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Am runden Tisch

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Wenn eine Einladung des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten eintrifft: also, das kommt ja nun wirklich nicht alle Tage vor.

Und wie kommt man auf mich? Es geht um Literatur. Und was will man von mir? Es ginge um die Frage, wie man die österreichische Literatur im Ausland besser vertreten könne.

Und was erwarte ich von dem Abend? Vorsichtshalber wenig. (Ich werde angenehm überrascht.)

Zunächst fällt mir natürlich wieder Kurt Tucholsky ein. Sein lapidarer Ausspruch: „Nichts ist schimpflicher, als wenn Literaten Literaten Literaten nennen.“

Aber so arg wird es gar nicht.

(Eine Freude ist schon mal die Begegnung mit Ilse Aichinger, Friederike - Mayröcker, Ernst Jandl und György Sebestyėn, die ich lange nicht gesehen habe. Anderen Kollegen begegne ich zum ersten Mal. Die Gesichter rasten ein. Mit Namen, auch wenn es prominente sind, habe ich meine Schwierigkeiten. Das Essen ist wohltuend normal, keine Protzerei, der Saal in der Diplomatischen Akademie ein bißchen nüchtern. Aber bitte: für Atmosphäre ist schließlich jeder selbst verantwortlich.

Und was wissen die Damen und Herren zum Thema? Das reicht von vernünftigen Vorschlägen in knapper und präziser Sprache

(Marianne Gruber) bis zu schwach gebändigter Selbstinterpretation. Als von „singulärer Wahrheits-Projektions-Leistung“ die Rede ist, beschließe ich„ intelligent zu schweigen. Mein leiser Verdacht, daß jeder der Literaten (mich eingeschlossen) sich insgeheim für den besten Vertreter besagter österreichischer Literatur im Ausland halten könnte, wird aufs schönste bestätigt — wenn auch auf sehr feine Weise. Man muß genau hinhören. Aber auch die, die nichts sagen (es sind die Nichtssagenden…), scheinen sich das durchaus zuzutrauen.

Was zu Recht und mit Stolz — und zu Recht mit Stolz—mehrfach erwähnt wįrd, ist die Tatsache, daß Österreich ein Kulturland ist. Was wir im Ausland an erster Stelle zu vertreten hätten, sei Kultur und nochmals Kultur. Sie sei ein Exportfaktor comme il faut.

Das erinnert an Ernst Broch und seinen Ausspruch: „Ein Österreicher hat nichts — aber ein österreichisches Schicksal hat er bestimmt.“

Ünd nun haben wir immerhin doch etwas, und für diese Kultur - darüber sind sich alle einig - müsse etwas getan werden.

Es waren kompetente Vertreter jener verwaltenden Instanzen zur Stelle, die überzeugend mitteilten, daß etwas und wieviel dafür getan werde. Beeindruckend die Plädoyers von Emst Jandl, Wolfgang Kraus-und vor allem Pavel Kohout. Er und seine Frau waren von Alois Mock namentlich und besonders herzlich begrüßt worden, und alle wußten warum. Jandl, Kraus und der inzwischen wieder inhaftierte Kohout plädierten für menschliche Kontakte, Begegnungen, Gespräch. Wenn ein Mann wie Kohout von Freiheit spricht, hat das Wort einen anderen Klang. Er weiß, wovon er spricht. Die Sympathien aller Kollegen waren ihm spürbar sicher.

Zwei Sprecher — Ernst Jandl und Wolfgang Kraus - bewiesen überdies, daß es auch bei solchen Zusammenkünften durchaus witzig bis humorig zugehen kann, auch, wenn es um etwas so Hehres wie die österreichische Literatur geht.

Was ich mir daheim im stillen Kämmerlein zum Thema überlegt hatte, kommt überwiegend zur Sprache. Daß österreichische Bücher nicht nur in „die Kulturinstitute“ gehören, sondern in die Hände von Professoren, Dozenten und Studenten, die diese Bücher lesen sollen. Einleuchtende Appelle von Wolfgang Kraus und von György Sebestyėn gipfelten in der Forderung, die Leiter von Kulturinstituten länger in ihrem Amt zu belassen als die Botschafter, weil gerade im kulturellen Bereich Einfühlsamkeit, Geduld und Anknüpfung wie Pflege menschlicher Kontakte ausschlaggebend seien. Ist es gelungen, solche Kontakte herzustellen, sich also eingearbeitet zu haben, sei eine schnelle Abberufung oft gleichbedeutend mit der Vernichtung der bisher geleisteten Arbeit.

Der Gastgeber notiert, hört aufmerksam zu, antwortet. Das hat Hand und Fuß. Live ist er viel gewinnender als im Fernsehen.

In der Einladung war von der Komplexität des Begriffes „Österreich“ die Rede gewesen, der die lebendige Vielfalt der österreichischen Literatur entspreche, und vom Verhältnis der kulturellen Außenpolitik zu jener Literatur. Das Verhältnis gestaltete sich an diesem Abend eher wohlwollend; was jedoch „die österreichische Literatur“ denn nun eigentlich sei - das liegt auch nach einem fast zweistündigen Gespräch noch in der Luft. Man versucht, sich heranzutasten.

spricht von der Gabe der Einfühl- samkeit, der Anpassung, dem Fehlen jeder Aggression. (Aber um Himmels willen: Hat man denn Thomas Bernhard so schnell vergessen?) Das alles befriedigt nicht und wird dem weiteren Nachdenken empfohlen. (Vielleicht ist es das, was Milo Dor die „österreichische Schizophrenie“ nennt.)

Das österreichische Wesen kommt zur Sprache. Hier wird Emst Jandl herrlich massiv und kontert im Brustton der Überzeugung, daß die Welt weder am deutschen noch am schweizerischen, noch am österreichischen Wesen genesen werde. Und überhaupt sei er allergisch gegen das, „Wesen“, das so nahe beim „Verwesen“ angesiedelt sei.

Lotte Ingrisch ist davon überzeugt, daß jedes gesprochene Wort, zuvor jeder gedachte Gedanke und schließlich alles Geschriebene seine Wirkung habe und setzt nicht auf Kommerz. Marianne Gruber konstatiert realistisch, daß die Hoffnung darauf immer noch entwickelt werden könne, wenn alles andere im konkreten Bereich verwirklicht worden sei.

Lotte Ingrisch insistiert: „Wir werden alle untergehen - und ich bin froh darüber.“

Emst Jandl schlägt mit der Faust auf den Tisch: „Aber noch nicht jetzt!“ Das ist nicht nur ein männlich, sondern auch ein abschließend Wort, eine Art grünes Licht für die anwesenden Literaten, im Namen Österreichs mit neuem Mut zur Feder zu greifen.

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