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An Paula Wessely (7J)
Dies wird ein Nachtbrief an Dich, einer von vielen, die ich Dir in meinem Leben schon geschrieben und nie abgeschickt habe. Sie alle waren aus meinem Herzen in Dein Herz formuliert und die meisten von ihnen waren bei Tageslicht keine Briefmarke mehr wert.
Ich wünsche Dir alles Gute zu Deinem Geburtstag. Wir haben uns seit vielen Tagen nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht, ob Deine Augen heute müde aussehen.
Ich denke an Dich über die beschneiten Dächer einer halben Stadt hinweg, und der alte Kinderwunsch steigt in mir auf, Dich in meine Arme nehmen zu können, um Dich zu beschützen vor allen Gedanken, Ängsten und Geistern. Das Geheimnis Deiner Kraft läßt diesen Wunsch auch heute als nichts weiter denn einen kindlichen Versuch erscheinen, ganz zu Dir vorzudringen.
Ich liebe alles das, was uns nicht verwandt macht. Es ist unser kostbarstes Gemeinsames. Das Unverwandte in Dir und mir bestimmt die Wahl unserer Verwandtschaft.
Wir sind miteinander nie ausgesprochen zärtlich umgegangen. Jede Revolte meinerjungen Jahre gegen Dich war sinnvoll für mich und hat Dir wehgetan, und jedes Mißverständnis zwischen uns Erwachsenen schien jedesmal unvermeidbar. Du hast auf vieles verzichtet, was anderen Müttern selbstverständlich zufliegt. Vermisse es nicht. Es ist längst ersetzt.
Du hast uns Kinder ausdrücklich nie als Dein Eigentum betrachtet, nur immer als ,J)ir geliehen". Das versteht kein Kind, aber eine Erwachsene möchte sich dafür bedanken. Ich bin gerne eine Leihgabe an Dich. Alles zwischen uns nie Ausgesprochene bewahre ich, es legitimiert die vielen Worte, die wir gemacht haben.
Ich möchte Dich vor den Alltagswidrigkeiten Deines Älterwerdens bewahren, vor dem scheinbar lebensgefährlichen Kräftevergeuden, das Dein Einsatz für den Beruf Dir abringt. Davor, daß Dich der heutige Theaterbetrieb verbrennt, bevor ein Funke Deines Schöpferischen sich entzünden kann. Davor, daß Du keine Lust mehr haben solltest, diesen Theater-und Lebensbetrieb mit Deinem blitzenden Humor auf sein wahres Maß zurückzuentlar-ven. Vor jeder Resignation. Vor dem Gesetz, nach dem Du angetreten bist, kann ich Dich nicht bewahren. Es heißt Kampf, nicht Ernte. Ich wünsche Dir alles Gute zum Geburtstag, Alterslose. Deine Alte.
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