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Am Ende der „Querelles Allemandes...“?

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Österreich begeht seine Österreich woche. Ihr Sinn: dem Österreicher auch ein wenig wirtschaftliches Selbstbewußtsein zu vermitteln. Die diesjährige Österreich woche geht Hand in Hand mit Bemühungen der Bundeshandelskammer, des Fremdenverkehrs und österreichischer Stellen, Österreich im Ausland stärker präsent zu machen. Tatsache ist, daß die kürzlich abgehaltene Österreichwoche in Düsseldorf mit dem Aufmarsch des deutschen und österreichischen Bundeskanzlers, einer Unzahl von Prominenz und einem Maximum an Information in der Deutschen Bundesrepublik nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. Der österreichische Nationalfeiertag, der österreichische Vorstoß nach Deutschland und die Frage nach Österreichs Selbstverständnis neben — neuerdings — zwei deutschen Staaten stellt die Frage nach den wirklichen Beziehungen — und nach der Einschätzung des heutigen Nebeneinanders.

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Österreich begeht seine Österreich woche. Ihr Sinn: dem Österreicher auch ein wenig wirtschaftliches Selbstbewußtsein zu vermitteln. Die diesjährige Österreich woche geht Hand in Hand mit Bemühungen der Bundeshandelskammer, des Fremdenverkehrs und österreichischer Stellen, Österreich im Ausland stärker präsent zu machen. Tatsache ist, daß die kürzlich abgehaltene Österreichwoche in Düsseldorf mit dem Aufmarsch des deutschen und österreichischen Bundeskanzlers, einer Unzahl von Prominenz und einem Maximum an Information in der Deutschen Bundesrepublik nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. Der österreichische Nationalfeiertag, der österreichische Vorstoß nach Deutschland und die Frage nach Österreichs Selbstverständnis neben — neuerdings — zwei deutschen Staaten stellt die Frage nach den wirklichen Beziehungen — und nach der Einschätzung des heutigen Nebeneinanders.

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Der erste Irrtum, den ein Deutscher macht, der das österreichische Land an der Grenze von Salzburg oder Tirol her betritt, ist der, es für „deutsch“ zu halten. Rein von der Sprache her mag das stimmen, aber von der Geschichte und Denkweise her, doch kaum. Von der Schulbildung her mag ja zum Beispiel kein großer Unterschied möglich scheinen, glaubt man doch die gleichen Klassiker, zuvor Goethe und Schiller, zu haben und es ist auch — vielleicht

— kein großer Unterschied darin, ob man Abitur oder Matura sagt.'

Vornehm ist in Österreich — solange noch wenigstens Reste der alten Sozialstrukturen bestehen und in ihrer Nachahmung in neuen, wer bescheiden ist. Der höchste Aristokrat „dn der Burg“ hat ja — nicht nur da — auch auf seine bürgerlichen und sozialistischen Nachfolger abzufärben vermocht. Welcher Gegensatz zu Deutschland! Nur so ist es zu verstehen, daß der Bürgerpräsident Heinemann mit einer Art, die so etwa in Richtung der österreichischen Hainisch, Renner, Kömer und Schärf liegt, hier überhaupt Aufsehen zu erregen vermochte. Denn der soziale Aufwand — um nicht zu sagen — der Protz, dem man sich hier vielfach bei gesellschaftlichen Anlässen gegenübersieht, ist fast die einzige Würze dieses „sozialen Lebens“ Deutschlands. Man trägt Brillant, man fährt Mercedes 600 und schmückt sich die abgestotterten Wüstenrot-Häuser mit unverstandener Kunst zu Villen, man „frißt sich einen vor“ und säuft dazu kräftig. (Denn leider haben deutsche Trinksitten mit dem feinschmeckenden Kosten des Kenners nicht mehr das geringste zu tun — und der Gesetzgeber gab dem durch das Gestatten hochstaplerischer Bezeichnungen für gänzlich unbekannte Trünke seinen Segen!) Man ist „piekfedn“, guckt sich auf Bügelfalten und auf die Hemdmarke und schätzt am Auto die Kreditfähigkeit

— um die sich alles dreht — des Besitzers. Dafür ist der Anzug Konfektion und den Wagen fährt auch schon jeder zweite.

