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Ambiente fisico — was ist das?

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Wörtlich übersetzt heißt das Thema der „37. Biennale der bildenden Künste und der Architektur: Physische Umwelt“. Was die schöpferischen Menschen unseres Globus darunter verstehen, das präsentieren sie an etwa zehn verschiedenen Stellen der Inseln und Hauptinsel in Kirchen, Museen, Arsenalen und Pavillons bis zum 10. Oktober 1976.

Es beginnt mit konventionellen Photodokumentationen der Exhibi-tionen des „Werkbundes“ von 1907 bis in die dreißiger Jahre zwischen angewandter Kunst und Architektur in der Ca' Pesaro. Prominente Namen wie Josef Hoffmann, Adolf Loos, Oskar Strnad, Walter Gropius, Mies van der Rohe, Henry van de Velde rekapitulieren Vertrautes und teilweise noch Bestehendes.

Die Prunkbauten des Faschismus in der Chiesa San Lorenzo leiten über zur plakativen Malerei, zu Formen aus Glas und Kunststoff, zeigen den Menschen im technisierten Maschinenzeitalter und gipfeln in den Dokumenten der Zerstörung des spanischen Bürgerkrieges: Zeitungsmeldungen, Photos von Bomben, Tod und Vernichtung. Reste von Kulturdenkmälern überragen Elend, Flüchtende, Tote. Das Entsetzen wohnt in Renaissancegewölben neben der elitären Bildergalerie der Accademia di Belle Arti.

Und neues Leben blüht aus Ruinen in den Magazinen der Zattere hinter der Chiesa Maria della Salute Großraumphotos europäischer Städte, Wohnsiedlungen, Büro- und Fabrikbauten, Bäder, gestaltete Grünflächen — nichts Außergewöhnliches, eben unsere moderne Umwelt. Daneben aus San Giorgio Man Rays Photostudien seit 1917, verlebendigte Gegenstände, das Objekt als Anschauungsmaterial, inmitten verloren — wie zufällig — das menschliche Antlitz. Faszinierende Impressionen zeigen Photographen aus aller Welt auf der Giudecca: Realismus, Absurdes, Industrieaufnahmen und Trick — und dazwischen immer wieder der Mensch.

Die eigentliche Biennale in den Länderpavillons der beschaulichen Giardini verblüfft, schockiert oder enerviert. Immerhin entfaltet der Belgier Marcel Maeyer Esprit in täuschend echtgemalter Stofflichkeit seiner bunten Piachen, zeigt liebli-

che Landschaftsphotos als Fensterausblicke, wie sich überhaupt diverse Länder, so Dänemark, Japan und Rußland in Stadtansichten und Wohnraumbilder gleich riesigen Reiseprospekten retten. Rußland baut zusätzlich billiges Spielzeug, Holzpuppen und Parfumflacons davor. Mit unerhörter Arroganz zeigt Deutschland nur leere Hallen, in denen Putz von der Decke fällt oder einen Raum, den schwarze Fäden dicht durchziehen, und England nichts als Steine, in Dreierreihen auf dem Fußboden ausgelegt. Frankreich gefällt sich mit vierarmiger, rüsseltragender, auf Mondsichel schaukelnder Plastikpuppe, Italien mit zimmergroßen, mistgefüllten durchsichtigen Abfallkübeln, ferner in Collagen ä la Schwitters, Drahtplastiken, Brunrienschalen mit nichtfließendem Wasser als optische Täuschung, einem festlich gedeckten Tisch mit Gipsspeisen oder überdimensionalem papierbeklebten Erdball, vor Finnlands Pavillon steht ein blutbeschmierter Schlächter, daneben liegt eine männliche Bronzefigur mit dem Messer in der Brust. Amerika schmückt seine Wände mit schmutzigen Bildflächen, die Schweiz kleistert Farbe und Unrat auf einen echten Baum. Rumänien zeigt immerhin Monumentalplastiken mit Stilgefühl.

Einzig Österreich bemüht sich um Bildwirkungen und Formen, die als umweltbezüglich angesprochen werden können. Rudolf HÖflehners Farbgekröse muten wie geschraubte menschliche Figuren an, Rudolf Kedl dokumentiert biologisch-vegetative Denkweise in Pflanzenschäften, Reimo S. Wukounig zeigt erbarmungswürdige, ausgemergelte Knabentorsi in Schiele-Manier: Der Mensch als Opfer-, während Wolfgang Walkensteiner skurrilen Farbkompositionen Natur und Mythos entlockt.

Selbst bei diesen Künstlern, die wie wenige Aussteller handwerkliches Können mit geistiger Potenz verbinden, offenbart sich die Fragwürdigkeit des „Ambiente fisico.“ Für den überwiegenden Teil der Repräsentanten gilt die enttäuschende Feststellung, daß hier ein großes, interessantes Thema völlig mißverstanden und geradezu erbärmlich verschenkt würde.

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