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Am Grabe Hermann Hesses

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Am 11. August ist Hermann Hesse auf dem Friedhof von S. Abbondio zu Grabe getragen worden. Er hatte dde Stelle, an welcher er ruhen würde, zu Lebzeiten bestimmt: im unteren Teil des umfriedeten Ortes, an der Mauer, hinter welcher der Turm von S. Abbondio aufragt; und weiter, auf der anderen Talseite, die jähe Höhe des San Salvatore. Im Talgrund die Fabrik. Was sagte er von ihr? „Du auch bist schön, Fabrik im grünen Tal... Oft erfreut/Deiner Dächer zärtliches Rot mir das Auge/ Und dein Mast, deine Fahne: das stolze Kamin!...“ Abgerückt vom Verkehr, eine halbe Wegstunde vom Friedhof S. Abbondio entfernt, in Bäumen und Gebüsch, steht das Haus, welches Hermann Hesse im Jahre 1931 bezogen hat. Alle Welt, ich hab' mein Lehen! widerhallte es in seinem Herzen. Heimisch sein; Boden haben und ihn bebauen, nützen, wie es die Landleute tun und die Hirten — teilhaben am vergili-schen, seit zweitausend Jahren unveränderten Rhythmus des ländlichen Kalenders: das blieb ihm über jedes Vorläufige und Flüchtende hinaus ein Stand, aufs innigste zu wünschen. Er war ihm durch die Großmut des Freundes Hans C. Bodmer unerwartet gegeben — das Los fiel „wie eine reife Kastanie dem Wanderer auf den Hut fällt, er braucht sie nur zu öffnen und zu essen“. Das Haus, zu Lehen auf Lebenszeit, war der gesuchte Ruheort, Kastalien, die pädagogische Provinz, in welcher hinfort die Wanderungen und die Verwandlungen der Seele meditiert und meditierend vollzogen wurden; Denk- und Fühlgebärden des Morgenlandfahrers. Wer auf dem Torweg dem Hang entlang auf das Haus zuging, war umhüllt von Verschwiegenheit. Und im Haus herrscht der Geist der Einkehr lautlos lebendig. Die Bibliothek liegt zwischen dem Speisezimmer und dem Arbeitsraum des Dichters.

Wie war es damals?

Die Türe des Arbeitszimmers ging auf. Er war da. Und sogleich nur er. Jacke und Hose aus braunem Manchester; das Hemd sportlich, ohne Krawatte — der alte Mann, frisch durchströmt von Energien der Erfahrung, die Augen groß ruhig offen unter rascher Neugier, das Gegenüber musternd, durchblickend; und plötzlich fließen Freude ein, Herzlichkeit und Vergnügen. In seiner Mundart mischen sich Laute der Ostschweiz, Basel, und leise ein schwäbischer Nachhall. Ist er bei uns? Sein Lachen auf eine vergnügte Wendung im Gespräch sagt: Ja, ich bin da — aber sein Äugen, über uns weg, hinaus in die Luft, die Waldhänge, den Himmelsbogen, die Wolkengänge — wie ein Königsvogel auf dem Horst — sagt: Nein, ich bin fort. Den Mund leicht geöffnet, scheint er Ansprache aus dem Weiten zu hören, genau gesammelt, auf dem Sprung zur Antwort; aber er wird es nicht laut tun, er wird schweigend reden. Dann schließt er plötzlich den Mund und spitzt die Lippen, als müßte der Abschluß gezeigt werden. Und ist wieder da. Es war gerade von ostasiatischen Gesängen die Rede. Eine Schallplatte wurde aufgelegt. Sie dreht; das Streifgeräusch der Nadel ist stark im stillen Zimmer; alle warten, erwarten. Es kommt aber nichts. Im Apparat ist etwas verrückt. Was? Hermann Hesse schaut unseren Bemühungen zu, nicht schadenfroh, doch vernügt und plötzlich mit Lachen. Und dann sammelt sich seine Aufmerksamkeit auf einen inneren Ort: er lauscht hinein. Hörte er dort die fernen Gesänge?

Als wir den Torweg wieder hinausschritten, stieg die Sonne ruhig im Nachmittag ab. Das Land lag in den Farben, welche der Maler Hermann Hesse Jahr um Jahr in ihrer Stundenverwandlung zu gewinnen und zu feiern suchte, Blau, Gelb, Rot, Grün, durchlichtet von dem ungeteilten Weiß. Da schaute er fast willenlos offen hinein und fand Zusammenhang und Einklang. Im Gartengelände gegen das Tal kam der Schatten. „Stunden im Garten.“ In scherzend gelegten Hexametern hat er dort vom Glück des Gärtners erzählt, der hegend, spielend dem Wachstum beisteht und ihm zuschaut, nützend doch nicht auf Nutzen gesonnen; er durfte sagen: „...dafür hat Gott mir gestattet./Nicht bloß in unseren Tagen zu leben, sondern der Zeit mich/Oft zu entschlagen und zeitlos zu atmen im Räume, einst galt das/Viel und wurde Entrückung genannt oder göttlicher Wahnsinn./ Heute gilt es nichts mehr...“ Hat je einer von diesem Manne Abschied genommen, ohne wieder zu empfinden und als eine in der Epoche totaler Indiskretion kaum mehr denkbare Erfahrung mitzunehmen, was eine von den Forderungen des Tages tief Betroffener empfunden hat,

Thomas Mann: .....Wie beneidete ich ihn damals! — nicht nur um seine Geborgenheit im Freien, sondern vornehmlich um das, was er an zeitig gewonnener seelischer Freiheit vor mir voraus hatte, um seine philosophische Distanziertheit von aller deutschen Politik. Es gab nichts Wohltuenderes, Heilsameres in jenen verworrenen Tagen als sein Gespräch.“

Vorbei. Das wird es nicht mehr geben.

