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Anerkennung wollen sie auch noch

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Märchen schildern typische Verhaltensweisen. Im folgenden psychoanalytische Anmerkungen zum Märchen Rumpelstilzchen - und zur Vermessenheit, Anerkennung zu erwarten.

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Märchen schildern typische Verhaltensweisen. Im folgenden psychoanalytische Anmerkungen zum Märchen Rumpelstilzchen - und zur Vermessenheit, Anerkennung zu erwarten.

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„Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und um sich ein Ansehen zu geben, sagte er zu ihm:J.ch habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.'“

Ein Müller — einer, der Mehl mahlt, damit das Volk sein Brot backen kann - sieht eine Chance, sein Kind ins Königsschloß zu bringen, ihre — und damit auch seine — Karriere zu sichern. Und er lobt seine Tochter und preist ihre Fähigkeiten: wie ein Parteivorsitzender, der jemand in die Regierung bringen will?

Und wirklich: der König zeigt Interesse, wo sie doch aus Stroh

Gold machen kann, also Wertloses wertvoll erscheinen lassen kann. „Gut verkaufen“ könnten wir deuten oder „mediengerecht verpacken“.

Das Mädchen wird nun in einer Kammer voll Stroh eingeschlossen. Das „Kabinett“? Motiviert wird sie nach der klassisch-autoritären Art:

„... wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben.“

Verzweifelt weint das eingeschlossene Mädchen, da tritt ein kleines Männlein bei der Tür herein und bietet seine Hilfe an:

„Sprach das Männchen: ,Was gibst du mir, wenn ich dir's spinne?“ Mein Halsband', sagte das Mädchen.“

Da kommt also der Retter in höchster Not, der Experte. Er kann „Garn spinnen“ - „lügen“ interpretiert der Duden der sinn-und sachverwandten Wörter. Nach C. G. Jung könnte man kühn interpretieren: der Archetyp des Pressesekretärs stellt sich vor.

Dieser spinnt sein Garn aber auch nicht umsonst, verlangt eine Gegenleistung. Die Müllerstochter im Märchen verspricht ihr Halsband, also etwas, was materiellen Wert besitzt, sichtbar ist, ihr Dekollete ziert. Man könnte deuten: Geld, eine klar deklarierte Position, Prestige.

Leider ist der König noch nicht zufrieden und läßt die Müllerstochter eine weitere Nacht einsperren. Wieder erscheint, der Retter, aber diesmal bietet ihm das kleine Mädchen ihren „Ring vom Finger“.

Halten wir bei der Symbolik des Ringwechsels kurz inne: Primär vertraut aus Eheschließungsritualen, bedeutet er vielen Zugehörigkeit, Bindung, Übernahme von Verantwortung.

Wie oft erleben wir jedoch in Paarberatungen, daß dem einen Partner der Ringwechsel ernsthaft viel, dem anderen aber gar nichts bedeutet! Wie oft wird in das Geschenk eines Ringes die Bedeutung eines Versprechens hineinphantasiert, wo nur Gedankenlosigkeit vorherrschte!

Das geheimnisvolle Männlein bekommt also den Ring - lassen wir offen, welche Bedeutung es ihm beimißt, denken wir nur an die Bedeutung, die Ringen üblicherweise zukommt, ob Ehe-, Bischofs-, Iffland- oder was auch immer für ein Ring. Versuchen wir zu erfühlen, welche Emotionen hochkommen können; jedenfalls verdichtet sich die Abhängigkeit zwischen Müllerstochter und ihrem Helfer.

Der König will aber noch das Gold einer dritten Nacht, doch „gelingt dir's aber, so sollst du meine Gemahlin werden“. Er lockt also mit der Aussicht auf eine dauerhafte Beziehung, die Müllerstochter ist ihm wichtig geworden, er droht nicht mehr, er wirbt. Wie aber kann das Mädchen um Hilfe werben?

„So versprich mir, wenn du Königin wirst, dein erstes Kind“, schlägt das Männlein vor. In ihrer Not geht die Müllerstochter darauf ein, und wird auch Königin, und bekommt auch übers Jahr ein Kind und denkt nicht mehr an das Männchen.

Wir könnten deuten: Es gilt nun, was Eigenes wachsen zu lassen. Wie ungelegen kommt da die Erinnerung an frühere Zeiten!

„... da trat es plötzlich in ihre Kammer und sprach: ,Nun gib mir, was du versprochen hast.'Die Königin erschrak und bot dem Männchen alle Reichtümer des Königreiches an, wenn es ihr das Kind lassen wolle: aber das Männchen sprach: ,Nein, etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt.'

Da fing die Königin so an zu jammern und zu weinen, daß das Männchen Mitleiden mit ihr hatte: ,Drei Tage will ich dir Zeit lassen', sprach es, ,wenn du bis dahin meinen Namen weißt, so sollst du dein Kind behalten'.“

Etwas Lebendes wollte das Männchen, nicht mehr Geld, Position, Prestige. Selbst etwas großziehen - kreativ sein dürfen, nicht nur Stroh vergolden!

Vergleichen wir doch die Karrieren ehemaliger Pressesekretäre: Wo ihre Chefs Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Helfer hatten, „Kinder gut aufzuziehen“ und auch die Charakterstärke, auszuhalten, wenn der Helfer vielleicht begabter, kreativer, erfolgreicher, ja sogar behebter sein könnte als sie selbst, konnten „Kinder“ gedeihen, wie eben Kinder wachsen, mal mit Kinderkrankheiten, mal mit Widerständen, mal mit Rüpeleien.

