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Anders als anderswo

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Um die Jahreswende 1974/75 revidierte die OECD, unbemerkt von Familie Österreicher, ihre weltwirtschaftliche Prognose drastisch nach unten. Ihre Wachstumserwartungen, die bis dahin für 1975 auf 1,5 Prozent beziffert -worden waren, haben sich immer mehr als realitätswidrig optimistisch erwiesen und mußten daher auf 0,5 Prozent zurückgenommen werden. Dem ölschock wurde damit ein Wachstumsschock hjmzugefügt. Es wird sich zeigen, ob der weltweite Abschied vom Wirtschaftswachstum ein zeitweiliger, also re- zessionsbedingter, bleiben wird, oder ob sich die industrialiserte Welt auf jenes von Denis Meiadows vorge- schlagene, von der Öffentlichkeit jedoch abgelehnte Nullwachstum einzupendeln beginnt.

Nach Meinung der OECD wird gegenwärtig die Weltwirtschaft vor die schwerste Prüfung der Nachkriegszeit gestellt. Dafür werden zwei Ursachen verantwortlich gemacht:

es wurde international nichts unternommen, um die überbordende Nachfrage des Jahres 1973 einzubremsen und aus einem ölschock wurde ein Energie-, Technologie- und nunmehr ein Wachsfumsschiock.

Es wäre nach Auffassung der OECD sinnlos, die unangenehme Wahrheit nicht wahrhaben zu wollen, daß die westliche Welt derzeit an Stagflation erkrankt ist, also sowohl an Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung mit dementsprechend hoher Arbeitslosigkeit, als auch an Inflation leidet. In wichtigen Industriestaaten geht die Zahl der Arbeitssuchenden in die Millionen und erreichte in den USA eine Arbeitslosenrate von mehr als 8 Prozent. Die weltweite Inflation von 15,5 Prozent ton abgelaufenen Jahr dauert fort und wird für heuer auf immerhin 11 Prozent geschätzt. Immer häufiger werden Parallelen zur ‘großen Weltwirtschaftskrise entdeckt

Erfreulicherweise ‘gibt es einen, wie mir scheint, ‘gewaltigen Unterschied zu den düsteren Jahren der großen Weltwirtschaftskrise. Die Wirtschaftspolitik läßt, anders als damals, heute die Dinge nicht treiben, sie ist vielmehr bemüht, national, ebenso wie in zwischenstaatlicher Zusammenarbeit, der drehenden wirtschaftlichen Talfahrt Einhalt zu gebieten. Beispiele dafür sind die Konjuntoturbelebungspfo- gramme der BRD und der USA, die Konjunkturgespräche zwischen den USA und der EWG, der Regierungschefs der USA und Frankreichs, der BRD und Englands. In die gleiche Richtung zielen die zwischenstaatlichen Bemühungen um ein Recycling der Öldollars im Rahmen des IMF sowie der OECD. Es wäre jedoch eine Illusion, zu glauben, dal die Bekämpfung der sich weltweit ausbreitenden Arbeitslosigkeit nui des Einsatzes Keynesscher Rezept« bedarf. Die Schaffung zusätzlicher kaufkräftiger Nachfrage stößt nämlich dort ins Leere, wo die Wirtschaf tsgrundlagen, Technologien und Strukturen etwa durch neu« Energie- und Arbeitekostenrelationen in Unordnung geraten sind Kein Wunder, daß der von der vor jährigen außerordentlichen Generalversammlung der Vereinten Nationen erhobene Ruf nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung kaum mehr überhört werden kann, was zuletzt durch den Aufruf von sieben Nobelpreisträgern nachdrücklich unterstrichen wurde.

