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An der Front geistiger Auseinandersetzungen

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Der Verfasser hat vor genau 20 Jahren in der FURCHE (16/1966) zur Situation des Religionsunterrichtes an den AHS einen Artikel verfaßt, der schon aus Gründen des Gleichklangs Anlaß geboten hätte, nach zwei Dezennien die weitere Entwicklung des Themas zu hinterfragen.

Die Veranlassung dieser Untersuchung ist jedoch eine andere. Die „Woche des Religionsunterrichtes“ wird in der Erzdiözese Wien in diesen Tagen in Pfarre und Schule durchgeführt. Ein Hirtenbrief des neuen Erzbi-schof s wurde verlesen. Wozu dieses Großaufgebot?

Im Verlauf des vorigen Jahrzehnts hat die religionspädagogische Fragestellung in umfassenderen Zielvorstellungen alle Orte religiösen Lernens, religiöser Erziehung und Eildung in den Elick genommen. Die Grundstruktur des religionspädagogischen Handelns wird nicht mehr allein oder primär vom Lernort des schulischen Religionsunterrichtes her diskutiert und entwickelt. Vielmehr wird sie zurückgebunden an die weitere praktisch-theologische Frage nach der angemessenen Weise kirchlichen Handelns an den vielfältigen Orten gegenwärtigen Lebens.

So erhebt sich von selbst die Forderung nach einem „Mitein-ander-glauben-Lernen in Familie, Gemeinde und Schule“ und einem „Lernen zwischen den Generationen“, zumal die begrenzten Möglichkeiten der einzelnen Lernorte immer deutlicher werden. Denn das immer noch vorherrschende Nebeneinander geht oft parallel mit Uberforderungen und überhöhten Erwartungen an die einzelnen religionspädagogischen Handlungsfelder, wie Religionsunterricht, Katechese oder Jugendarbeit.

Diese mehr theoretischen Vorbemerkungen bedürfen nun einer eingehenderen und praktischen Erläuterung. Der Religionsunterricht hat es heute mehr denn je, sicher noch mehr als 1966, mit jungen Menschen zu tun, die außerschulisch kaum mit Religion oder Kirche in Rerührung kommen. Er ist daher weitgehend Vorfeldarbeit an diesen jungen Menschen um ihrer selbst wülen. Er ist ebenso Frontsituation im zermürbenden Kleinkrieg geistiger Auseinandersetzung mit den Werten christlichen Selbstverständnisses und religiöser Lebensauffassung.

Wir dürfen nicht vergessen, daß in den Schulen trotz steigender Abmeldungszahlen noch bis zu 85 Prozent der jungen Menschen Gelegenheit haben, sich weltanschaulich im Religionsunterricht zu profilieren. In unseren kirchlichen Gemeinden sind es nicht einmal zehn Prozent, die „am Ort“ christliche Lebensformen erfahren wollen.

Damit soll aber nicht die Wichtigkeit des Religionsunterrichtes

Von OTTO MAAR

oder — mit einer anderen Rrille gesehen — seine Wirkungslosig-keit-demenstriert werden, sondern eine ernüchternde Analyse der gegenwärtigen Situation der Glaubensvermittlung und deren Voraussetzungen dargeboten sein. Die Wirkungslosigkeit der überlieferten Formen der Glaubensweitergabe in unserer abendländischen Kultur wird immer deutlicher. Gründe dafür sind zweifellos der wachsende Verlust an Glaubwürdigkeit christücher Lebensgestaltung und ihrer Motivation für soziales Handeln.

So ist die Krise der Glaubensvermittlung nicht zuletzt auch eine Krise der gegenwärtigen Kirche. Wenn wir dieser Krise wirkungsvoll begegnen wollen, müssen also nicht nur die Vermittlungsformen neu bedacht werden, sondern auch die Rahmenbedingungen der Vermittlung. Denn „Lernen im Glauben“ kann nur dort wirksam geschehen, wo die Lernorte in Lebensräume eingebettet sind, in denen der Glaube Gestalt gewinnen kann.

Als erster Schritt des Krisenmanagements und nicht mehr darf nun die „Woche des Religionsunterrichtes“ verstanden werden. Der Religionslehrer vertritt die Kirche in einer exponierten Situation und leistet in ihrem Namen einen wichtigen und unersetzlichen Dienst an der Gesellschaft. Er bedarf des Verständnisses und der Unterstützung durch die kirchliche Gemeinde und durch die Eltern. Es wäre ungerecht und sinnlos, ihm allein oder vor allem die Schuld am Verfall christlicher Lebensorientierung zuzuweisen.

Jene Eltern, die Klagelieder anstimmen, der Religionsunterricht habe nicht mehr die Dichte früherer Glaubenskatechesen, sollten zuerst darüber reflektieren, inwieweit und wie tief sie selbst ihren Kindern glaubhaft christliches Tun vorleben. Auch jene Pfarrgemeinden, in denen der Kontakt zur Schule, zum Religionsunterricht, auf eine Jause mit dem Religionslehrer zu Schulbeginn und nach der Abschlußmesse beschränkt ist, müßten sich fragen, ob ihre Gemeinde das Rild einer lebendigen Kirche spiegelt, in der es sich lohnt zu leben oder wenigstens mitzuarbeiten.

Der Religionsunterricht hat viele wichtige Aufgaben, kann aber für das Mißlingen der Zielsetzungen christlicher Erziehungsarbeit nicht allein und nicht in erster Linie verantwortlich gemacht werden. Er wird vom Staat gewollt und anerkannt als wesentliche Kraft im Rahmen des Bildungsauftrags der österreichischen Schule. Er muß demnach so geplant und gestaltet werden, daß er wohl auch theologisch und kirchlich, vor allem aber auch pädagogisch im Rahmen dieses Ril-dungsauftrags der Schule begründet werden kann. Er erfüllt diese Aufgabe, wenn er im Kontext der Lebenserfahrungen der

Schüler Religion als Sinn erschließende und Zukunft eröffnende Kraft für diese Welt wahrnimmt. .

Er erfüllt diese Aufgabe, wenn er am Lernort Schule mithilft, daß dort ein humaner Lebensraum und ein Ort zwischenmenschlicher Eegegnung und Reziehung entsteht; in einer Kultur des Gesprächs und der Kommunikation, des Arbeitens und des Feierns, in einer Kultur des aufmerksam Re-arbeitens und des kreativen Gestaltens, des mitmenschlichen Engagements und der Sorge für die Umwelt.

Er erfüllt diese Aufgabe bestens, wenn seine Einladung, Kirche zu sein und sich an Jesus auf-und auszurichten, wahrgenommen oder zumindest ernstgenommen wird.

Diese Einladung muß nun, obgleich bei guten Verhältnissen auch die Schule ein Ort pastora-len Handelns sein kann und sein soll, in den Lebensräumen der Familien und der Jugendseelsorge umgesetzt werden. Diese beiden und der schulische Religionsunterricht sind aufeinander verwiesen und auch angewiesen, aber beide haben verschiedene Aufgaben wahrzunehmen, die nicht ohne Verlust reduziert werden können. Um dieses Verständnis wirbt die „Woche des Religionsunterrichtes“.

Der Autor ist Religionsprofessor und Pfarrer von Seebenstein.

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