Es gibt aber auch Chefs, die nicht loslassen können, die alles für sich selbst beanspruchen, niemand großwerden lassen können, alles, was sich entfalten will, zurückstutzen müssen. Vielleicht, weil sie selbst sosehr gestutzt wurden?

Im Wiederholungszwang tun sie anderen an, was ihnen selbst angetan wurde und finden das ganz in Ordnung nach dem Motto: „Das war schon immer so“ und „Hat's mir nicht geschadet, wird's djr auch nicht schaden!“

Unser Männchen im Märchen erkennt die Angst der Königin, ihr Mißtrauen, ihr Nicht-Herge-ben-Wollen; es bietet eine Alternative: Wenn die Königin binnen drei Tagen seinen Namen herausfindet, mag sie das Kind behalten.

Was bedeutet „den Namen wissen“? Wissen, wer du bist? Dadurch, daß wir benennen, heben wir jemand oder etwas aus der namenlosen Masse, geben ihm Bedeutung, treten in eine Beziehung. Was keinen Namen hat — kein Wort, keine Bezeichnung —, existiert nicht in unserem Bewußtsein. Richard Bandler und John Grinder schreiben dazu in ihrem Buch „Metasprache und Psychotherapie“:

„Der vielleicht am meisten anerkannte sozial-genetische Filter ist unser Sprachsystem. Innerhalb eines bestimmten Sprachsystems steht z. B. unser Erfahrungsreichtum mit der Anzahl der Unterscheidungen in irgendeinem Bereich unserer Wahrnehmung in Zusammenhang. Im Mai-du, einer amerikanischen Indianersprache Nordkaliforniens, stehen nur drei Worte zur Beschreibung des Farbspektrums zur Verfügung...

Während der Mensch fähig ist, 7.500 Farbunterscheidungen im sichtbaren Farbspektrum zu treffen, gruppieren die Menschen, deren Muttersprache Maidu ist, ihre Erfahrung gewöhnlich in den drei Kategorien, die durch ihre Sprache geliefert werden...

Das Wesentliche ist hier, daß ein Mensch, der Maidu spricht, charakteristischerweise nur drei Kategorien der Farbempfindung kennt, während z.B. der Englisch-sprachige mehr Kategorien besitzt und damit mehr unterschiedliche Wahrnehmung gewohnt ist...“ (S. 30 ff)

Wofür wir also keine sprachliche Bezeichnung haben, haben wir auch keine ansprechbare Wahrnehmung, sondern nur ein sprachloses oder vorsprachliches Gefühl — wenn überhaupt.

Wenn also der Helfer im Märchen fordert: Finde meinen Namen!, so können wir daraus auch heraushören: Nimm mich wahr! Beschäftige dich mit mir! Verstehe mich!

„Nun besann sich die Königin die ganze Nacht über auf alle Namen, die sie jemals gehört hatte, und schickte einen Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und breit, was es sonst noch für Namen gäbe...“

Die Königin sucht also in ihrem Erfahrungsschatz, aber alles, was sie kennt, paßt nicht auf das Helfermännchen: in ihrem Erleben ist so etwas noch nicht vorgekommen: Wie heißt ein Wesen, das aus Stroh Gold machen kann, kreativ sein will, was Lebendiges großziehen möchte anstatt sich mit Geld, Position, Prestige zu bescheiden ...

Wie das Märchen endet, wissen wir: Der Bote belauscht das Männchen, in seiner Vorfreude auf das Kind verplappert es sich, nennt selbst seinen Namen — und die Königin kann nun den Namen nennen, ohne das Männchen verstehen zu müssen, ohne sich bemühen zu müssen, es wahrzunehmen, also zu sehen, zu hören, zu spüren, wie es ihm geht.

In seiner Verzweiflung darüber reißt sich das Männchen mitten entzwei.

Diese Verzweiflung über das Nicht-Verstanden-Werden, über den gefühllosen, „sachlichen“ Umgang mit Menschen, die einem geholfen haben und fairen Umgang erwarten, können wir wieder und wieder erleben. Ich suche dafür einen passenden Namen und finde keinen.

Warum gibt es keine treffende Bezeichnung für dieses Gefühl? Ein Gefühl des Mißbraucht-wor-den-Seins (aber doch nicht so unfair, demütigend), des Ent-täuscht-Seins (aber mit mehr Wut denn Resignation), Ausge-beutet-worden-Seins (aber doch gerne geleistet haben)...

Ist dieses Gefühl so gefährlich, daß es keinen Namen haben darf?

Ich kenne dieses Gefühl von zwei Arten von Klienten: Mitarbeitern von Politikern, Generaldirektoren und anderen Führungskräften (etwa auch Schuldirektoren !) und - Ehefrauen, wenn sie der Ehemann nicht mehr benötigt.

Für mich erhebt sich daher die Frage: Pressesekretär — ein klassisches Frauenschicksal?

Die Autorin ist Leiterin des Instituts für Problemlösung und Projektberatung in Wien. Sie zitiert aus: MÄRCHEN GESAMMELT VON DEN BRÜDERN GRIMM, Österreichischer Bundesverlag, Wien 1946

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