Österreich hatte es demgegenüber nicht nur besser, sondern gut Unsere noch vor etlichen Jahren als Nachzügler wirtschaftlicher Entwicklung und notorischer Konjunk- tumehmer charakterisierte Alpen republik ist in den letzten Jahren wirtschaftlich mündig geworden. Hinsichtlich industrieller Expansion, wirtschaftlichen Wachstums, Vollbeschäftigung, sozialen Friedens, Zahlungsbilanzausgieichs und ver- hältnisVnäßiger Preisstabilität sind von Österreich Rekordergebnisse erreicht worden, an die in seiner beeindruckenden Gesamtheit kein anderer OECD-Staat herankam. Das hat dazu geführt, daß in Kreisen der OECD als „weißer UNO“ von modellhaften Erfolgen Österreichs gesprochen wird und daß uns das Ausland bereits beneidet.

Trotz ihres wohlbegründeten wirtschaftlichen Selbstbewußtseins ist allerdings aüch die Familie Österreicher besorgt um die weitere Entwicklung der Wirtschaft. Wird es auch 1975 gelingen, an die Erfolge der letzten fünf Jahre anzuschließen? Man erinnert sich in diesem Zusammenhang jenes weitverbreiteten Pessimismus, demzufolge bereits ein Schnupfen der bundesdeutschen Wirtschaft ausreiohe, die österreichische Wirtschaft mit der Gefahr einer Lungenentzündung zu konfrontieren. Wie sehr haben sich jedoch in der ersten Hälfte der siebziger- Jahre die Dinge geändert! Schon um die Mitte des Vorjahres wurde Österreichs Wirtschaft von der OECD bescheinigt, sich trotz weltweiter und bundesdeutscher Wirtschaftsabschwächung gut gehalten zu haben und wahlgerüstet zu sein, um auch 1975 einer von außen kommenden Schnupfeninfektion erfolgreich trotzen zu können.

Die für ihre Vorsicht bekannten Experten des Österreichischen Instituts für Wirtechaftsforschung, denen das Kunststück gelungen war, für 1974 den österreichischen Preisanstieg — bekanntlich der drittnied-

rigste der gesamten Welt — auf ein Zehntel Prozent genau zu prognostizieren (9,5 Prozent), diskutierten ihre Konjunkturprognose für 1975 traditionsgemäß mit den Mitarbeitern des Beirats für Wirtechafts- und Sozialfragen. Die österreichischen Experten, zu denen auch jene des Instituts für Höhere Studien zu zählen sind, die ähnlich wie für die Vorjahre auch für 1975 mit einer Prognose auf Grund ihres mathematischen Prognosemodells aufwarten können, sind einhellig der Auffassung, Österreichs Wirtschaft werde es 1975 besser gehen, als auf Grund der düsteren weltwirtschaftlichen Entwicklungen anzunehmen wäre.

Bei Fortsetzung des gegenwärtigen wirtschaftepolitischen Kurses hat Österreich die große Chance, auch 1975 wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Anders als anderswo ist in Österreich die Vollbeschäftigung ungefährdet Anders als anderswo wird die österreichische Wirtschaft nicht stagnieren, sondern auch heuer etwa um 3,5 Prozent wachsen. Anders als anderswo wird der Preisauftrieb toi Österreich auch 1975 die magische 10-Prozent-Marke nicht überschreiten (in Westeuropa rechnet man mit gerüttelten 12,5 Prozent). Anders als anderswo wird es zu keiner dramatischen Passivierung der Zahlungsbilanz kommen.

Familie Österreicher darf also damit rechnen, daß auch 1975 in wirtschaftlicher Hinsicht ein gutes Jahr werden wird. Familie Österreicher sollte aber nicht glauben, daß dem auf Grund naturgesetzlicher Entwicklungen so sein müsse und daß man also nichts selbst dazutun muß. Wir alle sollten uns vielmehr aufgerufen fühlen, unsere modellhaften Erfolge und Errungenschaften gemeinsam gegen alle vom Ausland drohenden Verunsicherungen zu verteidigen. Dieses Anliegen sollte gerade in einem Jahr der Staatsjubiläen und des in Zusammenhang damit berechtigterweise zu pflegenden Staatsbewußtsedns ein Anliegen aller Gutgesinnten sein.

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