wie soll jenes „Weltgewissen“ beschaffen sein,, das sich hinter die seit 100 Jahren vor sich gehende Landnahme der Juden in Palästina setzt, wenn der Konflikt um die Selbstbehauptung der Weißen in Afrika (und andernorts) nicht mehr hinter sich hat als das concilium abeundi der USA, der UNO und anderer wackeliger Faktoren, die vielleicht noch stark genug sind, um in Portugal zu putschen, die aber in der schwarzen Lawine eines Kontinents wirken wie Grashalme, die unter die Mure geraten.

Wahrscheinlich werden eines Tages die spanischen Kommunistenführer aus ihrem derzeitigen Exil in Rumänien ebenso zurückkehren, wie unlängst ihre portugiesischen Genossen aus der CSSR heimkehrten. Vielleicht werden eines Tages die Linkskatholiken in der Christlich-Demokratischen Partei Italiens jene „historische Allianz“ mit der Kommunistischen Partei Italiens erzielen, die der KPI eine so wertvolle Zukunfts-

erwartung ist, daß sie jeden Krieg mit den „Klerikalen“ in der DC anläßlich des Streits um die endgültige Legalisierung der Ehescheidung lieber vermeiden wollte. Man male nicht den Kandidaten der Vereinigten Linken Frankreichs (KP + SP + Liberale) für die nächste Präsi-dentsehaftswahl an die Wand. Einmal wird, so Moskau, diese Volksfront im Ursprungsland der Volksfront siegen und damit die KP in die Regierung zurückkehren, in der ihre Aktivitäten kein de Gaulle mehr kontrollieren wird (wie 1944/45), sondern Liberale, für die es links überhaupt keinen Gegner geben kann. Was ist bei all dem der kommunistische Agent des Ostens im Vorzimmer von Willy Brandt für ein armes Würstchen gewesen! Beschatter eines Regierungs- und Parteichefs, dessen jugendliche Gefolgschaft ohnedies die Abgrenzung der „historischen“ Sozialdemokratie zur linken Linken ablehnt, wie es die russischen Sozialdemokraten schon vor 70 Jahren taten?

Mögen andere putschen und geputscht werden, du, glücklicher Wohlstandsbürger in Österreich, schlafe! Durch die Paritätische Kommission abgestützt, wirkt die sozialistische Alleinregierung an der Fertigstellung des sozialistischen Österreich. In Österreich wird es unter diesen Voraussetzungen nicht einen jener Putsche geben, der et wegen in den dreißiger Jahren die Tramway nicht über den Ring, sondern über die Zweierlinie fuhr. Unsereiner, als Koalitionspolitiker von vorgestern, fragt sich: Und auf dieser Linie hast du einmal gewirkt? Wer steht noch aufrecht unter diesem roten Horizont?

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