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Am Ende jeder Außenpolitik

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War die US-Innenpolitik schon im abgelaufenen Jahr durch die politische Rivalität zwischen dem Weißen Haus und dem Kongreß gelähmt, so versprechen die komplizierten Vorwahl- und Wahlkämpfe ein Netz zu ziehen, durch das kaum mehr als die allernotwendigsten Gesetze durchschlüpfen kann. Gouverneur Reagans Schatten am rechten Flügel der Republikaner drängt Präsident Ford weit nach rechts und gefährdet damit die Position des Präsidenten in der Mitte des politischen Spektrums. Denn nur ein Mann der Mitte wird die eigentlichen Präsidentschaftswahlen im November gewinnen.

Der Kampf Reagan—Ford eröffnet daher den Demokraten große Möglichkeiten. Auch sollte das Argument nicht unterschätzt werden, daß bloß ein Demokrat im Weißen Haus imstande sei, das Tauziehen zwischen Kongreß und Weißem Haus zu beenden und die Regierung wieder regierungsfähig zu machen.

Selbst dem beharrlichen Gegner muß Ford leidtun, wenn er sieht, wie Ford selbst die geringen Mittel für seine Angolapolitik verweigert werden; wie Kongreßkomitees stillschweigend dazu beitragen, daß der Geheimdienst entmachtet wird und seine führenden Vertreter, wie etwa in Athen, abgeschossen werden; wie die Detentepolitik, die ja eigentlich dem Programm und dem Gedankengut der Demokraten entsprang, zum Kinderschreck gemacht wird. Es ist ja richtig, daß die Sowjets diese Politik einseitig für sich interpretieren und anwenden. Das hat aber weniger mit dem Konzept zu tun, als mit der Tatsache, daß die Vernunftehe zwischen einem kräftigen, brutalen und skrupellosen Partner und einem kränklichen, unentschlossenen geschlossen wurde. Mit Sicherheit kann jedoch gesagt werden, daß die Beziehungen zwischen Moskau und Washington auch unter einem demokratischen Präsidenten sich nicht wesentlich anders gestalten würden als jetzt.

Was die wirtschaftliche Zukunft betrifft, so geht es hier im wesentlichen um die erfolgreiche Kontrolle des Preisniveaus. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist ein automatischer Prozeß, der natürlich durch den bevorstehenden Wahlkampf dramatische und vielfach auch demagogische Interpretation erfahren wird, aber die gesunden Instinkte scheinen obsiegt zu haben, man empfindet in weitesten Kreisen die Inflation als das Hauptproblem. Es ist bemerkenswert, daß immer mehr Politiker — auch bei den Demokraten — als Sparmeister auftreten und in diesem Zusammenhang mag die Lehre vom finanziellen Zusammenbruch New Yorks ihre heilsame Wirkung gehabt haben.

Ob unter einem demokratischen Präsidenten die konservativen Prinzipien obsiegen würden, ist natürlich fraglich. Jene Kreise in der demokratischen Partei, die sich in alter Tradition politischen Erfolg vom Geldausgeben versprechen, sind nicht ausgestorben, und jedet „demokratische“ Präsident wird ihnen irgendwie Tribut leisten müssen.

Ernte und Agrarpreise sind jedoch Imponderabilien, die jede Preis-niveaupEognose über den Haufen werfen können. Die Demokraten in Washington wären vermutlich mehr um die Konsumenten besorgt als die mit den Farmern politisch alliierten Republikaner. Auch kommt immer stärker zum Bewußtsein, daß die Agrarreserven die vielleicht wichtigste Waffe im Verhandlungsarsenal der Amerikaner darstellen.

Die Zukunft des Zusammenlebens der Rassen in den USA hat sich nach einer Periode der Konfrontation wieder in der Richtung einer graduellen Integration entwickelt. Der Widerstand gegen das „Busing“ kommt allerdings nicht nur von den Weißen. Auch Neger empfinden es als degradierend und unbequem, daß sie aus ihren Wohnbezirken in weiße Schulen „gebust“ werden sollen und eine Niveauhebung hat dieses Programm bisher nicht gebracht. Dagegen brachte die „New York Times“ kürzlich einen interessanten Artikel, wonach auch besser situierte Neger die Großstädte verlassen und in die Vorstädte ziehen, um ihren Kindern eine bessere Erziehung angedeihen zu lassen. Der Schlüssel zur Entschärfung des Rassenproblems liegt im Wirtschaftlichen. Eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards würde von dem konstruktiv denkenden Teil der Negerbevölkerung in bessere Erziehung umgesetzt werden.

Sehr im argen liegt das Justizwesen mit seiner Verstrickung von Politik und Justiz. Gerade im Augenblick, da ein noch von Gouverneur RockefeUer eingesetzter „republikanischer“ Spezialstaatsan-walt einer engen Korruptionsgemeinschaft zwischen „demokratischen“ Politikern und Richtern auf die Spur zu kommen schien, wurde er vom „demokratischen“ Gouverneur Carey entlassen. Es ist symptomatisch, daß die den Demokraten immer sehr nahestehende Presse in diesem Fall keine Untersuchungsreportage wie im Fall Watergate betreibt. (Obwohl allein im New Yorker Bereich das Potential für Dutzende „Watergates“ vorhanden ist.)

Dagegen erscheint es als geradezu lächerlich, wenn man Ubergriffe des Geheimdienstes, die meist im nationalen Interesse erfolgt sind, an die große Glocke hängt. Es paßt genau in das Bild einer sich zersetzenden Demokratie, wenn man dort die Augen zudrückt, wo ihre korrupten Träger bloßgestellt werden, während man den Puritaner spielt, wo wehrlose Diener dieser Staatsform übereifrig waren.

Daß zuletzt auch noch Zusammenhänge zwischen der Mafia und dem verblaßten Idol der amerikanischen Jugend, dem Präsidenten Kennedy, in den Vordergrund gespült werden,war bei der CIA-Untersuchung weder beabsichtigt noch ist es sehr konstruktiv.

Die amerikanische Nation steht am Eingang in das dritte Jahrhundert ihrer Existenz voll von Mißtrauen gegenüber ihren Einrichtungen, die in allen Bereichen bedrohliche Abnützungserscheinungen zeigen. Das Amt des Präsidenten ist durch Nixon und zuletzt auch noch durch Kennedys amouröse Extravaganzen in Mißkredit gebracht worden. Ford, ein Mann der absolut reinen Weste, zeigt zu wenig Kaliber. Die Gesetzgebung hat Funktionen arrogiert, die sie ihrer Struktur und Fähigkeit nach nicht erfüllen kann. Das Justizsystem ist verpolitisiert. Nur der Wirtschaftsprozeß verläuft nach seinen eigenen Gesetzen. Aber auch diese werden immer stärker von politisch-egoistischen Interventionen beeinträchtigt.

Die amerikanische Demokratie ist also „gezeichnet“. Sie beginnt das dritte Jahrhundert ihrer Existenz unter berechtigten Zweifeln an sich selbst.

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