*

Verweilen wir einen Augenblick noch bei dem Unterschied zwischen den österreichischen und den deut-

sehen Politikern. Während in Österreich Kaiser Franz Joseph I., wie selbst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ letzthin bestätigte, seinen Nachahmer gefunden hat, ist das

Wesen Deutschlands, das an sich die Welt genesen lassen möchte, augenblicklich nur in seinem Entwicklungsminister Erhard Eppler wiedergeboren. So gab dieser den Portugiesen unlängst recht deutlich zu verstehen, wie sie bei sich zu Hause „klar Schiff“ zu machen hätten, bevor ein deutscher Entwicklungsminister wie er ihren Boden beträte.

Das erinnert doch fatal an das „Daily-Telegrapih“-Interview mit Kaiser Wilhelms II. Ratschlägen zur Beendigung des Burenkrieges. Hat Deutschland immer noch nicht gelernt, daß zwei vom Zaun gebrochene Kriege es des Rechts der internationalen Lehrmeisterei für weitere mindestens drei Generationen entkleidet hat? Man muß sich vor dem Auftreten der beiden Musterschüler des westlichen und des östlichen Systems in den Vereinten Nationen fürchten. Indessen hat auch — damit soll nicht an der großen Persönlichkeit Willy Brandts kleinliche Kritik geübt werden —

der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland seine Antrittsrede vor der UNO gehalten. So und nicht anders haben wir sie uns vorgestellt.

Die deutschen Politiker sind also nicht sehr viel gescheiter geworden. Da fällt man schon über den sich anbietenden Vergleich zwischen deutschem und österreichischem Sozialismus (um den Nenner nicht auf die beiden Bundeskanzler gar zu sehr zu vereinfachen). Während der österreichische Sozialismus nach dem Krieg durch Teilnahme an der Macht Gelegenheit gehabt hatte, sich zu staatsmännischer Klugheit zu mausern, hat Adenauer den deutschen Sozialisten die Anteilnahme an der Gestaltung der Zukunft Deutschlands ja verwehrt. Wenn der dem Erdenrummel schon fast entrückte Nobelpreisträger Willy Brandt über den „Pragmatismus“ der Adenauerschen Ära und seiner Nachfolger manches harte Wort nicht zu Unrecht sagt, so fragt man

Düsseldorf etwa die Landschaft verhäßlichen. Aber auch in der Autoindustrie geht es den Imagebildern des deutschen Lebensstandards nicht gut. Der Volkswagen läuft und läuft und läuft — aber wie lange noch, wenn die Geld- und Geldkurspolitik seine Exportchancen weiter beschneiden?

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Wie viele glücklose Regierungen, hat sich auch jene Brandts auf Erfolge in der Außenpolitik verlegt. Sie gerdert sich musterhaft. In der Ostpolitik — Entspannung, in der Westpolitik — ausgewogenes Lavieren zwischen dem amerikanischen jind dem französischen Standpunkt. Nur eine Kleinigkeit ist nicht „stimmend zu machen“: die harte Mark. Wie sehr es einem national und international auch schadet, man will hart bleiben bis ans bittere Ende. Daß man die Geister der Stagflation damit ruft, die man nicht wieder so schnell, oder vielleicht nie wieder loswerden wird, will man nicht wahrhaben.

Nun hat man hier also fleißig für Österreich geworben. Die Akteure sind sicher erschöpft, und noch sicherer mit sich selbst zufrieden nach Hause zurückgekehrt. Einsichten sind unseren deutschen Freunden damit ebenso sicher jedoch nicht zurückgeblieben. Friedrich II. bleibt weiterhin der „Große“ und Maria Theresia deutsche Kaiserin und Österreich, das Vielschichtig-Vielgesichtige, mit seinem böhmisch-ungarischen, auch kroatisch-ladini-schen Hintergrund, immer ein „deutsches Land“. Das Entscheidende, daß man einsehe, daß es zum „deutschen Weg“ noch Alternativen gibt, weit hinaus über diejenige der Wahl eines „östlichen“ oder eines „westlichen“ Leitbildes, hat sich nicht ereignet.

