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Am Ende wert-los

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Der Zeitungstod geht um. Er schwingt die Axt im Blätterwald streng nach dem Proporz: der schwarzen „Süd-Ost-Tagespost“ folgte ohne Chance auf Gegenwehr das rote „Oberösterreichische Tagblatt“ auf dem Weg ins schnelle Vergessen.

Das Land hat es, wie alles seit eh und je, gelassen und mit Achselzucken zur Kenntnis genommen. Stirbt ja auch der Wald, von dem das Papier für Zeitungen kommt; stirbt ja auch das „gedruckte Wort“ unter der Wucht der Bilderflut des elektronischen Zeitalters, stirbt so vieles, was die politische Kultur eines Landes ausmacht — da soil’s auf ein paar ohnehin schwer defizitäre Parteizeitungen mehr oder weniger ankommen … ?

Es kommt darauf an. Nicht so sehr, weil es um die Parteizeitungen selbst geht, sondern weil ihr Siechtum und schließliches Ende über den konkreten Anlaßfall hinaus symbolhaft für einen kulturell-politischen Zustand dieses Landes steht, auf den die meisten mit anerzogener Gleichgültigkeit, viele mit Verdrängung und Erinnerungsschwäche und wenige mit innerer oder tatsächlicher Emigration reagieren. Wir leben im Zustand der Entideologisierung.

Wenn nur mehr die von Tagesereignissen diktierte Pragmatik der Macht den Raum öffentlichen Denkens und Redens füllt, die kollektive Fixierung auf den materiellen Wohlstand, und nicht der Wettstreit der Ideen und politischen Überzeugungen — welche Lebenschance, welche Lebensberechtigung sollten dann in der Tat Parteizeitungen noch haben?

Wenn auf all das, was eine lebendige, pluralistische Demokratie kennzeichnet, verzichtet wird, weil nicht mehr Weltanschauungen, sondern der Dauerbrenner wirtschaftliches Krisenmanagement im Vordergrund steht, was rechtfertigt dann überhaupt noch die Existenz dieses Parteiensystems selbst?

So ist das Sterben der Parteipresse nur ein Signal für das langsame Sterben der Parteien selbst, zumindest der Parteien alten Stils. Sie gehen an ideologischem Skorbut zugrunde.

Und die Geschichte wird einmal nüchtern vermerken: Man hat zwar in dieser Zweiten Republik vieles, ja alles für den materiellen

Wiederaufbau getan, der ideelle Wiederaufbau aber aus dem psychischen Schutt, den Nationalsozialismus und Weltkrieg hinterlassen haben, der unterblieb.

Es hat sich niemand gefunden, die Werte und Ideale, die die nationalsozialistische Verbrechens- Herrschaft und Verbrechens-Gefolgschaft für ihre Zwecke mißbrauchte und pervertierte, aus diesem Schutt zu befreien. Anstelle dessen hat man das Schweigen, Vergessen und Verdrängen gewählt. Darin liegt einer der entscheidenden Gründe, warum so vielen in diesem Lande—nicht zuletzt den Jüngeren — so vieles wert-los erscheint…

Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit dem unaufhaltsamen Verlust der alten Treuebeziehungen zwischen Parteien und ihrer Wählerschaft. Die verspielte Glaubwürdigkeit der Parteien, ihr profilloses äußeres Erscheinungsbild und nicht zuletzt eben jene alles andere überschattende propagierte Wohlstandsideologie lassen Identifikation, lassen politische Heimatgefühle bei den nachfolgenden Generationen nicht mehr zu.

Der neue Typus des Wechselwählers bedarf auch nicht mehr der parteipolitischen Ausrichtung durch Parteizeitungen. Er sucht sich seine Entscheidungsgrundlagen dort, wo sie ihm nicht gleichsam als Pflicht auferlegt werden, meist im auflagenstarken Boulevard und den reichweiten elektronischen Medien.

Dazu kommt: Die moderne Informationsgesellschaft läßt starre politische Orientierungen gar nicht mehr zu. Die Fülle angebotener Informationen erhöht die Entscheidungsmöglichkeiten — freilich bei gleichzeitig steigendem Entscheidungsdruck, der nicht selten in Resignation und politische Apathie mündet, weil eben die Entscheidungsgrundlagen aus Mangel an Wertorientierung (siehe oben) fehlen. Dazu kommt die Anpassung an die Mechanismen der modernen Informationsgesellschaft.

Im politischen Kalkül der Parteien spielt die publizistische Kampfkraft ihrer Blätter schon lange nicht mehr die Rolle, die ihnen noch zur Gründerzeit und in der Ersten Republik zukam. Um für sich und ihr politisches Handeln die notwendige öffentliche Aufmerksamkeit und Zustimmung zu erreichen, bedienen sich Politiker und Parteisekretariate der großen, der parteifernen Medien. Wer in den „gewichtigen“ Medien präsent ist, kann auf den „Luxus“ des eigenen, kränkelnden und bloß in Randzonen agierenden Sprachrohrs verzichten.

Verlegerische Unbegabung und die Absurdität einer Presseförderung, die im Gießkannen-Prinzip die florierenden, auflagenstarken Zeitungen noch reicher macht, ohne den kleinen, ständig um ihre Existenz am Medienmarkt ringenden Blättern zu Wachstum und Blüte verhelfen zu können, markieren dann nur die letzten Etappen auf dem abschüssigen Weg, der sich im geistigen Provinzialismus verliert…

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