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Amerika am Ende?

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Ehe die USA es glauben können, ist der Schah gestürzt. Ihre Botschaft in Teheran wird gestürmt, ihr Botschafter in Kabul erschossen. Statt sich auf den Kriegsausbruch in Indo-china zu konzentrieren, reist der US-Präsident nach Mexiko und wird dort durch das Staatsoberhaupt öffentlich gedemütigt. Saudiarabien und Kuweit blocken Anbiederungsversuche ab. Begin wollte nicht zum Gipfel kommen. Kann man Jimmy Carter überhaupt noch etwas zutrauen? Sind die USA als Großmacht am Ende?

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Ehe die USA es glauben können, ist der Schah gestürzt. Ihre Botschaft in Teheran wird gestürmt, ihr Botschafter in Kabul erschossen. Statt sich auf den Kriegsausbruch in Indo-china zu konzentrieren, reist der US-Präsident nach Mexiko und wird dort durch das Staatsoberhaupt öffentlich gedemütigt. Saudiarabien und Kuweit blocken Anbiederungsversuche ab. Begin wollte nicht zum Gipfel kommen. Kann man Jimmy Carter überhaupt noch etwas zutrauen? Sind die USA als Großmacht am Ende?

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Diese Fragen stellten sich auch aufrichtige Freunde der USA. So einfach, wie es den Anschein hat, sind sie dennoch nicht zu beantworten. Was die Entwicklung etwa im Iran anlangt, hat so gut wie niemand den ganzen Ernst der Situation vorausgesehen - auch kommunistische Staaten nicht. Hätten sonst Ungarn oder die DDR das Kaiserpaar noch vor wenigen Monaten zu sich eingeladen? Wäre der chinesische KP- und Staatschef Hua Guofeng vor kurzem nach Teheran geflogen, hätte er den Schah schon als politische Leiche erkannt?

Eher humoristisch klingen Klagen aus Frankreich, das „Steckenpferd“ des US-Präsidenten, seine Menschenrechtskampagne, hätte das Chaos in Persien bewirkt. Wäre es wirklich so einfach, dann brauchte Jimmy Carter nur ein paar weitere Menschenrechtsreden zu halten, und alle Diktatoren der Welt wären hinweggefegt. Schlecht? Und hat die französische Regierung etwa vorausgeahnt, was Chumeini auslösen würde, den sie von Paris aus zur Revolution blasen ließ?

Vom Kriegsausbruch in Indochina ist die US-Regierung wirklich nicht überrascht worden. Sogar in einzelnen amerikanischen Massenmedien war die Explosion des Konflikts Tage vorher ziemlich konkret angekündigt worden. Daß Präsident Carter dennoch die Reise nach Mexiko antrat, hatte einen anderen Grund: Er wollte dem ölfündigen Nachbarn demonstrative Reverenz erweisen.

Daß es halb schief ging, steht auf einem anderen Blatt: dem der Geschwätzigkeit Jimmy Carters. Daß er auf die ziemlich brutale Anspielung des Gastgebers auf den historischen Yankee-Imperialismus mit billigen Späßchen über „Montezumas Rache“ (die Ruhr) reagierte, war würdelos. Daß an einem einzigen Tag der Vorwoche das Weiße Haus und das Außenamt fünf Dementis und „Klarstellungen“ herausbringen mußten, nur um sogleich von der anderen Seite rückkorrigiert zu werden, illustriert die Folgen einer Publizitätssucht, die endlich eingedämmt gehört.

Freilich wäre es zu einfach, die Schwächen der Regierung Carter allein im Stil zu erblicken. Wo solche auch einen Mangel an politischer Konzeption verraten, trifft der Vorwurf den Präsidenten nur indirekt, wenngleich verdient: Das Gros seiner Berater und Spitzenmitarbeiter ist unterdurchschnittlich.

Selbst fähige Minister erweisen sich in delikaten Situationen als Tolpatsche. Warum kapiert Energieminister Schlesinger nicht, daß Mexiko nur Erdöl in die USA liefern will, wenn diese auch Erdgas abnehmen (was Schlesinger abblockte)?

Was denkt sich Verteidigungsminister Brown, wenn er mit dem Waffenpaket, das ihm der Schah nicht mehr abnehmen kann, jetzt in Saudiarabien und Oman handeln geht? Hat nicht gerade das Beispiel Iran gezeigt, daß auch ein über und über mit hypermodernen Waffen behängtes Regime zerbricht, wenn es inwendig hohl ist?

Und hat im Zusammenhang mit der Nahostpolitik niemand Talley-rand gelesen, der „Vor allem keinen schädlichen Eifer“ als Goldregel der Diplomatie empfahl?

