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An Ratten erwiesen: Altern kann gehemmt werden

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Zwei in der internationalen Fachwelt als „Sensation“ bezeichnete Forschungsergebnisse aus der experimentellen Gerontologie wurden in Wien publiziert: Erstmals gelang es, in einem mathematischen Modell den Alterungsprozeß bei Versuchs tieren(Rat-ten) exakt zu definieren und zu beschreiben. 30 Merkmale dienen als Maßstab für die Feststellung: Wie alt ist ein Organismus biologisch, ist er „älter“ oder Jünger“, als es dem chronologischen Alter entspräche? Mit der Erstellung dieses Modells war der Weg frei zum zweiten Forschungsergebnis: Die Abnahme der Vitalität durch das Altern ist beeinflußbar, sie kann - zumindest an den Laboratoriumsratten -durch Injektion von Hodengewebe, durch eine Kombination von Lauftrai-

ning und Fasten sowie durch Fasten allein verlangsamt werden. Alle diese Ergebnisse wurden an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien erzielt.

„Womit es zusammenhängt, daß sich der Alterungsprozeß am Versuchstier durch die genannten Maßnahmen verlangsamen läßt, wissen wir noch' nicht“, geht Univ.-Prof. Alfred Kment, der Vorstand des Physiologischen Instituts, auf Detailfragen ein. „Bei dem gefriergetrockneten (lyophilisierten) Hodengewebe, das wir den Versuchsratten injiziert haben, sind wir sicher, daß es keine Wirkung des im Injektionsmaterial enthaltenen männlichen Geschlechtshormons Testosteron ist -ein bisher nicht identifizierter Stoff hat die alterungshemmende Wirkung.“

Diesen Schluß ziehen die Forscher-neben dem Leiter Prof. Kment ein Team von 20 Medizinern, Physikern, Chemikern und Mathematikern - aus der Tatsache, daß der alterungshemmende Effekt nicht kurzfristig eintritt (wie es bei einem Hormon als Wirkstoff der Fall wäre), sondern erst langfristig zum Tragen kommt. Die Versuchstiere bekamen das Hodengewebe mehrere Monate vor den Messungen gespritzt.

„Wir haben Vermutungen, daß kurzkettige Polypeptide im Hodengewebe wirksam sind - das ist aber, wie gesagt, nicht mehr als eine Vermutung. Eingehende Untersuchungen müssen jetzt diese Frage aufklären“, ergänzt Univ.-Prof. Gerhard Hofecker.

Der Effekt ist nicht als „Verjüngung“ während des gesamten Lebens zu verstehen - jüngere Tiere zeigen kaum jene Änderungen, die von den Wissenschaftern als biologisch verlangsamtes Altern interpretiert werden. Es handelt sich eher darum, daß der Eintritt in die Phase der Senilität verzögert wird - man bleibt länger vital.

In Zählen ausgedrückt, wirkte sich das Hodengewebe bei den Ratten so aus, daß 30 Monate alte Tiere (das entspricht etwa dem durchschnittlichen Lebensalter von Ratten) eine Vitalität aufwiesen, wie sie bei eineinhalb Monate jüngeren Ratten „normal“ wäre. Auf menschliche Verhältnisse übertragen würde das bedeuten: Ein 60jäh-riger wäre vital wie ein 57jähriger- und zwar nicht nur psychisch, sondern vor allem auch in Hinblick auf mehrere die Vitalität bestimmende Körperfunktionen. In dieselbe Richtung, wenn auch schwächer, wirkten die beiden anderen „Verjüngungsmaßnahmen“ Laufen und Fastea

Detailanalysen ergaben an den Tieren eine Fülle weiterer interessanter Veränderungen, denen die Wiener Wissenschaftler nun nachgehen wollen. So erhöhte sich der Testosteron-Spiegel (also die Menge des männlichen Geschlechtshormons in den Hoden), gleichzeitig sanken Cholesterin-und Serumlipidspiegel. Was diese Detailergebnisse bedeuten, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden, es zeigt aber, welche Fülle an bisher noch unbearbeiteten Phänomenen auf die Erforschung wartet

Das Forscherteam wird nun eine weitere dreijährige Versuchsreihe anschließen, um auch die Auswirkungen negativer Einflüsse auf den Alterungsprozeß und die Vitalität zu erforschen. (Die Frage lautet: Fördert Streß das Altern?)

Die Forschungsergebnisse und das

ihnen zugrundeliegende mathematische Modell wurden auf dem zweiten Wiener Symposium über experimentelle Gerontologie publiziert. Mit Hilfe des Modells ist es erstmals möglich, den bisher nicht ausreichend definierten Begriff des biologischen Alters durch exakte, wiederholbare Untersuchungen einzugrenzen. Es arbeitet mit Parametern, die in langjährigen Laborexperimenten getestet worden sind.

Das Modell ist auf der ganzen Welt bisher einzigartig - eine relativ verläßliche wissenschaftlich fundierte Antwort auf die Frage, ob das biologische Alter mit dem chronologischen übereinstimmt, war bisher nicht möglich

gewesen. Da die Altersvorgänge bei Tier und Mensch im Prinzip gleich sind, können auf diese Weise durchaus wertvolle Ansätze auch für die humanmedizinische Forschung ausgearbeitet werden. Für die Erforschung der Frage, auf welche Weise der Alterungsprozeß verlangsamt werden kann, wurden über 400.000 Einzelwerte, gewonnen aus Messungen und Beobachtungen an 1100 Ratten, in das Modell eingespeichert. Die Wiener Wissenschaftler wollen nun noch exaktere Modelle ausarbeiten, die die Alterungsprozesse in verschiedenen Altersstufen beschreiben und messen können.

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