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Andropow zieht seine Leute nach

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Juri Andropow ist der erste sowjetische Parteiführer seit Josef Stalin, der sich schon beim Antritt seiner Herrschaft Generalsekretär nennen darf: Breschnew konnte dies erst nach zwei Jahren, und Chruschtschow blieb zeit seiner Führung „Erster Sekretär". Das ist mehr als nur eine formale Finesse, zeigt wie stark die Macht des einstigen KGB-Chefs in diesem Augenblick bereits ist.

Mit 68 Jahren und einer akuten Herzschwäche bleibt ihm weit weniger Zeit, seiner Führung epochalen Charakter zu verleihen. Dementsprechend das im Vergleich zu vorangegangenen Epochen und zum langsamen Machtaufbau von Chruschtschow und Breschnew überraschend schnelle Tempo, in dem Andropow durchgreift.

Mit der angebrachten Vorsicht läßt er das Politbüro unverändert, zieht nur seinen Gefolgsmann Geidar Aliew nach. Der verhältnismäßig junge Nikolai Ryshkin rückt ins Sekretariat auf.

Noch ist Andropow nicht, wie seinerzeit Breschnew, Staatspräsident. Er wurde jedoch in das Präsidium des Obersten Sowjets gewählt, die beste Voraussetzung, um am 30. Dezember, wenn die Sowjetunion ihr sechzigjähriges Bestehen feiert, auch formell die Präsidentschaft zu übernehmen.

Aliews Aufstieg ins Politbüro ist bezeichnend für den neuen Führungsstil. Ein alterprobter KGB-Mann in der Führungsspitze. Kein Zweifel, der einstmals oberste Polizist im Polizeistaat ist an der Macht und zieht seinen Lubjanka-Klüngel nach. Die Geheimpolizei, allmächtig im Innern des Landes und weltweit im Vormarsch, ist nicht nur eine der drei Machtsäulen des Staates unter dem Hammer und Sichel, sie bildet auch die Machtbasis für den neuen Kremlherrn.

Eine Blutauffrischung in der überalteten Führungsspitze ist unausweichlich. Und früher oder später werden andere Gefolgsleute aufsteigen. Bezeichnend für die äußerliche Aufwertung des KGB ist auch die Tatsache, daß der neue Chef, Fedortschuk, unlängst seinen ersten öffentlichen Auftritt zelebriert hat, in welchem er zur Wachsamkeit vor westlicher Diversion aufruft. Solche Töne pflegt der Kreml anzuschlagen, wenn Krisenzeichen am Firmament stehen.

Ryshkin und Aliew sind energische Männer, die befähigt erscheinen, Andropows Bestreben durchzusetzen und die Wirtschaft effektiver zu machen, Korruption, wachsende Bedrohung der kommunistischen Moral im Sowjetstaat auszumerzen.

Aliew hat sich seine Sporen bereits verdient, als er als KGB-Chef in seiner Heimat Aserbeid-schan rücksichtslos gegen Bestechung und Verschleuderung der wirtschaftlichen Ressourcen vorging. Es regnete harte Gefängnisstrafen, der Parteichef der Republik unterschrieb sogar Todesurteile. Juristen und Polizeibeamte wurden verstoßen.

Diese Maßnahmen und die ständigen Aufrufe zur „Stärkung der kommunistischen Moral" erreichten freilich nicht, was sich Aliew erwartete. Er mußte offen eingestehen, daß Kriminalität im Steigen begriffen ist und daß die Wirtschaft weiterhin unter Inkompetenz und Ineffizienz leidet. Gleichwohl scheint Aliew in denAugen Andropows mehr erreicht zu haben, als jeder andere an seiner Stelle. Nun ist der Aserbeid-schaner ausersehen, sein hartes Durchgreifen auf landesweiter Ebene zu demonstrieren. v

In der benachbarten transkaukasischen Republik Georgien hat der dortige Parteichef nicht minder nachhaltig und erbarmungslos gegen die dort besonders grassierende Korruption kurzen Prozeß gemacht. Dafür wurde er vor vier Jahren durch die Kandidatur zum Politbüro belohnt. Sche-wardnadze empfielt sich Andropow wie Aliew für eine landesweite Kampagne, ein Großreinemachen mit wirtschaftlichen Übeln und steigender Kriminalität.

Eine Säuberung unblutigen Ausmaßes steht der Sowjetunion bevor. Ob Aliew und Co. auf Unionsebene bessere Erfolge beschieden sind als in der Heimatrepublik wird sich zeigen, davon hängt allerdings auch Andropows Position ab.

Dieser setzt wie Breschnew die Klagen über eine verschwenderische und unproduktive Wirtschaft fort, er verspricht den Militärs zu geben, was sie verlangen. Den Bürgern macht er Hoffnung, indem er den Aufschwung der sträflich vernachlässigten Konsumgüterindustrie verspricht. Den landwirtschaftlichen Gütern ist bereits jetzt mehr Entscheidungsfreiheit in eigenen Belangen zugesagt, um die triste Lebensmittelversorgung aufzubessern.

Nach außen setzt Andropow die Entspannungspolitik im Sinne Breschnews fort — mit allen ihren Fußangeln, die der Kreml in Detente parathält. Andropow verspricht flexibler zu sein als sein Vorgänger, die Taktik ist variabler, ohne daß von der strategischen Zielsetzung Abstriche vorgenommen werden. Die versprochene Aufhebung des Kriegsrechtes in Polen ist eine Geste, die den Westen versöhnlicher stimmen soll, ohne daß deshalb Solidarität wieder ihre erworbene Position zurückgewänne.

In Afghanistan, dessen Invasion im Kreml als ein Fehler angesehen wird, bereitet der Kreml einen — möglicherweise nur kosmetischen — Rückzug vor. Zugeständnisse sind beizeiten zu erwarten, wenn sie Moskau erlauben das Gesicht zu wahren und dadurch westliche Konzessionen zu erkaufen.

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