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Analyse unmöglich

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„Wir sind gegen keine Fehler an andern intoleranter als jene, welche die Karikatur unserer eigenen sind" (F. Grill-parzer)

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„Wir sind gegen keine Fehler an andern intoleranter als jene, welche die Karikatur unserer eigenen sind" (F. Grill-parzer)

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Als Sozialforscher hatte ich gegen diese erste Wiener Volksbefragung, die politisch-praktisch mehrfach zur (verbindlichen) Volksabstimmung umgedeutet wurde („Die Parteien plakatieren immer noch auf den Dreieckständern"), eingestandermaßen ein Vor-Urteil. Dieses wurde leider durch die Erfahrungen rund um die Volksbefragung unterstützt.

Mein Vorurteil stammte (u. a.) aus der Kenntnis der ersten Frageformulierungen, die das Licht der Öffentlichkeit erblickten. Bereits diese erinnerten an Fehler, wie sie in meinem Beruf immer wieder vorkommen und die Quellen uninterpretierbarer Resultate darstellen. Es war aber nicht-zumindest nicht klar - vorhersehbar, welche zusätzlichen Mängel noch auftreten und die Ergebnisse in ihrer Qualität mindern würden.

Die folgende Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Bei der groß plakatierten Darstellung der Fragen wurde bei der „Flötzersteig-Frage" die vorgesehene Antwortmöglichkeit „Nein" vergessen. Andere Deutungen wie „verdrängt" oder „unterdrückt" überlasse ich Psychoanalytikern bzw. Politologen. Bei einem Meinungsforschungsinstitut würde eine falsch gedruckte Informationskarte zu deren Einstampfung fuhren.

Die Formulierung dieser Frage war

- ganz abgesehen von der Deutung, die im Begriff „zweite Westeinfahrt" steckte - darauf angelegt, die Zahl der „Befürworter" zu maximieren. Der einzelnen Antwortkategorien „Nein" standen mehrere Möglichkeiten gegenüber, die wählbar waren. Theoretisch hätte eine, weitere Aufzählung von „Ausbaumöglichkeiten"

- auch wenn sie nicht-realistische Varianten beinhaltet hätte, z. B. eine Tunnelvariante - zu einer noch größeren Absenkung der Nein-Antworten führen können.

Da vorher nicht klar festgelegt und gegenüber den Befragten ausgesprochen wurde, wie die Ergebnisse gewertet werden, fiel nachher auch die Interpretation schwer.

Wofür steht ein einfaches, nicht näher spezifiziertes „Ja"? Implizierte ein eindeutiges Votum für eine „niveaugleiche Straße mit geregelter Kreuzung" eine Ablehnung der „kreuzungsfreien Hochstraße"? Wie wurden jene Angaben behandelt, die auf „Nein" lauteten, aber eine niveaugleiche Straße für akzeptabel hielten? Wertete man sie streng als ungültig? War das angesichts der unklaren Vorinformationen (vergessenes Plakat-„Nein") gerecht?

Wie bewertet man die Schwierigkeiten und die wahrscheinlich resultierenden Fehler, die manche Menschen mit dem Ausfüllen hatten? Es fehlt auf den Stimmzetteln der erlösende Hinweis „Zutreffendes ankreuzen". Auf die Gefahr hin, daß man mich für einen Idioten hält oder für berufsunfähig erklärt: obwohl ich wußte, wie man richtig ausfüllt, war ich nach dem Ausfüllen einen Sekundenbruchteil unsicher, als mich bei der Flötzersteigfrage ein unbeschädigtes „Ja" anlachte.

Um die Verständlichkeit von Fragen, Formulierungen und Antwort-Uchniken zu testen, führen Meinungsforschungsinstitute vor der eigentlichen Befragung sogenannte „Pretests" (Vor-Tests) durch. Schon um sich gegen Schlampereien zu schützen. Hat man hier Vor-Tests durchgeführt? Oder ist man auch hier in eine Schlamperei hineingeschlittert, wie sie anderwärts bis zur „Spitalsreife" gediehen ist?

Unklare Fragen, fehlerhafte Information, ungenügende Festlegung a priori lösen einen besorgniserregenden Mangel an interpretierbaren Daten aus.

Das Schlimmste freilich ist, darüber achselzuckend hinwegzugehen und so zu tun, als ob nichts geschehen wäre (was im übertragenen Sinn bis zu einem'gewissen Grad der Fall ist). Nach einem Pascal-Wort ist es zweifellos ein Übel, voller Fehler zu sein; aber es ist ein noch größeres Übel, es zu sein und sie dabei nicht anerkennen zu wollen, da man sie ja noch durch den Fehler einer selbst-gewollten Illusion vergrößert.

Die Illusion besteht hier in dem Glauben, direkte Demokratie beispielhaft vorgeführt zu haben; in der Auffassung, daß „die Wiener" die Plakatständer verbannt haben (wie man mit einem Vergessensabstand von einer Woche schon in manchen Zeitungen lesen kann).

Nun bin ich zwar überzeugt davon, daß sehr viele Wiener keine Plakatständer wollen, so wie sie auch Werbematerial der Verkehrsbetriebe und der Gemeinde als unnötig erachten und architektonische Stadtver-schandelung ablehnen, aber explizit dagegen votiert haben etwa zwei Drittel jenes . knappen Drittels der Wahlberechtigten, die überhaupt zur Volksbefragung gingen bzw. bis zu der Wahlzelle vordrangen. (Bei der Abstimmung über den Sternwartepark waren es „paradoxerweise" mehr Wiener, die sich beteiligten).

Ich weigere mich, diese erste Wiener Volksbefragung als Testfall anzusehen. Es wäre der Vorbote schlechterer Wirklichkeiten. Bei einer Fortsetzung dieses Stils (Diskriminierung des Begriffs „politisch"; Stellungnahme gegen Plakatständer auf solchen bei behaupteter Nicht-Empfehlung usw.) wage ich ohne empirische Befragungsdaten ein Absinken der Teilnahme der Bürger unter Quoten, wie sie bei Hochschülerschaftswahlen üblich sind, zu prognostizieren.

(Als der griechische Philosoph Heraklit vom Zustand der damaligen Stadt-Demokratie „angefressen" war, soll er sich angeblich dem Würfelspiel zugewandt haben ...) , Für den Fall, daß wieder eine Volksbefragung durchgeführt werden sollte, biete ich dem zuständigen Stadtrat (derzeit Nekula) ohne jede Ironie meinen fachlichen Rat bei der Frageformulierung an (gratis). Zusammen mit Fachkollegen, betroffenen Bürgern und Politikern sollte ein Fragen- und Ablaufschema erarbeitbar sein, das durch Klarheit der Fragen und Informationen auch die Voraussetzung für die Klarheit der Antworten schafft.

Diese Volksbefragung hat weder einen positiven Beitrag zur Entwicklung unserer politischen Kultur noch zur vorläufigen Klärung wichtiger Fragen geliefert.

Der Autor ist Sozialforscher und Geschäftsführer des Dr.-Fessel-GfK-Instituts für Markt- und Meinungsforschung.

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