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Amusement für das Volk

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Eine hochgezüchtete Fresseeupho- rie konzentriert»:j sich- in der CSSR vor .Weihnachten und Silvester auf die Mägen der Konsumenten. Die Versorgung mit Konsumgütern, vor allem mit Lebensmitteln, war in den vorangegangenen sechs Monaten besser gewesen. Die Konsumenten sollten nunmehr ans Essen denken, und nicht in weihnachtlichen Betrachtungen schwelgen. Christkind- Erwarter sollten für ein paar Tage in Gourmets umfunktioniert werden. öffentlich wurden keine Weihnachtsbäume aufgestellt und auch die kleineren Tannenbäume für den Familiengebrauch fehlten. Dennoch hat der Geist des Festes die gegen ihn gerichtete kommunistische Parteipropaganda heil überlebt.

Die Geschäftsregale füllten sich mit seltenen Waren, die man seit etlichen Jahren nicht mehr gesehen hatte, dennoch geisterte die Sehnsucht nach dem Christkind überall herum, besonders an den vorweihnachtlichen Sonntagen, als alle Geschäfte offenhalten mußten. Trotz des verbesserten Warenangebots konnte das Bild, das sich darbot, mit westlicher Üppigkeit und westlichem Warenüberangebot nicht verglichen werden.

In der Slowakei hatte es geheißen, daß man in Hülle und Fülle traditionelle Weihnachtslebensmittel wie Gänse und Karpfen — ausgenommen Schweinefleisch — erhalten werde. Die Propaganda wollte den Menschen einreden, daß Rindfleisch gesünder sei als Schweinefleisch. Daneben wurden Zahlen verlautbart, mit denen der Konsument und auch der staatliche Handelsangestellte herzlich wenig anfangen konnten. Angeblich wurden 5,5 Prozent mehr Lebensmittel vor Weihnachten 1974 auf den Markt gebracht, als 1973. Um 33 Prozent mehr Rosinen und um 100 Prozent mehr Mandeln sollen 1974 auf den Markt gebracht worden sein als im Vorjahr. Aber wer weiß eigentlich, welche Menge es damals war? Die Fleischbelieferung soll um 10 Prozent erhöht worden sein. Sechs Tonnen Weihnachtsschokolade für das ganze Land sollten jedenfalls für Feiertagsstimmung sorgen. Dörrpflaumen waren Mangelware. Zitrusfrüchte hat man angeblich um 12,9 Prozent mehr importiert als vor einem Jahr, auch Datteln und Feigen wurden in größeren Mengen angeboten und 992 Tonnen lebende Fische wurden offeriert.

Die Tageszeitung der Gewerkschaften, „Prace”, hatte einige Wochen vorher stolz angekündigt, daß diesmal genügend Sandwichwecken für Silvester zur Verfügung stehen würden — was in einem kommunistischen Land nämlich gar nicht so selbstverständlich ist. Und dann gab es eine regelrechte volksdemokratische Sensation: in Prag wurden auf 120 Verkaufsständen Karpfen verkauft. 14.000 kg Weihnachtsbäckerei wai-en im Nu vergriffen, Schokolade und Käse wurden aus der Schweiz, aus Westdeutschland und Österreich eingeführt und als kapitalistische Raritäten angeboten. Verständlicherweise konnten einheimische Hühner- und Geflügelprodukte, weder tiefgekühlt noch frisch gebacken, damit konkurrieren.

Kinderbekleidung und Modeartikel aus Polyestermaterial, Unterwäsche und .Pullover aus „progressiven Materialien” wurden importiert. Dafür gab es zu wenig Kinderstiefel und kaum warme Pantoffeln oder Winterbekleidung für Kleinkinder.

Aus Ungarn und Jugoslawien wurden Waschmaschinen importiert und es waren auch mehr Kühlschränke auf dem Markt als 1973. Elektrische Haushaltsartikel, Photoapparate, Spielzeug, wenn auch primitiver als im Westen, sowie kosmetische Präparate fehlten nicht auf dem Weihnachtsmarkt. Und weil „sozialistischer Wohlstand” angeordnet war, gab es ein beschränktes Angebot von Gold- und Silberjuwelen, die für die einheimischen Geldbörsen ohnedies unbezahlbar waren.

Als wahrer Wohltäter zeigte sich programmgemäß die UdSSR. Wenn man der Parteipresse Glauben schenken darf, so hat Moskau über die Grenzstation Cierna nad Tisou in den letzten zwei Monaten des Jahres 1974 nicht weniger als 3500 Tonnen in die CSSR geschickt. Wie viele Tonnen über die gleiche Pumpstation gleichzeitig in verkehrter Richtung aus der Tschechoslowakei herausgesaugt wurden, darüber schweigt die Statistik.

Die parteiamtliche Parole lautete jedenfalls: Das Volk soll sich amüsieren (aber nicht auf Kosten der Volksdemokratie!). Deshalb wurde auch kein Arbeitszeitverlust geduldet… Um die Stimmung nicht zu verderben, durften die vielen tausend Besatzungssoldaten ihre Quartiere an den hohen christlichen Feiertagen gar nicht erst verlassen. Und die wenigen teueren „Luxuswaren” blieben meist unverkauft, da die Werktätigen dafür kein Geld hatten.

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