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„Angemessener Lebensstandard" garantiert

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Ab 1. März 1992 werden zahlreiche gepfändete Schuldner deutlich mehr Geld in ihrem „Lohnsackerl" vorfinden. Mit diesem Datum tritt eine Neuordnung der Forderungsexekution in Kraft, die eine spürbare Anhebung der unpfändbaren Gehaltsteile („Existenzminimum") bewirken wird. Diese Erhöhung soll auch dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Rechnung tragen, der jedermann ein Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung garantiert.

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Ab 1. März 1992 werden zahlreiche gepfändete Schuldner deutlich mehr Geld in ihrem „Lohnsackerl" vorfinden. Mit diesem Datum tritt eine Neuordnung der Forderungsexekution in Kraft, die eine spürbare Anhebung der unpfändbaren Gehaltsteile („Existenzminimum") bewirken wird. Diese Erhöhung soll auch dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Rechnung tragen, der jedermann ein Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung garantiert.

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Der unpfändbare Grundbetrag, derzeit kärgliche 3.700 Schilling pro Monat, wird ab 1. März 1992 auf 6.500 Schilling angehoben, was neben der Anpassung an die Geldentwertung sowie dem Ausgleich für die nunmehr mögliche Pfändung bestimmter, bis jetzt unpfändbarer Gehaltsbestandteile auch eine deutliche materielle Verbesserung für die betroffenen Schuldner bewirkt. Die Höhe dieses Grundbetrages entspricht jener des Richtsatzes für die Ausgleichszulage und wird in Hinkunft jährlich an diesen angepaßt.

Dazu kommt noch ein weiterer unpfändbarer Grundbetrag von 1.200 Schilling (bisher 1.100) monatlich für jede Person, die vom Schuldner gesetzlichen Unterhalt bezieht. Wenn das Monatseinkommen des Verpflichteten diese unpfändbaren Beträge übersteigt, verbleiben ihm überdies vom Mehrbetrag weitere 30 Prozent (zuzüglich zehn Prozent für jeden Unterhaltsberechtigten). Mehr als fünf Unterhaltsberechtigte werden allerdings nicht berücksichtigt, sodaß den Gläubigem auch bei kinderreichen Schuldnern mindestens 20 Prozent des Mehrbetrages zustehen.

Einem Schuldner mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 15.000 Schilling, der seiner Ehegattin und zwei Kindern gesetzlichen Unterhalt gewährt, steht in Hinkunft der Grundbetrag von 6.500 Schilling für sich zuzüglich.3.600 Schilling für seine Unterhaltsberechtigten zu. Darüber hinaus kann er vom Differenzbetrag weitere 60 Prozent vor dem „Kuckuck" retten. In Summe ergibt dies immerhin einen unpfändbaren Betrag von 13.060 Schilling (bisher 11.812). Für den betreibenden Gläubiger verbleiben somit in unserem Fall nach der neuen Rechtslage 1.960 Schilling monatlich. Wäre der Schuldner alleinstehend, müßte er bei einem Monatssalär von 15.000 Schilling an seine Gläubiger 5.950 Schilling (bisher 7.190) „abliefern".

Zugunsten exekutionsführender Unterhaltsgläubiger gelten Sonderregelungen, weil sie im Vergleich zu den „gewöhnlichen" Gläubigern als besonders schutzwürdig erachtet werden. In solchen Fällen muß der Schuldner seinen Gürtel wesentlich enger schnallen. Während aber bisher bei Exekution seitens eines Unterhaltsberechtigten das Gericht den unpfändbaren Betrag zu bestimmen hatte (und dabei die sonst geltenden Grenzen unterschreiten konnte), ist der unpfändbare Freibetrag nunmehr auch hier gesetzlich bestimmt. Er beträgt drei Viertel des für sonstige Gläubiger maßgeblichen Freibetrages (der unpfändbare Grundbetrag sinkt somit auf 4.875 Schilling).

Neu ist auch die Obergrenze für Besserverdienende: Jener Teil des Monatseinkommens, der die Grenze von 27.000 Schilling übersteigt, ist ab 1. März 1992 zur Gänze pfändbar und fließt somit ungeschmälert an die Gläubiger. Ein Alleinverdiener kann daher auch bei einem sehr hohen Monatseinkommen nie mehr als 12.650 Schilling für sich beanspruchen (6.500 Schilling plus 30 Prozent des Differenzbetrages auf 27.000 Schilling). Bisher war eine solche Obergrenze nicht vorgesehen, sodaß Beziehern sehr hoher Nettoeinkommen dementsprechend hohe Freibeträge verblieben. Der Gesetzgeber hat in diesen Einkommensregionen den Bedarf nach einem Pfändungsschutz völlig zu Recht verneint.

