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Am Lehrplan vorbei

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Die Texte von Schulbüchern dringen den Lernenden tief ins Gedächtnis. Zum Beweis: Einer ganzen Generation wurde Ägypten zum Geschenk des Nils und Maria Theresia eine vielfache kaiserliche Mutter. Texte solcher Bücher regen die Vorstellungswelt von Generationen an; da der Schüler sie eifrig studiert, bleiben sie in seinem Gedächtnis hängen. Nicht immer aber scheinen in den Schulbüchern der Oberstufe der höheren Schulen die Autoren sich dessen voll bewußt zu sein.

Der Schulerfolg, den sich Eltern, Lehrer und Schüler wünschen, hängt nicht nur von den Qualitäten des Lehrers und Schülers, vom „dritten Milieu" oder sonstigen Einflüssen auf die Jugend ab, sondern auch von den Schulbüchern. Sie können Lernen leicht oder schwer machen; sie können Schüler motivieren; sie können im Aktualitätsbezug interessant sein, sie können aber auch durch Schwerfälligkeit und teilweise Unverständlich keit der Ausdrucksweise einen Schüler von seiner Studierecke daheim in die nächste Discobar jagen.

Schulbücher werden vom Ministerium approbiert; das geschieht sicher mit aller Ein- und Umsicht. Schulbücher werden aber vom „Konsumenten" nie rezensiert Die „Rückmeldung" über ihre Brauchbarkeit ist daher äußerst dünn. Gelegentlich schicken Verlage pensionierte Lehrer oder Lektoren an die Schulen, die kurze Konferenzzimmergespräche mit den von Stunde zu Stunde hastenden Lehrern führen. Die Schüler als „Endverbraucher" dieser Bücher aber haben wenig Mitbestimmungsrecht. In den Städten Österreichs draußen auf dem Lande können ihnen die Buchhandlungen für die

Schulbuchauswahl auch nicht alle Alternativlernbücher zur Einschau geben. Das Mitbestimmungsrecht von Schülern und Eltern für die Buchauswahl bleibt daher leider sehr oft „frommer Wunsch".

Schüler der Oberstufen sind aber gewiß in der Lage, ein positives wie auch ein negatives Urteil über ihre Lernbücher zu geben. Das haben sie an einer Schule unmanipuliert und zum Teil aus eigenem Antrieb getan. Sie haben 108 Bücher einer Rezension unterzogen und dabei Feststellungen gemacht, die künftig Autoren und Verleger zu denken geben sollen.

Hier das, was sie in den „Realienfächern" fanden (also in Geschichte, Erdkunde, Biologie, aber auch in Fächern wie Religion, Philosophie) und bei der'lebenden Fremdsprache feststellten (wobei jede kritische Anmerkung nicht für jedes Buch gilt):

• Inhalte der Bücher gehen am Lehrplan vorbei.

• Die Bücher sind oft zu umfangreich; es handelt sich aber auch um keine Arbeitsbücher; sie ersetzen wieder nicht das Mitschreiben während der Unterrichtsstunde, nicht er-

' setzen sie somit das Heft, also fördern sie „Schreibzeiten" und ersparen dadurch nicht „Lernzeiten".

• In modernen Sprachen wie Englisch werden viel zu viel Geschichte und Spezialbereiche der Landeskunde dargetan. Die Beiträge sind wenig aktuell, sie wirken eher verstaubt.

• In den Sachbüchern ist die Diktion schwerfällig, oft unverständlich, Schachtelsätze erleichtern das Lernen nicht; die Autoren drücken sich oft unverständlich und „geschraubt" aus.

• Geradezu „umwerfend" sind die Bücher mit Fremdwörtern versehen.

Davon findet man manche nicht einmal im Brockhaus erklärt.

• Unübersichtliche „Würste" sind häufig: Im Text „geht es in einem dahin", das „Kraut ist nicht von den Rüben zu unterscheiden", der Schüler weiß nicht, was jetzt wichtig ist oder nicht.

• Im Sprachbereich sind die vielen neuen Vokabeln gehäuft, der Schüler verliert die Lust am Lesen und Verstehen, weil er dauernd im Dictionary nachblättern muß.

• Der dargebotene Lernstoff ist so geartet, daß er nicht für das Leben vorbereitet, er geht an der Wirklichkeit vorbei.

• Beim Lesen der Geschichtsbücher verliert der Schüler den Zusammenhang; er versteckt sich hinter Details.

• Die Buchformate sind oft unhandlich; die Verleger haben nicht an die Schultaschen und oft lange Schulwege gedacht.

• In Physik sind die Beispiele nicht praxisbezogen; das Lernbuch ist passagenweise ohne Hilfe unverständlich.

• Das Geographiebuch kommt mit der sich ändernden Welt schlecht mit. Die Statistiken sind überholt (sechziger Jahre). Der Text ist weitschweifig, das Buch daher unnötig umfangreich.

• Philosophie: Mangelnde Akzentuierung schafft Unübersichtlichkeit; es fehlen erläuternde, lebensnahe Beispiele.

Selbstverständlich anerkennen die Schüler auch die Positiva der Bücher. Sie zu nennen, war nicht nötig; Überarbeitung verlangen nur die Negativa.

Der Verfasser ist Direktor des Bundesoberstufenrealgymnasiums Grieskirchen in Oberösterreich.

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