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An der Oberfläche

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Ein grandioses Unternehmen, das Phänomen der verschiedenen Religio­nen auf den Fernsehschirm zu bringen! Würde man einem Religionswissen­schaftler zumuten, er solle in einer kur­zen Stunde eine Weltreligion vorstel­len, würde er sagen: Um Gottes willen, das geht doch nicht! Daß es trotzdem geht, beweist die TV-Sendereihe „Die Religionen der Welt“.

Da ich die erste Sendung über Indo­nesien nicht gesehen habe, beschränke ich mich auf die drei Sendungen: Hin­duismus, Judentum, Buddhismus.

Zunächst bewundere ich die Lebhaf­tigkeit der Darstellung, Szenen aus dem Leben wechseln in bunter Abfolge. Die Darstellung des Hinduismus kon­zentriert sich auf zwei Orte: am Ganges sieht man die Massen der feiernden Pil­ger, - als Gegenpol wird man in das noch intakte Hindudorf Bihar geführt, wo man Ausschnitte aus dem Jahres- Festkreis kennenlernen kann. Auch die Lebensstadien eines gläubigen Hindu werden gezeigt: Überreichung der Brahmanen-Schnur, Hochzeitsritus, volles Leben, und schließlich Welt-Ent­sagung in der Gestalt des Alten, der schweigend vor der Haustür meditiert.

Die rasch wechselnde Szenerie be­stimmt auch die Sendung über das Ju­dentum. Man wird mit einem Orchester empfangen; dazu der Weisheits- Spruch: Das Judentum ist eines, kann aber verschieden gespielt werden! - Im weiteren wird dann vor allem die Viel­falt des orthodoxen Judentums gezeigt: Man erlebt das diskutierende junge Volk in der Talmudschule, nimmt an einem Synagogen-Gottesdienst teil, be­wundert die Verehrung der Thora- Rolle, sieht staunend den vor Freude tanzenden Rabbi, und kann schließlich auch sehen, wie die Gebetsriemen ange­schnürt und der Gebetsschal mit seinen Fransen umgeiegt werden muß. Zum Abschluß wird man wieder vom Orche­ster entlassen.

Die Sendung über den Buddhismus ist ungleich schwerer zu skiskizzieren. Das Geschehen kreist um zwei Pole: den staunenden Knaben, der zum Buddhi erklärt und in seinen neuen Sta­tus eingeweiht wird, und den fast allge­genwärtigen, sympathisch wirkenden alten Lehrer. Die abgeklärten und an­dächtig bettelnden Mönche sowie die mit großer Ehrfurcht die Bettelschale füllenden Gläubigen lassen ahnen, was der Buddhismus Tür die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung auf Sri-Lan- ka bedeutet.

Aus diesem kurzen Überblick dürfte ersichtlich werden, daß die Reihe nicht Wesen und Geschichte der großen Weltreligionen darstellen will; - eine auf diese Weise allumfassende Darstel­lung wäre von vornherein zum Schei­tern verurteilt gewesen. Das Ziel scheint vielmehr zu sein, die konkrete, jetzt noch gelebte Erscheinungsform des Religiösen jeweils ins Bild zu be­kommen. Hier muß man tatsächlich die Vielfalt der eingefangenen Phäno­mene bewundern. Der Religionswissen­

schaftler würde daher sagen, daß die phänomenologische Methode diese Sendereihe bestimmt. Das Wort Phä­nomen stammt vom griechischen „phainomena“, womit man das vorder­gründig in Erscheinung Tretende und mit den Sinnen Faßbare bezeichnen will.

Trotzdem muß man sagen, daß auch versucht wird das hintergründige, also das metaphysische System zur Sprache zu bringen; dies zwar nicht lehrhaft vor­getragen, sondern vielmehr als person-, liches Bekenntnis ausgesprochen. In al­len drei Sendungen übernimmt diese Rolle ein Hauptsprecher: im Hinduis­mus ein gereifter Guru, im Judentum sogar der Orchesterdirigent, und im Buddhismus der alte abgeklärte Mönch.

Dramaturgisch ist dies sicher ein gu­ter Griff - aber um welchen Preis? Man muß sich mit obefflächlichen Aussa­gen, einseitigen Akzentsetzungen, und teilweise sogar mit unnotwendiger Po­lemik zufriedengeben. Der jüdische Di­rigent ruft das grauenhafte jüdische Holocaust wach. - Sein Schlußsatz zu Auschwitz „Und die Mörder waren Christen“ gilt wohl als schwere Entglei­sung, die an die seinerzeit verkündete „Kollektivschuld“ der Juden erinnert. Gab es nicht auch ein Holocaust von wirklichen Christen?

Der Gesamteindruck, den die Reihe hinterläßt, ist also zwiespältig. Wer sich wirklich über das Wesen einer Re­ligion informieren möchte, dreht ent­täuscht ab, weil er mit der oberflächli­chen Darstellung unzufrieden ist. Wer aber am volkstümlichen religiösen Spektakel Freude hat, wird weiter zu­schauen, sich aber dessen kaum bewußt sein, daß ihm bloß äußerliche Phäno­mene gezeigt werden und das Tiefere vorenthalten wird; er soll sich am Schö­nen und Fremdartigen erfreuen, die dunkle Seite der Religion, die nicht fo­togen ist, wird ihm erspart.

Um zu zeigen, was nicht in das Bild kam, noch abschließend ein indisches Erlebnis:

In Benares - heute Varanasi - ver­brachte ich mehrere Tage unten am Ganges bei den Leichenverbrennungs- Stätten. Der brennende Holzstoß, der Geruch des aufsteigenden Rauches, mit süß-duftenden Harzen verstärkt, dazu der ebenso süßlich riechende Rauch des brennenden Leichnams wirkten viel eindrucksvoller als die kurz vorher be­suchten Türme des Schweigens, in de­nen die Parsen ihre Leichen den fetten Aasgeiern zum Fräße übergeben.

Doch als die Leute am Ganges den Rest aus Asche mit den bloßen Händen in den Fluß trugen und andächtig das mit Asche gemischte gelbe Flußwasser tranken, meinte mein indischer Beglei­ter entschuldigend: „Nonsense of Reli­gion!“ - was man auch positiv verste­hen kann: Das Eigentliche an der Reli­gion ist nicht darstellbar!

Univ.-Prof. DDr. Claus Schedl ist Vorstand des Instituts für Religionswissenschaft an der Univer­sität Graz.

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