Gegenwart, die wir mit Vergangenheit überzogen, will ihr Recht: 11. August, vier Uhr nachmittags. Die Sonne stechend aus blaudunstigem Himmel. Im Freien vor der Fried-hofkapelle steht der Sarg, gedeckt mit Rosen; die Buchstaben „H. H.“ ins braune Holz eingelegt. Fahnen von Vereinen aus der Gemeinde sind da, zwei links des Sarges, zwei rechts. Jetzt singen Männer aus der Gegend das „Pie Jesu“ von Palestrina; ruhig und innig lautet es aus, ohne Nachhall im Offenen. Der Sindaco der Gemeinde Montagnola tritt vor und nimmt Abschied von dem Dichter, der Ehrenbürger war am Ort. — Dann der Jugendfreund, mit welchem Hermann Hesse in Maulbronn dieselbe Schulzeit lebte, Dekan Völ-ter. Aus dem dreizehnten Kapitel des ersten Briefes an die Korinther liest er die Worte über unser Wissen, das Stückwerk ist; einmal werden wir erkennen, gleich wie wir erkannt worden sind; „nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“. Von da aus führt er seine Gedanken zum Freunde, welcher die abendländisch-christlichen und die buddhistisch-östlichen Denk- und

Glaubensgüter seines Herkommens aufnahm, sie zweifelnd preisgab, verzweifelt die Leere wagte und durch Erschütterungen hindurch das Erbe neu erwarb, jetzt als Besitz. Aber Besitz war nicht Ruhe. Meditation, Einstimmen der Seele ins Ein und All — Tun und Wirken im Tage: das ist der Widerstreit, welcher der Mensch zu tragen hat; Schlichtung ist ihm noch nicht gegeben, wir leben in der Morgendämmerung. Mit dem Gebet, das in der Bergpredigt gesprochen worden ist, „Unser Vater“, schloß der fünfund-achtzigjährige Mann unter dem bedrängenden Sommerlicht. Nach ihm sagten drei Männer letzte Grüße: Bibliotheksdirektor Dr. Wilhelm Hoffmann aus Stuttgart für die Schillergesellschaft, das Land Baden-Württemberg, für Deutschland; ein Vertreter aus Calw für den Rat und die Bürger von Hesses Geburtsort. Der Verleger, Dr. Siegfried Unseld, Nachfolger Peter Suhrkamps, setzte drei Worte: Dankbarkeit, Verehrung, Liebe — Dankbarkeit dafür, daß wir teilhaben durften am Dasein Hermann Hesses; Verehrung für das Werk, in welchem dieses Dasein aufgehoben ist; Liebe für einen Menschen, welcher seinen Weg vorbildlich hielt und an das Ziel gekommen ist, das zubestimmt war. Und Siegfried Unseld sprach das Gedicht „Leb wohl, Frau Welt“, Strophen aus dem April 1944:

Es liegt die Welt in Scherben, Einst liebten wir sie sehr, Nun hat für uns das Sterben Nicht viel Schrecken mehr.

Man soll die Welt nicht schmähen, Sie ist so bunt und wild, Uralte Zauber wehen Noch immer um ihr Bild.

Wir wollen dankbar scheiden Aus ihrem großen Spiel; Sie gab uns Lust und Leiden, Sie gab und Liebe viel.

Leb wohl, Frau Welt, und schmücke Dich wieder jung und glatt, Wir sind von deinem Glücke Und deinem Jammer satt.

Noch einmal sangen die Männer von Mendelssohn „Beati mortui“. Dann hoben zwei Söhne und zwei Enkel Hermann Hesses den Sarg auf und trugen ihn vom Platz vor der Kapelle ins untere Feld des Friedhofs zum Grab. Die Kränze, die Blumen blieben bei der Kapelle, Grüße: vom Schweizerischen Bundesrat, vom Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, vom Lande Baden-Württemberg, von Körperschaften und Freunden. Es war noch nicht fünf Uhr, als die Menschen, welche den Toten zum Grabe begleitete hatten, den Hof wieder verließen — die meisten in hellen, bunten, leichten Sommerkleidern: sie sind in den Ferien im Tessin; da hörten sie vom Tode des großen Mannes und gingen zum Begräbnis; Verehrung und Liebe für den Dichter gab ernste Kleidung, und auch die schlichte Neugier eines Touristen mußte mit Schweißperlen beglichen werden .,.

Frau Ninon Hesse war von Max Wassmer auf den Friedhof geleitet worden — „denn du bist einer von den Treuen“, hat der Dichter von ihm gesagt.

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