Das alles ändert freilich nichts an der Tatsache, daß die gegen schwersten Druck jüdischer wie arabischer Interessengruppen betriebene Nahostpolitik Carters im Ansatz richtig ist. Und daß es eine historische Leistung war, die Panamakanal-Ver-

träge auch zwei Dritteln manchmal hinterwäldlerischer Senatoren einzureden. Und daß auch die restriktive Kernkraft-Politik der Carter-Regierung Zustimmung verdient, auch wenn Frankreich und Deutschland dabei Geschäftseinbußen erleiden. Vor allem aber hat die Menschenrechtskampagne per Saldo zumindest in Lateinamerika und Asien echte Erfolge gebracht.

Daß sie in einer Welt der Unzulänglichkeiten und Inkonsequenzen nur unzulänglich und inkonsequent verfochten werden kann, sollte niemanden erstaunen. Erstaunlich ist nur,

wie doppelbödig oft die Moral jener ist, die sich dann wie wilde Wölfe auf den Sündenbock im Weißen Haus stürzen.

Zum Beispiel glänzen Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland gerne mit hohen moralischen Ansprüchen ihrer Politik im südlichen Afrika - was sie freilich nicht daran hindert, dorthin genau so wirtschaftliche Beziehungen zu unterhalten wie die USA (und Amerika in Grund und Boden zu verdammen, wenn es im Ernstfall die strategischen Interessen des Westens am Kap der Guten Hoffnung nicht zu .wahren wüßte).

Uber die Preisgabe dieser Interessen durch Washington im Iran bekommt man in westlichen Staaten derzeit manch böses Wort zu hören. Was aber hätten dieselben Länder gesagt, wenn Amerika etwa eine Einheit Marineinfanteristen über dem Kaiserpalast von Teheran abgesetzt hätte?

Eine andere Klage Westeuropas betrifft derzeit das zunehmende strategische Ungleichgewicht von NATO und Warschauer Pakt. Die USA haben in den sechziger Jahren ihre bis dahin in Westeuropa stationierten Mittelstreckenraketen „Thor“ und „Jupiter“ abgezogen, weil sie nun genügend Langstreckenraketen (, ,Mi-nuteman“) in US-Silos und auf Unterseebooten besaßen, um jedes Ziel in der UdSSR damit zu erreichen.

Jetzt regen sich immer mehr Zweifel in der NATO, ob die USA bei einem Angriff mit sowjetischen Mittelstreckenraketen wirklich auf der nächsthöheren Ebene der strategischen Langstreckenraketen zurückschlagen und damit einen totalen Atomkrieg riskieren würden.

Die neue sowjetische Mittelstrek-kenrakete SS 20 mit beweglichen Abschußrampen, 4000 km Reich-

weite und je drei unabhängig voneinander zielbaren Atomsprengköpfen hat eine völlig neue Bedrohung geschaffen. 135 solcher Raketen sind derzeit auf Westeuropa gezielt, bis 1985 werden es 400 bis 600 sein.

Als Gegenmaßnahme bietet sich die Stationierung von „Marschflugkörpern“ (cruise missiles, das sind pilotenlose Düsenflugzeuge von hoher Manövrierfähigkeit und Treffsicherheit) auf westeuropäischem Territorium an. Auch eine Weiterentwicklung der von der US-Army und der westdeutschen Bundeswehr verwendeten Rakete „Pershing I“ ist im Gespräch, deren Reichweite von derzeit 800 auf maximal 2000 km vergrößert werden könnte.

Dann aber müßten Pershing-Rake-ten, um sowjetisches Gebiet zu erreichen, in der Bundesrepublik oder in Holland und Belgien stationiert werden, England wäre schon zu weit. Aber bestenfalls Deutschland ist dazu bereit - kein anderes NATO-Land, am allerwenigsten die am „idealsten“ gelegene Türkei.

Das aber ist auf Dauer eine unhaltbare Situation: Westeuropa will den atomaren Schutzschild der USA, nicht jedoch Schildträger sein. Man traut den Amerikanern als Bundesgenossen nicht mehr ganz, aber Raketen auf dem eigenen Boden läßt man auch nicht zu.

„Wenn der Besenstiel zu kurz ist, kann man damit nicht die Spinnweben von der Decke kehren,“ hat Mao Tse-tung einmal erklärt. Auch Westeuropa wird sich überlegen müssen, ob es selber einen längeren Besenstiel in die Hand nehmen oder die Schmutzarbeit weiter von den Amerikanern erwarten will.

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