6863236-1977_45_01.jpg
Digital In Arbeit

Am Beispiel Triest

Werbung
Werbung
Werbung

Wurden in den vergangenen zwanzig Jahren die Sprengungen von Partisanendenkmälern in Kärnten wegen der „gutnachbarlichen“ Beziehungen in der Laibacher Presse kaum erwähnt, so erzeugen jetzt die Kärntner Demonstrationen nicht nur in Laibach Widerhall, sondern auch in Agram und Belgrad, im bosnischen Sarąjewo und im mazedonischen Skopje. Die Reden bei den zahlreichen Kundgebungen, besonders in Slowenien, klingen nie aus, ohne daß die Lage der Kärntner Slowenen erwähnt würde. Aus den Kommentaren ist der unausgesprochene Gedanke an eine „deutsche Gefahr“ herauszulesen, ein Gedanke, der Erinnerungen an den letzten Weltkrieg wachruft

Die letzten Ereignisse in Kärnten wurden von der Laibacher Parteizeitung „Delo“ als „Tanz auf dem Pulverfaß“ bezeichnet In Laibach gibt man sich besorgt wegen der neuerlich abgerissenen zweisprachigen Ortstafeln in St Jakob (Št Jakob), St Kanzian (Škocįjan), Eberndorf (Dobrla Vas) und Bleiburg (Pliberk), die von slowenischen Aktivisten auf privaten Grundstücken aufgestellt worden waren. Die Entfernung der zweisprachigen Ortstafeln in Bleiburg wurde von der Polizei über Befehl der Kärntner Landesregierung nicht ohne hartes Vorgehen gegen einige slowenische Demonstranten durchgeführt, die willens waren, ihre Ortstafel zu verteidigen. Das Vorgehen der Behörden sei, behauptet man in Laibach, weil die Ortstafel sich auf privatem Boden befunden habe, ungesetzlich gewesen. In Laibach glaubt man ferner nicht daß die Bombenexplosionen in Kärnten (zuletzt in der Umgebung von Bleiburg), die nie ernstlichen Schaden an- richten, irgendeinen anderen Zweck hätten, als den Vorwand für antislowenische Parolen in den Massenmedien zu liefern.

Mit den Spannungen zwischen Laibach und Klagenfurt in den letzten Jahren, zwischen den im Ostalpenraum zentral liegenden Ländern Kärnten und Slowenien, ist die bis in die siebziger Jahre fruchtbare und ausbaufähige wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit der „Alpen- -Adria“-Region fast erloschen. Ledig lich bilaterale Kontakte zwischen Slowenien, Friaul-Küstenland, Kroatien und dem Komitat Väs in Ungarn bestehen noch. Besonders die Zusammenarbeit zwischen Slowenien und Friaul-Küstenland, zwischen Triest und Laibach also, entwickelt sich in letzter Zeit zu einem Vorbüd interregionaler Beziehungen.

Vorbild deshalb, weü in diesem Falle viel größere Gegensätzlichkeiten als vergleichsweise zwischen Slowenien und Kärnten überwunden werden mußten. So die Erinnerung an die italienische Besetzung Laibachs während des Zweiten Weltkrieges, an die jugoslawische Besetzung Triests im Jahre 1946; so auch die patriotische Nostalgie der Italiener wegen der von Italien nach dem letzten Weltkrieg verlorenen Gebiete in Istrien, Dalmatien und im Küstenland; vor allem aber die antijugoslawischen, allgemein antislawischen und speziell antislowenischen Gefühle der über dreihunderttausend italienischen Flüchtlinge aus den verlorenen Gebieten und dazu noch die bis vor zwei Jahren von Italien nicht anerkannte jugoslawische Souveränität über das Gebiet um Ko- per/Capodistria (die Zone B), der alteingewurzelte lateinische Hochmut gegenüber den „kulturell minderwertigen“ Slawen, die großbürgerliche Ideologie Triests, das sich gegenüber dem slowenischen Hinterland als „bessere Gesellschaft“ und überlegen fühlt.

