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Am Ende des alten Europa

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Bilaterale Kontakte zwischen Österreich und Portugal wurden seit 1992 intensiviert. Trotzdem ist das 3.000 Kilometer entfernte EG-Land für Oster-reicher terra incognita.

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Bilaterale Kontakte zwischen Österreich und Portugal wurden seit 1992 intensiviert. Trotzdem ist das 3.000 Kilometer entfernte EG-Land für Oster-reicher terra incognita.

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Geht es uns wie den Römern? Für sie war Por-tugal/Lusitania das äußerste Ende der Welt. 50.000 Touristen aus Österreich besuchen heutzutage pro Jahr die Algarveküste, Pilger nach Fatima machen einen großen Teil von ihnen aus.

Diese Zahl ist sowieso schon eine gigantische Steigerung des „Besucherstromes" aus Osterreich. Als Portugal 1974/75 mit touristischer Werbung in Osterreich begann, waren es nur 6.000 Landsleute, die das Ende der alten Welt kennenlernen wollten. Aber damals gab es noch keine Direktflüge zwischen Wien und Lissabon. Heute ist die Distanz von 3.000 Kilometern an ein paar Tagen der Woche von Wien aus in kürzester Zeit zu überwinden.

Eine kleine Umfrage im Bekannten- und Freundeskreis offenbart es: Portugal hat ein gutes Image in Österreich, es sei ein schönes Land, tönt es unisono. Auf den Nachstoß, warum?, kommt schon keine Anwort mehr. Manche erinnern sich, daß Portugal doch einmal zu den ärmsten Ländern Europas zählte. „Ist das noch so?"

Österreichs angestrebter EG-Beitritt brachte es mit sich, daß die Besuchsdiplomatie mit dem flächen-und einwohnermäßig etwas größeren Portugal (siehe Graphiken auf Seite 12), das seit 1986 Mitglied „der Gemeinschaft" ist und in der ersten Hälfte des Vorjahres auch den EG-Vorsitz innehatte, seit kurzem intensiviert wurde. Der aktuelle außenpolitische Bericht weist es aus. Mock, Busek und Maderthaner, Bundesrat-Vize Schambeck, Innenminister Löschnak, Vranitzky (sogar zweimal) und Staatssekretärin Ederer gaben sich 1992 die Türklinke Portugals in die Hand. Umgekehrt konnte Osterreich Portugals Staatsoberhaupt Mario Soares exakt vor einem Jahr mit Gattin zu einem Arbeitsbesuch in Wien empfangen - unmit-

telbarer Anlaß damals war die Eröffnung der Tapisserien-Ausstellung „Die Portugiesen in Indien, die Eroberungen des Dom Joäo de Castro" im Kunsthistorischen Museum in Wien.

Vor zweieinhalb Wochen hielt sich unser Bundespräsident - ebenfalls zu einem Arbeitsbesuch 7 für zwei Tage in Lissabon auf. Österreichische Tageszeitungen hatten außer den wohlwollenden Tönen von beiden Seiten wenig zu berichten: großen Raum nahmen Protokollfragen ein. Klestil, der sich auf minimalen protokollarischen Aufwand eingestellt hatte, war nämlich mit ungewöhnlicher Ehrerbietung empfangen und behandelt worden.

Die konkreten Anliegen der beiden Länder - vertiefte Zusammenarbeit und damit Stärkung der Position „der Kleinen" in einer zunehmend von Deutschland und Frankreich dominierten Europäischen Gemeinschaft - wurden von Österreichs Medien nur am Rande erwähnt. Dabei hätte es Gelegenheit genug gegeben, auszuführen, warum und inwiefern Portugal seit dem

EG-Beitritt „ungeheuer aufgeholt" habe, wie Klestil konstatierte.

Man hätte den Österreichern darlegen können, daß Portugal seit seinem Eintritt in die Gemeinschaft aus den EG-Strukturfonds pro Tag mehr als 44 Millionen Schilling zugesprochen erhalten hat. Davon stammt der größte Teil aus dem europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der wirtschaftliche und soziale regionale Unterschiede abbauen soll. Weitere Gelder für das Ex-Armenhaus, das sich langsam zu einer Industrienation mausert, aber innerhalb der EG noch immer den höchsten landwirt-

schaftlichen Anteil (bei durchschnittlich sieben Prozent) aufzuweisen hat (Graphik Seite 12), kommen aus dem europäischen Sozialfonds (EFSF), der die berufliche Bildung, Umschulung und Einstellung von Jugendlichen unterstützt, sowie aus dem europäischen Ausrichtungsund Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAFL). Für Innovationen der portugiesischen Industrie, die - weil wenig diversifiziert - vor allem mit der Ölkrise 1973 eine Lahmlegung auf einen Schlag zu verkraften hatte (Seite 14), gibt es einen speziellen Fonds der EG. Wir sehen, Portugal als Beispiel für positive Auswirkun-

gen eines EG-Beitritts anläßlich der Klestil-Blitzvisite den Österreichern vor Augen zu führen, wäre allemal gut gewesen; auch wenn Österreich heute mit ganz anderen Voraussetzungen und mit viel besseren Wirtschaftsdaten als vor sieben Jahren Portugal diesen Schritt wagt.

Hauptmotiv für Portugals EG-Beitritt waren die gewaltigen Änderungen, die in den 70er Jahren das Kolonisatoren-Land in einen Kleinstaat am Rande Europas verwandelten. Heute will Portugal ein „Vermittler zum Süden" und das „Kalifornien Europas" mit Hochtechnologie und sauberen Industrien sein.

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