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Ampeln auf Grün

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Der 21. Juni — im Kalender schlicht als „Sommeranfang“ verzeichnet — sollte auch der Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Regierung in Bonn Blüte und Reife bescheren. Das zumindest hofften die verantwortlichen Politiker. Der Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik und DDR — heißumstritten in parlamentarischen Debatten und Wahlkämpfen, heute noch beim höchsten Gericht angefochten — ist in Kraft getreten. Die Ampeln an den vier neu errichteten Grenzübergängen zwischen den beiden Staaten wurden pünktlich auf Grün gestellt.

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Der 21. Juni — im Kalender schlicht als „Sommeranfang“ verzeichnet — sollte auch der Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Regierung in Bonn Blüte und Reife bescheren. Das zumindest hofften die verantwortlichen Politiker. Der Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik und DDR — heißumstritten in parlamentarischen Debatten und Wahlkämpfen, heute noch beim höchsten Gericht angefochten — ist in Kraft getreten. Die Ampeln an den vier neu errichteten Grenzübergängen zwischen den beiden Staaten wurden pünktlich auf Grün gestellt.

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Wie aber der Verkehr an diesen Übergängen — trotz der Volksfeste in den bundesdeutschen Grenzorten — nur sehr langsam in Schwung kommt, so wird sich auch erst im Laufe der Zeit herausstellen, wie mit diesem Vertragswerk, das ohne Zweifel ein neues Kapitel der innerdeutschen Beziehungen bedeutet, gelebt wird. Gedämpfter Optimismus im Regierungslager, Skepsis und abwartende Haltung bei weiten Teilen der Bevölkerung und radikale Ablehnung in vielen Oppositionskreisen herrschen gegenwärtig vor.

Alle, auch die entschiedenen Befürworter des Vertrages, wissen, daß es nun einige Zeit brauchen wird, ehe auch für die Bundesrepublik irgendwelche Vorteile zum Tragen kommen werden. Für die DDR sind sie in Form einer internationalen Anerkennungswelle und dem nun ermöglichten Eintritt in die UNO bereits weitgehend Wirklichkeit geworden. Der kleine Grenzverkehr zwischen Orten in der Bundesrepublik und der DDR, die sich in einer auf beiden Seiten etwa 50 Kilometer breiten Zone befinden, kann auf Grund der Antragsformularitäten erst in einigen Tagen beginnen. Wenn, auch durch die nach wie vor kleine Zahl von Grenzübergängen mancher Besuch in benachbarten, gegenüberliegenden Ortschaften schwierig sein wird, bedeutet diese Besuchsmöglichkeit nach Jahren ständig stärker absterbender Kontakte doch eine Chance, wieder miteinander in Verbindung zu kommen.

Nicht zu übersehen ist der Ein-bahncharakter dieser Regelung. Die neu eröffnete Möglichkeit für DDR-Bürger, in dringenden Familienangelegenheiten in die Bundesrepublik zu fahren, bedeutet jedoch einen kleinen Lichtblick. Die ergänzende neue Bestimmung, daß auch Silberne- und Goldene Hochzeiten unter diese Fälle zählen, beweist den unmenschlichen, bürokratischen Charakter der Regelung. Nur vor dem Horizont der in den vergangenen Jahren gehandhabten und von östlicher Seite eigentlich heute noch gewünschten strengen Abgrenzung ist der neueröffnete Besucherverkehr ein Erfolg. Sieht man die Hartnäckigkeit mit der die östliche Seite auch in Helsinki den freien Austausch von Meinung und Personen verhindern wollte, wird auch deutlich, daß die westlichen Gewinne aus dem Grundvertrag nicht ganz so klein sind, wie es zunächst scheinen mag.

Auch wenn sich diese Regelungen bewähren und ihr Ziel im Sinne einer Festigung des nationalen Zusammenhalts erreichen sollten, bleibt die Reihe von Problemen für die Regierung groß. Auch wenn sich die DDR zuletzt in der Rolle des peniblen Vertragserfüllers gefiel, kann doch sehr leicht mit engen Vertragsauslegungen und gelegentlichen Schwierigkeiten gerechnet werden. Hier wird diplomatisches Geschick und notfalls Härte notwendig sein, um für die westliche Seite den Vertrag voll auszuschöpfen. Der mit dem Besuch von Fraktionsführer Herbert Wehner bei Honecker eingeschlagene Weg einer überraschenden und geheimen Klärung strittiger oder problematischer Punkte beim Kaffee dürfte, das hat der eine Versuch gezeigt, nicht der richtige Weg sein.

Ein Prüfstein wird in jedem Fall West-Berlin bleiben. Sicherlich konnte Breschnjew bei seinem Besuch in der Bundesrepublik zu einer einigermaßen befriedigenden Berlin-Erklärung gebracht werden. Auch in der UNO ist die Vertretung West-Berlins durch die Delegation der Bundesrepublik unbestritten. In der Praxis zeigt man auf östlicher Seite jedoch an der Spree noch gerne die kalte Schulter. Entgegen den allgemein gehegten Hoffnungen, haben — bis auf Jugoslawien — alle östlichen Staaten ihre Teilnahme an den Berliner Filmfestspielen abgesagt.

Innenpolitisch wird der Grundvertrag wahrscheinlich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, das am 31. Juli verkündet werden soll, seine Brisanz verloren haben. Nur eine harte Gangart der DDR könnte ihn wieder zum Sprengstoff machen. Auf den Treffen der Vertriebenenverbände zu Pfingsten waren bereits Töne zu hören, daß man mit den Verträgen von Moskau, Warschau und jetzt zwischen BRD und DDR werde leben müssen. Etwas resignierend und sicher nicht ohne Schmerz, schicken sich weite Kreise der Opposition darein, daß das ungeliebte Vertragswerk nun Realität ist.

Die SPD/FDP-Regierung macht sich unterdessen schon daran, Außenpolitik im großen Stil fortzusetzen. Der leidenschaftliche Außenpolitiker Brandt will nun, nach vorläufigem Abschluß im Osten, im Westen aktiv werden, wofür bereits große Pläne gewälzt werden.

Diese Politik wird aber in der Bundesrepublik nicht von dem brennenden Problem der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ablenken können. Die immer schnellere Geldentwertung ist zu brennend, als daß sie durch eine im großen Stil betriebene West-Politik übertüncht werden könnte. Noch schwieriger könnte für die Regierung Brandt die Lage werden, wenn sich aus unzureichenden Wirkungen des ' Grundvertrags Schwierigkeiten ergeben. Zu leicht könnte dann wieder deutlich werden, daß mit dem Vertrag die gegenwärtige Trennung Deutschlands fixiert wurde. Symbolisch dafür ist eine Auswirkung des Vertrages: Erst durch ihn . wurde die Arbeit einer Kommission ermöglicht, in der DDR und BRD gemeinsam die Grenze zwischen beiden Staaten exakt festlegen.

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