Vom Mißverständnis zu seiner Geschichte: der österreichische Burgfriede, der das Land vor seinem Untergang bewahrt hat, hatte nichts schwächlich Halbes. Man sollte in Österreich stolzer auf ihn sein, als man ist. „Querelles Allemandes“-'— „deutsche Streitigkeiten“, der französische Ausdruck für vom Zaun gebrochenen Zwist, sind nichts Nachahmenswertes für sich. Ebensowenig besteht Grund, die deutsche Tüchtigkeit anzuhimmeln, denn — wie der Autor als Fachmann versichern kann — in deutschen Betrieben wird im Schnitt ungleich weniger fleißig gearbeitet als in vergleichbaren österreichischen. Das Lamento von dem angeblich „geteilten Deutsch-

land“ in Ehren, aber wann war Deutschland ein einiges Land? Doch nur unter Hitlers Diktatur, davor war es erst ein Staatenbund (seit 1814) und dann ein Bundesstaat (von 1870 an) und ein sehr unvollkommener, während Österreich seit 1526 ein einheitliches Land war und erst seit 1918 geteilt ist. Da ist von den Österreichern wesentlich mehr und mit mehr Erfolg getan worden als von den Deutschen, um die echte Tradition „deutschen Wesens“ (wenn das Wort schon einmal sein muß) hochzuhalten. Von Selbständigkeit in der nationalen und internationalen Politik ist in Deutschland, an dessen Ecken und Enden noch die Kasernen der als Verbündete getarnten Besatzer stehen, ohnedies nur sehr beschränkt die Rede, und was sich da bemerkbar äußert, ist unbeholfen und tastend. Militärisch lächelt der Deutsche weiterhin (trotz Isonzo und Karfreit) über Kamerad Schnürschuh; aber kann das die heutige Bundeswehr mit ihren drei Monaten allgemeiner Grundausbildung und der restlichen Zeit Gammelei eigentlich noch mit Recht? Und die deutsche Prominenz: auch Österreich hatte seinen Geheimrat Krupp. Nur allerdings in Bestecken, und nicht in Kanonen. Die der westlichen Kultur noch verbleibende Zeit, gut zu leben, sollte man nicht mit einem entschuldigenden Lächeln, sondern mit einem gewissen Selbstgefühl — mit einem sehr berechtigten — zum Lebensziel erklären. Die „andere Lebensqualität“ — Österreich hat sie, ob Deutschland sie von Gesetzeswegen erhalten kann, ist noch unbestimmt.

sich doch, ob die neuerlich von links außen herandrängende Politisierung und Ideölogisierung auf soviel Gegenliebe bei den Betroffenen stoßen kann.

*

Das Deutschland des Nachweltkriegs hat in den letzten Jahrzehnten mehr Versäumnisse begangen, als seiner Zukunft gut tun kann. So gibt es in der ganzen Bundesrepublik 26 Universitäten, in ganz Nordrhein-Westfalen mehr als 30 Autobahnknotenpunkte, den letzten und schönsten in Wuppertal mit der geradezu sagenhaften Kostensumme von 4 Milliarden Deutsche Mark. Mit dem Geld, das hier hineingeflossen ist, hätte man die offenen Studienplätze über die insbesondere sozial schlechter Gestellte heute nicht zu ihrem Anteil am sozialen Aufstieg gelangen können (weil es sie nicht gibt), durchaus errichten können. Den Verkehr könnte man aber — ohne Meier-Müllers Fetisch, den deutschen Kleinwagen — durchaus über die nichtausgelasteten Bundesbahnnetze (die man deswegen subventionieren muß) laufen lassen.

Der kleine Mann vermißt die Studienplätze nicht, sein Auto würde er vermissen. Denn: sein sozialer Aufstieg, seine Kreditwürdigkeit hängt ja vom Auto und nicht vom studierenden Sohn ab, dessen möglicher „Juso-Anstrich“ ganz im Gegenteil seine gesellschaftlichen Chancen nur verschlechtern würde.

Und wie geht es dem — wenn man Axel Cäsar Springers Presse trauen darf — Rückgrat der deutschen Freiheit: dem mittelständischen deutschen Unternehmer? Nach außen hin gut, nach innen zu schlecht. Das stille Sterben, das so renommierte Industriezweige, wie etwa die Solingensche Eisenwarenfabrikation, seit Jahren erschreckt, hat nun die in einem Boom ohne Parallelen befindliche Bauindustrie erfaßt. Damit geht es einem Liebkind der Konjunktur, dem Hausbau, ans Leben; denn schon ist derjenige besser daran, der nicht heute, sondern erst morgen sein Geld in den Erwerb eines der zahlreichen leerstehenden fertigen Reihen- oder sonstigen Häuser steckt, die rings um

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