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An die Stelle des Konfliktes trat die gemeinsame Verantwortung
Drei Abende lang drängten sich in der letzten Aprilwoche Hunderte von Menschen vor den Toren der Bayrischen Akademie der Wissenschaften am Münchner Marsstallplatz. Sie alle wollten noch Einlaß finden zu den Vorträgen namhafter Wissenschaftler, mit denen sich das von Kardinal Dr. Franz König in seiner Eigenschaft als Präsident des römischen „Sekretariats für den Dialog“ gemeinsam mit der Bayrischen Akademie der Wissenschaften veranstaltete Symposion über das Thema ^Glaube und Wissenschaft“ auch einer breiten Öffentlichkeit präsentierte. Doch die drei Abende im überfüllten Festsaal mit Nobelpreisträger Prof. Konrad Lorenz, dem Wiener Psychiater Prof. Vifctor E. Frankl und dem Informatik-Wissenschaftler Prof. Hans Zemanek von der Technischen Universität Wien waren nur ein Aspekt dieser in vielerlei Hinsicht einzigartigen Veranstaltung. Der eigentliche Schwerpunkt lag auf vier geschlossenen Arbeitskreisen, in deren Rahmen zahlreiche namentlich geladene Wissenschafter in dreitägigen Intensivgesprächen über aktuelle Fragen des Verhältnisses von Glaube und Wissenschaft diskutierten.
Die Auswahl erfolgte nicht nach konfessionellen und weltanschaulichen Gesichtspunkten, sondern allein im Hinblick auf die fachlich-wissenschaftliche Qualifikation. Das schloß
nicht aus, daß nur solche Wissenschaftler der Einladung des Wiener Kardinals folgten, für die die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Wissenschaft nicht nur sinnvoll, sondern auch ein echt persönliches Anliegen ist. Man dürfe nicht vergessen, meinte der Physiker und Philosoph Kart Friedrich von Weizsäcker, daß es heute zahlreiche Naturwissenschaftler gebe, die man nicht mit fünf Pferden zu einem solchen Symposion bringen könnte. Die gegenseitige Anerkennung, Verständnis und Sympathie für die Sache des anderen sind schließlich die unabdingbare Voraussetzung für das Zustandekommen eines solchen Dialogs.
Daß dies alles nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, zeigt ein Blick auf die Vergangenheit, die durch schwere Spannungen und Konflikte zwischen Glaube und Wissenschaft gekennzeichnet war. Der „Fall Galilei“ ist geradezu zum Symbol dieses Konfliktes geworden. Es wäre müßig, heute darüber zu streiten, wen hier die größere „Schuld“ trifft: die Kirche, die im Interesse des Glaubens unbedingt am aristotelisch-ptolomä-ischen Weltbild festhalten zu müssen glaubte, oder aber die moderne Wissenschaft, die mehr als einmal unter Mißachtung der Grenzen des wirklich Wissbaren einen Totalitätsanspruch
des empirisch Feststellbaren erhob, der den Geheimnischarakter des Seins leugnet und darum auch für den Glauben keinen Raum mehr ließ. So meinte der Historiker Golo Mann, der antireligiöse Affekt der neuzeitlichen Wissenschaft sei keineswegs von den großen Naturforschern des 16. und 17. Jahrhunderts ausgegangen, die durchwegs tieffromme Männer waren und ihre Wissenschaft in metaphysischer Absicht betrieben, sondern von den „Ausmünzern“ und Popularisatoren des in Raum und Zeit ungeheuer angewachsenen Weltwissens im Zeitalter der großen Entdeckungen, kurz: von den „Intellektuellen“, die die neue Wissenschaft als ein Vehikel der Emanzipation von den überkommenen Autoritäten benützten und durch die immense Verbreitung ihrer Schriften den Zeitgeist nachhaltig bestimmten. Daran habe sich bis zum heutigen Tag nichts geändert, sagte Mann. Voltaire und Bertrand Rüssel seien gleicherweise Repräsentanten jenes „wur- y zellosen Humanismus“, der stets die Gefahr jeder radikalen Aufklärung gewesen ist. Der Konflikt zwischen Glaube und Wissenschaft zumindest in dieser Form gehört heute endgültig der Vergangenheit an. Er wurde entschieden durch den Sieg der Naturwissenschaft auf allen entscheidenden Linien, worüber auch gelegentliche theologische Rückzugsgefechte nicht hinwegtäuschen können. Das gilt zumindest für die Physik, die ihren Streit mit Kirche und Theologie schon längst hinter sich hat, in geringerem Maß für die Biologie, wo der Streit um die Evolutionstheorie und den Darwinismus noch in lebhafter Erinnerung steht, am wenigsten vielleicht für die Soziologie, in der der antireligiöse Affekt noch am ehesten anzutreffen ist. Demnach wäre es verfrüht, bereits von einer Annäherung, gar Konkordanz zu sprechen.
