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Anfragen an uns Wohlstandschristen

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Unklarheiten über Äußerungen des Befreiungstheologen Boff wurden in Rom ausgeräumt. Das in vielen Medien angekündigte Schisma fand nicht statt. Was läßt sich aus den Debatten lernen?

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Unklarheiten über Äußerungen des Befreiungstheologen Boff wurden in Rom ausgeräumt. Das in vielen Medien angekündigte Schisma fand nicht statt. Was läßt sich aus den Debatten lernen?

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Weil Denken in Klischees und Auseinanderdividieren der

Standpunkte ohnedies häufig genug geboten wird, sei hier ein anderer Ansatz versucht und die Frage aufgeworfen: Was können wir von den Befreiungstheologen und was aus der Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre lernen?

Zunächst einmal: Es zahlt sich aus, das Originaldokument zu lesen (siehe die Auszüge im Kasten). Dann erkennt man, daß es keine „strenge Verurteilung der Theologie der Befreiung“ ist, wie der „Kurier“ geschrieben hat.

Man erkennt daraus: Die Befreiungstheologien werden grundsätzlich bejaht, kritisiert wird allein die Verquickung von Glauben und marxistischem Denken, und die damit verbundenen Gefahren werden herausgearbeitet. Es fehlt aber auch nicht der Hinweis, daß es mit der Reinheit der Lehre nicht getan sei. Sie müsse durch ein glaubhaftes Zeugnis von allen, besonders aber von den Hirten überzeugend vorgelebt werden.

Hier wird ein Anliegen der Befreiungstheologen ausgedrückt: Für sie ist theologische Theorie und praktisches Leben eng verknüpft. Sie beziehen ihre Fragen aus den Alltagserfahrungen des einfachen gläubigen Volkes, mit dem sie in engem Kontakt leben.

Daher ist Theologie der Befreiung (siehe auch FURCHE 25/84) auch kein fest umrissenes Gedankengebäude. Gustavo Gutierrez, ein peruanischer Theologe, stellt dazu fest: „Eine Theologie, die keine anderen Bezugspunkte hat als ein für allemal definierte Wahrheiten — und nicht die Wahrheit, die auch Weg ist —, kann nur statisch und auf lange Sicht steril sein.“

Von dieser Sicht her bekommt auch die Heilige Schrift einen besonderen Stellenwert — im Leben jedes Gläubigen. Dazu Jon Sobri-no (Theologe aus El Salvador): „Der primäre Platz des Evangeliums sind die Armen ... Irgendwie spüren sie, daß das Evangelium ihr eigen geworden ist...“

Sicher wird man einwenden können, daß das gefährlich sei, daß man aus der Bibel alles herauslesen könne. Das ist eine Gefahr. Die andere ist aber, daß die Heilige Schrift zu einem Fachbuch für wissenschaftliche Spezialisten wird, die es in ihrer Fachsprache auslegen — und es wird niemand mehr davon bewegt. Fragen wir uns doch einmal, von welcher Übertreibung wir eher bedroht sind. Ich bin überzeugt es sind: theologisches Spezialistentum, übertriebene Wissenschaftlichkeit, mangelndes Interesse der Christen an der Schrift.

Wäre da nicht der lateinamerikanische Zugang eine Herausforderung? Christen, die das Evangelium als Wort Gottes für heute begreifen, es im Heiligen Geist gemeinsam lesen, es als Antwort auf ihre Alltagsfragen auffassen? Noch einmal: Man kann das übertreiben — aber auch sträflich vernachlässigen.

Eine weitere Botschaft der Befreiungstheologen sei hier als Anfrage an unser Christsein hervorgehoben: „Wenn Du Christ bist, sollst Du eigentlich in einer Basisgemeinde leben“, stellte einmal der brasilianische Bischof Ivo Lorscheiter fest. In Lateinamerika versucht man, das Einzelgän-gertum in religiösen Dingen zu überwinden. Basisgemeinde heißt, daß 10 bis 20 Familien nicht mehr nur Gottesdienst miteinander feiern, sondern auch füreinander Verantwortung übernehmen, einander helfen, gemeinsam leben, leiden und fröhlich sind. In solchen Basisgemeinden fallen die Grenzen zwischen religiösem und Alltagsleben.

Auch hier kann man natürlich vor Sektierertum warnen und darauf verweisen, daß wir ja unsere Pfarren haben. Sicher — und das sollte auch so bleiben (Pfarren gibt es ja auch in Lateinamerika). Aber könnte bei uns nicht vieles viel lebendiger sein? Täte uns ein Abbau von Anonymität in der Kirche nicht sehr gut? Sollte das, was die ersten Christen so auffallend gemacht hat, das „Seht wie sie einander lieben“ nicht stärker in unseren Gemeinschaften erfahrbar werden?

Leonardo Boff wünscht sich eine Kirche der Armen und Schwachen. Er meint an einer Stelle: „Eines der Kriterien, anhand derer wir erkennen können, ob ein politisch-soziales Gefüge theologisch gesehen von Wert ist oder nicht, ist die Frage: Welchen Platz nehmen in diesem Gefüge die Armen ein?“ Und die lateinamerikanische Kirche bekennt sich ausdrücklich zu einer Option für die Armen.

Wie sehr optieren wir eigentlich für die Armen? Österreich ist bei der öffentlichen Entwicklungshilfe Schlußlicht. Zugegeben, bei kirchlichen Sammlungen kommt schon einiges zusammen. Aber ist das nicht vielfach eine lästige Verpflichtung (die allerdings auch das Gewissen beruhigt)? Haben wir nicht überhaupt jeglichen Bezug zur Armut verloren? Schließlieh gibt es dafür ja Spezialisten in der Fürsorge.

Es liegt mir wirklich fern, die Masche von der reichen Kirche abzuspulen. Aber sind wir nicht sehr weit davon entfernt, Armut als eine Eigenschaft zu erkennen, die Jesus selig gepriesen hat? Ist nicht in unserem Denken Fortschritt und materielle Besserstellung gleichbedeutend? Würden wir wirksam für die Armen eintreten, könnten wir die Erfahrung machen, daß vieles von unserem Uberfluß entbehrlich ist.

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