Es gibt aber auch noch andere Schuldnergruppen, die sich auf den 1. März 1992 nicht freuen werden. Das neue Gesetz hat nämlich zahlreiche Privilegierungen gestrichen, die teils das Recht der Lohnpfändung verkompliziert, teils zu unsachlichen Besserstellungen geführt haben. Insbesondere werden künftig auch das Arbeitslosengeld und das Krankengeld dem Zugriff der Gläubiger unterliegen. Die bisherige Unpfändbarkeit dieser Leistungen war vom Verfassungsgerichtshof als gleichheits widrig entlarvt worden und mußte daher beseitigt werden.

Nicht zu Unrecht hatte das Höchstgericht gemeint, daß diese Leistungen eine Lohnersatzfunktion haben und daher nicht anders behandelt werden dürfen als das Arbeitseinkommen oder laufende Ruhebezüge. In der Tat war es nicht einsichtig, daß dem Arbeitnehmer Teile seines Einkommens „weggepfändet" wurden, während ein Schuldner, der Arbeitslosengeld in gleicher Höhe bezog, nichts abgeben mußte. Die sozialpolitischen Anliegen des Pfändungsschutzes müssen für Arbeitseinkommen und Leistungen mit Einkommensersatzfunktion in gleicher Weise verwirklicht werden. Die neue Regelung wird die „Lohnpfändungs-Gerechtigkeit" zweifellos erhöhen und zugleich der „Taktik" mancher Schuldner, bei Gehaltspfändungen in die Arbeitslosigkeit „auszuweichen", den Boden entziehen. Da das Arbeitslosengeld nur zwölfmal im Jahr ausbezahlt wird, ist der pfändungsfreie Grundbetrag hier jedoch höher (7.500 Schilling).

Auch den Drittschuldnern soll durch die neue Rechtslage das Leben erleichtert werden. Zahlreiche Sonderregelungen, zum Beispiel jene für das 13. und 14. Monatsgehalt sowie das Entgelt für Überstunden, entfallen, die Behandlung der Abfertigung wird gesetzlich geregelt. Dadurch wird das Lohnpfändungsrecht für die Arbeitgeber leichter durchschaubar. Außerdem sollen die unpfändbaren Freibeträge in Tabellenform kundgemacht werden. In bestimmten verbleibenden Zweifelsfragen kann der Drittschuldner die Gerichte anrufen und eine bindende Entschei-' dung verlangen. Durch diese Maßnahmen, so hofft man zumindest, sollen die Arbeitgeber mehr als bisher davon abgehalten werden, von einer Lohnpfändung betroffene Arbeitnehmer kurzerhand zu kündigen. Ob diese Rechnung aufgehen wird, bleibt abzuwarten: Gerade Klein- und Mittelunter? nehmer, die die administrative (und haftungsgemäße) Mehrbelastung einer Lohnpfändung am meisten spüren, sehen sehr häufig nicht ein, warum gerade sie Inkassobüro für die Gläubiger ihrer Arbeitnehmer spielen sollen!

Von den zahlreichen sonstigen Neuerungen des Gesetzes ist die Beseitigung des Offenbarungseides hervorzuheben. In Hinkunft hat der Schuldner nur noch ein einfaches Vermögensverzeichnis (ohne eidliche Bekräftigung) vorzulegen. Damit entfallen auch die strengen Strafbestimmungen für die Abgabe eines unrichtigen Offenbarungseides. Als Ersatz wurde eine neue (mildere) Strafbestimmung für die Abgabe einer falschen oder unvollständigen Vermögenserklärung geschaffen. Solange die Gläubiger nicht geschädigt wurden, kann der Schuldner seine Angaben ergänzen oder berichtigen und wird dadurch straffrei (tätige Reue). Die nunmehr fertiggestellte Reform der Forderungsexekution ist nur ein erster Schritt zur Verbesserung des Exekutionsrechts. Eine „Große EO-Novelle", in deren Rahmen die ganze Exekutionsordnung „durchforstet" und den Bedürfnissen der Gegenwart angepaßt werden soll, ist derzeit in Arbeit.

Daneben wird seit September 1991 im Bundesministerium für Justiz auch über Änderungen des Konkurs- und Ausgleichsrechts verhandelt. Damit sollen jene Fälle erfaßt werden, in denen ein Schuldner bereits aussichtslos verschuldet ist und daher ein Exekutionsverfahren keine sachgerechte Lösung zu bieten vermag. Die Anhebung der unpfändbaren Freibeträge wird diesen Schuldnern zwar ihre Lage erträglicher machen, bietet ihnen aber keine Zukunftsperspektiven.

Geplant ist daher ein sogenanntes Schuldenregulierungsverfahren, das schutzwürdigen Schuldnern die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neubeginns eröffnen soll, sofern sie bereit sind, aktiv an ihrer Sanierung mitzuwirken und ihre Erwerbsmöglichkeiten für eine angemessene Zeit (einige Jahre) zugunsten der Gläubiger einzusetzen.

Der Autor ist Assistent im Institut für zivilgerichtliches Verfahren der Universität Innsbruck.

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