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An der Grenze zur Armut

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Während über das Wochengeld debattiert wird (FURCHE 35/1986), stellt eine Studie fest: Das Großziehen von Kindern, speziell durch Alleinerzieher, wird nicht honoriert.

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Während über das Wochengeld debattiert wird (FURCHE 35/1986), stellt eine Studie fest: Das Großziehen von Kindern, speziell durch Alleinerzieher, wird nicht honoriert.

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Die Volkszählung 1981 ergab in Österreich 106.491 alleinerziehende Mütter und 10.889 alleinerziehende Väter mit Kindern unter 15 Jahren. Hunderttausende Kinder wachsen demnach in unvollständigen Familien auf. Die Probleme dieser Familien sind groß. Eine Studie der Wiener Politischen Akademie war nun dem Thema „ökonomische und psychologisehe Lebenssituation von Alleinerziehern“ gewidmet.

Etwa ein Drittel der Alleinerzieher ist auf uneheliche Geburt des Kindes zurückzuführen, ein weiteres Drittel auf Scheidung. Jeweils ein rundes Sechstel der Alleinerzieher — zusammen also das letzte Drittel — sind verwitwet oder leben getrennt.

Alleinerzieher hat es immer gegeben. Daß sie in den vergangenen Jahrzehnten etwas seltener als heute waren, lag daran, daß die Generation der zwischen 1930 und 1945 Geborenen die heiratsfreudigste überhaupt war. Uber 90 Prozent dieser Jahrgänge schlössen eine Ehe. Erst in jüngerer Zeit mehren sich die „Singles“, das Zusammenleben ohne Trauschein und die Scheidungen.

Bei einem Fünftel der untersuchten Alleinerzieherfamilien erfolgte die Scheidung/Trennung plötzlich, bei vier Fünftel gab es seit längerem Überlegungen, auseinanderzugehen. Ziemlich deutlich zeigte sich, daß die in 77 Prozent der Fälle gewählte „einvernehmliche Scheidung“ nur juridisch eine solche war, denn vom psychologischen Gesichtspunkt wünschten nur in 37 Prozent der Fälle beide Teile die Scheidung.

Unter der Trennung litten im ersten Jahr besonders männliche Alleinerzieher und nicht erwerbstätige Frauen über 40. Nur in einem Viertel der Fälle kann davon gesprochen werden, daß Vater und Mutter trotz Trennung weiter gemeinsam für die Kinder sorgen. Alleinerzieher sind sehr stark auf Freunde, Bekannte und Verwandte — vor allem die Großeltern der Kinder - angewiesen, 18 Prozent der Befragten nahmen professionelle Hilfe in Anspruch.

Die Scheidungsrate lag 1983 bei 29,5 Prozent und war damit doppelt so hoch wie 1962. Ob eine Ehe geschieden wird, hängt auch von ökonomischen Umständen ab. Zumindest lassen die Tatsachen darauf schließen, daß wirtschaftlich unabhängige Frauen sich häufiger als nicht erwerbstätige Ehefrauen und unselbständig Beschäftigte sich öfter als Selbständige scheiden lassen.

1981 stand in vollständigen Familien in Arbeiter- oder Angestellten-Haushalten ein um 28 Prozent höheres Pro-Kopf-Einkommen als in AlleinerzieherHaushalten zur Verfügung, weniger ins Gewicht fallen die Unterschiede bei öffentlich Bediensteten. Die wesentlichste Ursache dieser Situation ist sicher die Einkommensungleichheit zwischen Männern und Frauen, denn 91 Prozent der Alleinerzieher mit Kindern unter 15 Jahren sind Frauen. Ihnen wird in der Regel nach einer Scheidung das Kind zugesprochen, sie tragen die Hauptlast nach einer unehelichen Geburt.

Gesetzliche Maßnahmen, die hier helfen sollin — vom erhöhten Karenzgeld für ledige Mütter über die Familienbeihilfe, den seit 1982 auch für Alleinerzieher beziehbaren Alleinerhalterabsetz-betrag, die Betreuungshilfe bis zum Unterhaltsvorschuß -, reichen offenbar nicht aus, denn die Studie meint wörtlich: „Mehr als ein Kind zu haben, vor allem aber, mehr als zwei Kinder zu haben, bedeutet für viele der befragten Alleinerzieherfamilien ein Leben an der Armutsgrenze.“

Sind die Kinder aus dem Haus, fallen einerseits diverse Beihilfen und Alimente als Einkünfte weg, anderseits ist ein (Wie-der-)Einstieg ins Berufsleben meist nur zu sehr schlechten finanziellen Bedingungen möglich.

Darin sieht die Studie eine eklatante Mißachtung der Leistungen einer Mutter, die Kinder großgezogen hat, und argumentiert:

„Heute ist es vielfach so, daß vor allem jene, die mehrere Kinder aufgezogen haben, von den Steuerleistungen, die diese Kinder für die Altersversorgung aufbringen, nur eine kleine Rente/Pension erhalten. Häufig erhalten die höchsten Pensionen jene, die sich — unter Verzicht auf Kinder - ganz ihrer beruflichen Karriere gewidmet haben. Damit liegt eine Perversion des Generationenvertrages vor.“

Die Hauptforderungen der Studie, die sich bewußt mehr mit den Alleinerziehern als mit deren Kindern befaßt, sind daher auf eine Angleichung der Bezahlung für Männer und Frauen gerichtet („Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“) und auf ein Uberdenken des Pensionsrechtes, wobei der Vorschlag, den Pensionsanspruch einer Mutter für jedes Kind um zehn Prozent anzuheben, zur Diskussion gestellt wird.

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