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Am Kabel der Welt

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Am Kabel hängt, zum Kabel drängt fast alles — würde Goethe heute vielleicht angesichts der wachsenden Kabel-TV-Netze formulieren. Hielt man in Österreich Ende 1985 (siehe Tabelle) bei 300.000 an ein Kabelnetz angeschlossenen Haushalten, so nähert man sich nun der 350.000er-Marke. Insgesamt befinden sich sogar 1,360.000 Haushalte in für das Kabelfernsehen erschlossenen Regionen, doch bestellt erfahrungsgemäß anfangs nur rund ein Viertel der in Frage kommenden Haushalte einen Anschluß.

Marktieader in Österreich unter insgesamt 191 Kabel-TV-Betreibern ist die „Telekabel“, die fast 50 Prozent der heimischen Netze kontrolliert. Schwerpunkt ist Wien — mit 151.040 Anschlüssen eines der größten zusammenhängenden Netze der Welt.

Am Beispiel Wien erläutern „Telekabel“-Geschäftsführer Konrad Senft und -Marketingleiter Hans Jürgen Menedetter, welche Entwicklungschancen sie noch sehen. 240.000 Anschlüsse (bei insgesamt 720.000 Wiener Haushalten, die allerdings zum Teil leerstehen oder aus anderen Gründen für Kabel-TV nicht in Frage kommen) dürften bis zum Jahr 1990 maximal erreichbar sein. Daß die Attraktivität des Kabelfernsehens zunimmt, geht daraus hervor, daß zwei Drittel der jährlichen Neuanschlüsse in schon verkabelten Gebieten erfolgen, nur ein Drittel entfällt auf neu erschlossene Regionen.

In ganz Österreich dürften rund 650.000 Haushalte die maximal erreichbare Grenze darstellen. Die Erfahrungen nahezu total verkabelter Länder wie Belgien und Niederlande sind aufgrund von Topographie, Besiedlung und Sprach(un)kenntnissen auf Österreich nur bedingt übertragbar.

Zum Unterschied von diesen Ländern, in denen pro Abend etwa 70 Prozent der eigenen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt und etwa 30 Prozent ausländischen Kabel-Programmen den Vorzug geben, bleiben Österreichs Kabel-TV-Konsumenten nur zu 60 Prozent den ORF-Programmen treu, während 40 Prozent „über den Zaun schauen“. Angeblich sehen Kabel-Kunden nur unwesentlich mehr fern (2:23 Stunden pro Abend) als ORF-Teilnehmer (2:18 Stunden).

Fast identisch mit der Zahl der Kabel-Kunden (zwölf bis dreizehn Prozent der Haushalte) ist in Österreich die Zahl der Videorecorder-Besitzer, was zwar keine völlige Ubereinstimmung dieser Gruppen bedeuten muß, aber auf starke Überlappung hinweist.

Die Anschlußgebühr an das Kabelnetz liegt in Wien mit 3.250 Schilling (ab Jänner 1987) am unteren Rand, in ländlichen Gebieten kann sie bisweilen das Vierfache betragen. Die Monatsgebühr von 120 bis 160 Schilling liegt jedenfalls noch deutlich unter der von Kabel-Teilnehmern natürlich auch zu berappenden ORF-Gebühr.

Das reichhaltigste Programmangebot — zwölf Kanäle, davon zwei (vor allem bei Sportübertragungen genutzte) jugoslawische — haben in Österreich die Grazer. Die gängigsten Programme sind neben den beiden ORF-Kanälen, drei deutschen Programmen und dim Deutschschweizer Fernsehen vier Satellitenprogramme (in Klammer die geschätzte derzeitige Anzahl angeschlossener Haushalte in ganz Europa):

• Sky Channel (neun Millionen),

• SAT 1 (über zwei Millionen),

• RTL plus (über zwei Millionen),

• 3sat (knapp zwei Millionen). Bis auf 3sät (von öffentlichrechtlichen Anstalten in Österreich, Deutschland und der Schweiz betrieben) sollten sich diese Programme durch Werbung finanzieren, was bisher noch keinem kostendeckend gelungen ist. In der Publikumsgunst liegen SAT 1 und RTL plus klar vor Sky Channel und 3sat.

Frischen Wind ins TV-Geschehen dürften die ersten „Direktsatelliten“ (aus Deutschland und Frankreich) bringen, deren Start bereits 1986 geplant war, sich aber aufgrund technischer Pannen weit ins Jahr 1987 verzögern wird. Ihre Transponder“ (.= Empfänger + Frequenzumsetzer + Sender) mit einer Sendeleistung von bis zu 250 Watt ermöglichen schon mit Parabolantennen von 60 bis 90 Zentimeter Durchmesser einen guten Empfang. Bei den bisherigen Fernmeldesatelliten (20 Watt pro Transponder Sendeleistung) waren Spiegeldurchmesser von drei bis fünf Metern erforderlich. Der Direktsatellit hat dafür nur Platz für maximal vier TV-Kanäle (statt eines TV-Programms sind auch bis zu 16 Radiostereoprogramme möglich).

Die. 60-Zentimeter-Antenne (um 15.000 bis 20.000 Schilling) wird kaum Konkurrenz machen, sondern sich dort durchsetzen, wo ein Kabelnetz-Ausbau unwirtschaftlich ist, oder bei jenen Zeitgenossen, die sich noch bestimmte Minderheitenprogramme vom Himmel holen wollen, auf die Kabel-TV-Gesellschaften wenig Rücksicht nehmen können.

So oder so könnte der Wunsch einer qualifizierten Minderheit nach einem französischsprachigen Programm (der in einem oberösterreichischen Netz laufende Versuch mit „TV 5“, einem Mixprogramm französischer Sendeanstalten, wurde vor einigen Wochen eingestellt) bei Inbetriebnahme des französischen Direktsatelliten erfüllt werden. An englischen Programmen Interessierte dürfen hoffen, daß der niveaulose Sky Channel bald durch einen „Super Channel“ (von ITV, BBC und anderen britischen Gesellschaften gestaltet) verdrängt wird.

Qualitätsbewußtsein sollte jedenfalls in Zeiten ausufernder TV-Angebote für alle, die am Kabel der Welt hängen oder dafür Verantwortung tragen, das Gebot der Stunde sein.

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