Triest sieht heute allerdings anders aus, als noch vor zehn Jahren. Dies nicht nur wegen der vielen Tausend jugoslawischer Käufer, die täglich Triestiner Geschäfte belagern, nicht nur wegen der Zusammenarbeit mit dem benachbarten Slowenien, sondern mehr noch wegen einer neuen, offenen Geisteshaltung gegenüber Ost- und Mitteleuropa.

Die Stadt ist willens, ihre geographisch-politische und kulturelle Lage zwischen der slawischen und der lateinischen Welt, aber auch im europäischen Raum überhaupt auszunützen. In Triest gibt es jetzt zwei staatlich subventionierte Theater: das italienische und das slowenische. Im slowenischen Kulturhaus von Triest gastieren jedes Jahr hervorragende Schauspieler und Kulturgruppen aus Laibach und Marburg, aus Agram, Sarajewo, Belgrad, Rijeka (Fiume) und Skopje. Die italienische Oper Triests wieder führte im vergangenen Jahr die Oper „Libellula“ (Die Wasserjungfer) des slowenischen, in Triest lebenden Komponisten PavleMerkü auf; das italienische Theater spielte das Drama „Idealist“ nach einem Roman des slowenischen Schriftstellers Ivan Can-

kar, bearbeitet und übersetzt vom Italiener Fulvio Tomizza. Triest wird allmählich wieder zu einer Stadt mit zwei Kulturen und mit einem internationalen Kulturaustausch, keiner anderen Stadt auf der Apenninenhalb insei vergleichbar.

Man denke nun einmal an die sehr ähnliche Lage Klagenfurts im deutschsprachigen Raum und an das geplante kärntnerslowenische Kulturhaus in dieser Stadt Dieses könnte hier eine ähnliche Funktion erfüllen wie das italoslowenische Kulturhaus in Triest. Es könnte überdies in einem hohen Maße die zementierten Vor- und Fehlurteile gegenüber den „minderwertigen“ Balkankulturen abbauen. Ist es etwa das, was die Verantwort- lichen in Klagenfurt so sehr fürchten, wenn sie sich mit allen Kräften gegen das slowenische Kulturhaus zur Wehr setzen?

Offensichtlich handelt es sich im Falle des Kärntner Nationalitätenstreites, der deutsch-slowenischen Beziehungen und der Beziehungen zwischen Laibach und Klagenfurt um ideologische Gründe, die viel tiefer liegen, als der an der Oberfläche sich manifestierende Sprachenstreit. Wenn einerseits in Kärnten der Öffentlichkeit unermüdlich die jugoslawische Invasion nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg vor Augen geführt wird, so wird anderseits in den slowenischen Schulbüchern nicht nur unentwegt an den Partisanenkampf gegen die deutsche Invasion im Zweiten Weltkrieg erinnert, sondern auch an die Germanisierungsbestre- bungen in Krain und Untersteiermark vor dem Ersten Weltkrieg und an den Versuch des deutschsprechenden österreichischen Bürgertums jener Zeit, eine „germanische“ Brücke von der Nordsee bis zur Adria herzustellen. Ein Versuch, der während des Zweiten Weltkrieges mit der Gründung des Operationsgebietes „Adriatisches Küstenland“ in Triest für ein Jahr zum Ziel führte.

In den slowenischen Massenmedien kommt hingegen viel zu wenig zum Ausdruck, daß ein Deutschkärntner nicht schon mit einem großdeutschen Nationalisten identisch ist, wie denn auch in der Kärntner Presse die Tatsache unterschlagen wird, daß die Slo- wenischkämtner Österreicher sind, die im Plebiszit von 1920 mehrheitlich für Österreich gestimmt haben.

Sollte eines Tages zwischen Laibach und Klagenfurt, zwischen Kärnten und Slowenien, zwischen kärntner- slowenischer und deutschkärntneri- scher Seite wieder ein Dialog möglich sein, so müßte fürs erste dem nationalistischen Informationsterror, den Sensationsberichten über Bombenexplosionen und Demonstrationen auf beiden Seiten ein Ende gesetzt werden.

Der kulturelle Austausch, der an der Grenze zwischen Kärnten und Slowenien wieder einsetzen müßte, dürfte dann am ehesten zu einer neuen regionalen Zusammenarbeit nicht nur zwischen den beiden Ländern, sondern im ganzen Alpen-Adria Raum führen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung