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Amputiertes Monstrum

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„Auf die Frage: Reicht die Finanzkraft der Stadt Wien aus, eine U-Bahn zu bauen?, möchte ich klar und eindeutig sagen: Nein.” Dieser legendäre Ausspruch von Altbürgermeister Felix Slavik aus dem Jahre 1967 ist inzwischen längst überholt: Der Finanzkraft der Bundeshauptstadt geht bereits beim kommunalen Verkehr an der Oberfläche die Luft aus.

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„Auf die Frage: Reicht die Finanzkraft der Stadt Wien aus, eine U-Bahn zu bauen?, möchte ich klar und eindeutig sagen: Nein.” Dieser legendäre Ausspruch von Altbürgermeister Felix Slavik aus dem Jahre 1967 ist inzwischen längst überholt: Der Finanzkraft der Bundeshauptstadt geht bereits beim kommunalen Verkehr an der Oberfläche die Luft aus.

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Die kommunalen Sünden der Nachkriegszeit sind Legion; dies zeigt sich besonders deutlich bei den Wiener Massenverkehrsmitteln, an denen jahrelang konzeptlos herumgebastelt wurde das Resultat ist ein weitgehend amputiertes Monstrum.

Da der Anstieg der Motorisierung in Österreich gegenüber anderen industrialisierten Ländern nachhinkte, hätte in Wien rechtzeitig eine Entscheidung für den Massenverkehr- oder für den Individualverkehr getroffen wenden müssen. Dies ist nicht geschehen und auch bis heute gibt es noch kein Gesamtkonzept. Dadurch wurden lediglich punktuelle Maßnahmen gesetzt, die sich bereits kurze Zeit später als Fehlentscheidung entpuppten:

• So wurden zahlreiche Straßenbahnradiallinien gekappt (eine Konzession an den Individualverkehr), die nicht nur das ursprünglich gute Straßenbahnnetz zerrissen, sondern heute dringend fehlen, da auf stark frequentierten Straßenbahnstrecken mit Autobussen nicht das Auslangen gefunden werden kann.

• Der U-Bahn-Bau, der von zahlreichen anderen Großstädten unmittelbar nach dem Weltkrieg begonnen (beziehungsweise fortgesetzt) wurde, wurde in Wien so lange als „entbehrlich” befunden, bis ein derartiger Grad der Motorisierung erreicht war, daß das Verkehrschaos unvermeidlich wurde.

• Ein weiteres Phänomen dieser Versäumnisse ist die Tatsache, daß international anerkannte Fachleute •heute bereits wieder dem Bau von Untergrundbahnen (soweit es sich nicht um Erweiterunigen eines bereits bestehenden Streckennetzes handelt) skeptisch gegenüberstehen und andere Lösungen für die Bewältigung des kommunalen Massenverkehrs anbieten.

Eine dieser Lösungen wird heute in zahlreichen Städten der USA, Frankreichs aber auch der Bundesrepublik in der Errichtung neuer Straßenbahnlinien (!) gesehen.

Was manchem als „Kommunalnostalgie” erscheinen mag, ist für zahlreiche Städteplaner heute die •Lösung. Die Gründe liegen vor allem •in der Tatsache, daß Bus- beziehungsweise Obussysteme nur beschränkte Kapazitäten aufwedsen, die einen Einsatz auf stark frequentierten Zubringerlinien unmöglich machen. Gegen die Errichtung von Untergrundbahnen sprechen vor allem die sehr hohen Kosten der Errichtung (Tunnels, Zugsicherung, Signalsysteme wie bei konventionellen Bahnen usw.). Die Straßenbahn hingegen ist ein durchaus leistungsfähiges Transportmittel, deren Betrieb zwar teurer ist als beim Bussystem, jedoch billiger als bei U- Bahnen. Das erklärt auch, warum gerade im Heimatland des Individualverkehrs und des Autofetischismus, in den USA, wo die rund 50.000

Kilometer Straßenbahnstrecken der •zwanziger Jahre auf einige wenige Systeme zusammengeschmolzen sind, heute wieder ein merklicher Trend zur Straßenbahn zu erkennen ist. Alte, bereits aufgelassene Linien werden wieder eröffnet und neue geplant. Die Stadt Portland hat vor kurzem eine Serie von Motorwagen gekauft, um die erste Interurbanlinie der USA (aus dem Jahre 1893) wieder in Betrieb zu setzen. Andere Projekte sind in Ausarbeitung.

Es besteht jedoch für kommunale Verkehrsplaner kein Grund, einander wohlgefällig auf die Schultern zu klopfen, weil Wien sowieso immer noch eines der größten Straßenbahnsysteme der Welt hat. Die Straßenbahn der siebziger Jahre sieht nämlich ganz anders aus als das rotweiße Wiener Spielzeug, denn die Anforderungen sind hoch:

• Ein moderner, einheitlicher Wagenpark auf dem modernsten technischen Stand. Es gibt in Wien aber rund 20 verschiedene Triebwagentypen, wodurch insbesondere die Wirtschaftlichkeit leidet.

• Eine weitere Voraussetzung für moderne Tramwaysysteme ist die Errichtung eigener Gleiskörper, die — vom Individualverkehr getrennt — schnelle Fahrt gestatten. Beispiele für solche eigene Gleisanlagen muß man nicht unbedingt im Ausland (zum Beispiel München, Stuttgart) suchen. Man findet sie auch in Österreich — wie zum Beispiel in Linz, wo derzeit eine neue Linie zur Hochschule errichtet wird.

• Ein zweckmäßiger Straßenbahnbetrieb kann nur durch weitgehende Automatisierung erreicht werden. Es ist bezeichnend für die Rückschrittlichkeit in Wien, daß mit der Einführung von schaffnerlosen Beiwägen bis 1964 gewartet wurde. Auch heute noch sind wir von einem durchgehend schaffnerlosen Betrieb weit entfernt, denn nur rund ein Viertel der Fahrleistung wird derzeit ohne Schaffner erbracht (während zum Beispiel Hamburg einen Prozentsatz von 82 aufweist).

Gerade die schwankende Politik der jeweiligen Favorisierung von verschiedenen Transporttypen in Wien (von der Straßenbahn zum Bus, vom Bus zur U-Bahn) hat sich als verhängnisvoll erwiesen. Es gilt heute international als unumstritten, daß die Straßenbahn nicht unbedingt einen bedauernswerten Anachronismus darstellt. Im Rahmen eines Gesamtkonzeptes muß die vernünftige und zweckmäßige Kombination der verschiedenen Verkehrsträger (Straßenbahn, Stadtbahn, Bus, Schnellbahn, U-Bahn, private Transportunternehmer, Taxi, Individualverkehr) geplant und in die Realität umgesetzt werden, wobei auch Systeme, mit denen heute erst experimentiert wird (Monorail, Kabinentaxis, Citybusse usw.) in diese Überlegung mit einbezogen werden müssen.

Tariferhöhungen bringen — solange die entsprechende Anhebung der Betriebsleistung, und somit der Attraktivität nicht gegeben ist — überhaupt nichts, sie bewirken lediglich das Gegenteil: Verärgerung und Flucht vor den Massenverkehrsmitteln.

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