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An den Grenzen des Tragbaren Wer darf überleben?

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In Deutschland haben die Statistiker berechnet, daß um 1990 das gesamte Bruttonationalprodukt für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung aufgewendet werden müßte, wollte man die Kostenentwicklung der medizinischen Wissenschaft unverändert in die Zukunft interpolieren.

Die Forscher haben in den vergangenen Jahrzehnten Fortschritte erzielt, wie man sie sich noch vor dem Zweiten Weltkrieg nicht hätte vorstellen können. Daß es heute praktisch keine Malaria mehr gibt, daß Menschen mit dem Herzen eines anderen weiterleben können, daß Krankheiten, die noch vor dreißig Jahren als Todesurteil gegolten hätten, überwunden sind - wir haben uns schon daran gewöhnt.

Nur - stoßen wir nicht langsam an den Plafond des Möglichen an? Nicht der Kreativität der Wissenschaftler, sondern an die Grenzen des Zahlbaren, auch in einer gesunden Volkswirtschaft? Durch den Einsatz der Antibiotika hat sich nicht nur die Sterberate bei Frühgeburten auf die Hälfte gesenkt, auch die Rate der Dauerschä den bei chronischen Entzündungen konnte gesenkt werden. Aber: Bei einer speziellen Knochenmarkserkrankung müssen hochdosierte antibiotische Behandlungen über Monate ausgedehnt werden - Kostenpunkt bis zu 300.000 Schilling.

Oder: An der chirurgischen Universitätsklinik in Graz wurden im Vorjahr

120 Operationen durchgeführt, bei denen rund 60 künstliche Herzklappen eingesetzt wurden. Hierzu waren Herz-Lungen-Maschinen notwendig, dazu ein Stab an medizinischem und technischem Personal Ohne Personal-, Medikamenten-, und Pflegekosten muß allein für den Sachaufwand einer solchen Operation ein Betrag von 30.000 Schilling eingerechnet werden.

Das Präsidium und der neugeschaffene wissenschaftliche Beirat der Österreichischen Ärztekammer stellte dieser Tage diese Probleme in einer Pressekonferenz vor. Uber eines war man sich einig: Die Erfolge der Medizin müssen grundsätzlich allen zugute kommen, die sie brauchen. Zum Unterschied von neuen technischen Errungenschaften, die das Leben angenehmer machen können, darf lfdje Frage des Überlebens oder Gesünd- werdens nicht vom Inhalt des Geldbeutels abhängig gemacht werden.

Wovon aber dann, wenn es nicht möglich ist, allen zu helfen? Wenn nicht allen die aufwendigen Einrichtungen einer hochentwickelten Medizin zur Verfügung gestellt werden können, die die Wissenschaft heute beherrscht - vorausgesetzt, daß die Volkswirtschaft die nötigen Mittel hierfür bereitstellt.

Im Lauf der Pressekonferenz fiel - sinngemäß - der Satz, man werde es sich überlegen müssen, einem Patienten mit edlem möglichen Aufwand zu helfen, dessen Uberlebenschancen nicht mehr als drei Jahre betrügen. Si cherlich - die medizinische Statistik hat auch genug Unterlagen für Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Spricht sie das Todesurteil?

Ist das Problem überhaupt lösbar? Bricht an einem Ort eine Katastrophe aus - hierzu genügt bereits eine Explosion größeren Umfangs, die die Einsatzmöglichkeiten für die Hilfe stark reduziert -, kann nur der am Ort eingesetzte Arzt - aus seinem Gewissen heraus - entscheiden, wem geholfen werden kann und wem nicht, weil eben nur einem Teil der Opfer geholfen werden kann. Hier setzt die Zwangssituation den Schranken, den im andern Fall die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft setzt.

Der Auftrag an den Arzt, jedern zu helfen’,’ dėT seine Hilfe bTaüöht; iteht unverändert da. Die -Möglichkeiten, die ihm die Wissenschaft heute in die Hand gibt, haben seine Aufgabe nicht nur erleichtert. Sie verlangen mitunter Entscheidungen von ihm, die ihm früher nicht abverlangt worden waren. Wann darf die Maschine abgestellt werden? Wann darf der Patient sterben - wann muß er sterben? Die Diskussion um Euthanasie und Sterbehilfe ist zu sehr von Emotionen beherrscht. Der Arzt muß nach seinem Gewissen entscheiden. Zur Entscheidungsfindung stehen ihm auch etliche Aussagen der Kirche zur Verfügung. Die Entscheidung selbst nimmt ihm im gegebenen Zeitpunkt niemand ab.

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