„Der Sinn eines solchen Dialogs liegt nicht in der Herstellung einer vorschnellen Konkordanz, sondern darin, daß wir uns brüderlich auch unangenehme Fragen stellen“, sagte von Weizsäcker. So könnte der Naturwissenschaftler den Christen fragen, ob die ihn leitenden Denkkategorien nicht letztlich dem 13. oder dem 16. Jahrhundert weit angemessener seien als dem 20. Der Christ wiederum dürfe den Naturwissenschafter fragen, ob dieser durch die Folgen seines wissenschaftlichen Tuns der Welt und den Menschen nicht doch letztlich Gewalt antue. Die moderne Physik habe die traditionellen kosmologischen Weltbilder samt und sonders zerstört, ohne ein eigenes „wissenschaftliches“ Weltbild zu schaffen, weswegen es auch als Unfug bezeichnet werden
müsse, mit einem solchen vulgärmaterialistischen hausieren zu gehen.
Diese „Unanschaulichkeit“ der modernen Physik stelle zwar die menschliche Vorstellungskraft auf eine harte Probe, stelle aber nichtsdestoweniger einen echten Erkenntnisfortschritt dar, der zudem das Gespräch mit dem Glauben ungemein erleichtert, sofern dieser seinerseits auf die Bindung an ein bestimmtes Weltbild verzichtet.
Von Weizsäcker sprach in diesem Zusammenhang von der „religiösen Erfülltheit“, die er bei großen Physikern wie Nils Bohr oder Werner Heisenberg immer wieder feststellen konnte, wenngleich diese Männer jede kirchlich-dogmatische Fixierung als „unfromm“ ablehnten. Hier werde die Leistung der modernen Wissenschaft, ihr Dienst am Glauben überdeutlich. Letzterer besteht, wie von Weizsäcker betonte, in der „unermeßlichen Befreiung des Glaubensinhalts vom Glaubenszwang“. Dies gelte nicht nur für die moderne Naturwissenschaft, sondern auch für die historisch-kritische Hermeneutik, die die Texte des Alten und Neuen Testamentes in ungeahnter Weise wieder „zum Leuchten“ gebracht habe.
Die Frage ist, ob die aktuellen Probleme zwischen Glaube und Wissenschaft heute überhaupt noch primär auf der theoretischen und weltanschaulichen Ebene liegen und nicht dort, wo die moderne Wissenschaft durch ihre technologischen, ökonomischen und politischen Umsetzungen zu irreversiblen Veränderungen unserer Lebenswelt führt, die schlechthin eine Bedrohung allen höheren Lebens auf diesem Planeten darstellen.
Die Frage von Weizsäckers, ob „objektiv betrachtet sich der moderne Naturwissenschaftler nicht zuletzt in einer verbrecherischen Situation befindet“, ist nicht länger von der Hand zu weisen. Einer der bestimmenden Eindrücke dieses Münchner Symposions war wohl der: An die Stelle des alten Konfliktes zwischen Religion und Wissenschaft ist heute die Verantwortung beider für die irdische Lebenswelt getreten. Diese neue Situation wird allerdings einen neuen Stil des
christlich-naturwissenschaftlichen Dialogs bedingen, dessen Inhalt und Spielregeln erst konkretisiert werden müssen. Es ging daher um die längst fällige Revision des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur, wie es seit dem Beginn der Neuzeit bestimmend geworden ist.
Im Moment stehen noch die Befürchtungen und Sorgen führender Wissenschaftler hinsichtlich ihrer eigenen Wissenschaft im Vordergrund. So meinte der französische Genetiker Prof. Lejeune, die gegenwärtige Hypertrophie des Verstandesdenkens berge die ernsthafte Gefahr in sich, daß die Menschheit im wörtlichen Sinne „verrückt“ wird. „Denn“ - so Lejeune in Anknüpfung an die berühmte Definition von Chesterton - „ein Verrückter ist ein Mensch, der alles verloren hat mit Ausnahme seines Verstandes.“
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