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Angepaßter Widerstand

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Aus macht- und außenpolitischen Interessen kommt der amerikanisch-iranische Konflikt den Interessen Moskaus durchaus entgegen. Insgeheim betrachtet der Kreml jedoch die Vorgänge im südlichen Nachbarland mit Beunruhigung. Denn ein Fünftel der Bevölkerung der Sowjetunion ist. vom Islam geprägt. Der Chomeini-Bazillus könnte auch die sowjetischen Mohammedaner anstecken, deren „angepaßter Widerstand" gegen das Sojetregime ohnehin wächst und recht erfolgreich ist.

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Aus macht- und außenpolitischen Interessen kommt der amerikanisch-iranische Konflikt den Interessen Moskaus durchaus entgegen. Insgeheim betrachtet der Kreml jedoch die Vorgänge im südlichen Nachbarland mit Beunruhigung. Denn ein Fünftel der Bevölkerung der Sowjetunion ist. vom Islam geprägt. Der Chomeini-Bazillus könnte auch die sowjetischen Mohammedaner anstecken, deren „angepaßter Widerstand" gegen das Sojetregime ohnehin wächst und recht erfolgreich ist.

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Nach außen hin scheint alles klar: Moskau hat der islamischen Revolution des Ayatollah Chomeini von Anfang an die „moralische Unterstützung" zugesichert. Des Kremls trojanisches Pferd im Iran, die kommunistische Tudeh-Partei, ist auf Cho-meini-Kurs getrimmt worden. Die „Prawda" hat die USA vor einem „militärischen Abenteuer" im Iran gewarnt.

Das Motiv, das hinter diesen Erklärungen des Kreml steckt, ist einsichtig: Der Rauswurf der Amerikaner aus dem breiten islamischen Gürtel zwischen Pakistan, Afghanistan, dem Iran und möglicherweise noch anderen islamischen Ländern schafft ein Vakuum, in dem sich dann der sowjetische Einfluß um so leichter geltend machen kann. Zudem wird eine potentiell auch antikommunistische Kraft von großer Wirkung, eben der Islam, in die antiwestliche Front eingereiht. Das außen- und machtpolitische Kalkül „stimmt" also.

Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn die Kremlführer das Problem vom innersowjetischen Standpunkt aus unter die Lupe nehmen. Denn der Islam ist im Breschnjew-Reich eine Kraft, vor der das Sowjetsystem praktisch kapitulieren mußte.

Oberflächlich scheint es um den Islam in der UdSSR schlecht bestellt zu sein: Es gibt offiziell etwa 200 Moscheen, davon 146 in Zentralasien und in Kasachstan, 27 in Dagestan und in den Tschetschenen Ländern, 13 im tartarischen Gebiet - und das für mehr als fünzig Millionen vom Islam geprägter Menschen!

Die Moscheen sind schwach besucht, mehr als 20 Prozent der „Mohammedaner" bezeichnen sich selbst als Atheisten. An den islamischen Universitäten in Buchara und Taschkent werden jährlich nur etwa 50 geistliche Würdenträger ausgebildet.

Doch dieses oberflächliche Bild täuscht. „Der Islam erlebt in der Sowjetunion eine Wiedergeburt unter neuen Bedingungen. Diese Wiedergeburt ist eine bewußte und gewollte und nicht nur ein Relikt. Die mohammedanische Hierarchie unterstützt und lenkt diese Entwicklung. Ihre Arbeit erstreckt sich in zwei Richtungen: Die Ausübung des Islam zu erleichtern, indem man ihn an die Notwendigkeiten des modernen Lebens anpaßt, und dem Islam eine weltliche Kraft zurückzugeben, indem man ihn mit der sowjetischen Ideologie verschmilzt..."

Diese Feststellung stammt von der französischen Politologin Helene Carrere d'Encausse, die jahrelang dieses Problem studiert hat. (Siehe ihr Buch: „Risse im Roten Imperium", Molden-Verlag 1979)

Die Wiedergeburt des Islam in der UdSSR und dessen geschickter Widerstand gegen das Sowjetregime haben viele Gründe:

• Die Mehrheit der Mohammedaner in der Sowjetunion gehört dem orthodoxen Islam der Sünna an, die Schiiten sind in der Minderheit. Doch das spielt gerade im „roten Imperium" eine geringere Rolle als „draußen" in der islamischen Welt: In einer offizell atheistisch geprägten Gesellschaft und den daraus folgenden Repressionen muß der Schulterschluß von Gläubigen, auch unterschiedlichen Bekenntnisses, geradezu zwingend erfolgen, wenn sie sich behaupten wollen.

• Der Appell an dieses religiöse Gemeinschaftsgefühl wird von der mohammedanischen Geistlichkeit auch mit Nationalgefühl verquickt: sehr

gefährlich in einem Vielvölkerstaat wie der UdSSR! Wie defensiv das Sowjetsystem auf dieses Amalgam von Religion und Nation reagiert, beweisen Untersuchungen, die offizell in Auftrag gegeben wurden: Sowjetische Fachleute sollten herausfinden, was an der Lebensweise, den Uberzeugungen und dem Verhalten der sowjetischen Mohammedaner wirklich national sei (und daher im „folkloristischen" Ausmaß zugelassen werden kann) und was religiös sei. Das alte Wort, daß man immer dann eine Kommission mit einer Untersuchung beauftrage, wenn man bei einem Problem nicht mehr weiter weiß, ist auch in der UdSSR gültig.

• Am bedeutsamsten für das zähe Uberdauern des Islam und seine nun machtvoll beginnende Wiedergeburt erwies sich allerdings die Anpassung, die diese Weltregligion in der UdSSR betreibt und die sie befähigt, von innen her das Sowjet-System mit seinem Totalitätsanspruch auszuhöhlen.

„Die Sowjetführer glauben zwar weder an Gott noch an seinen Propheten, aber sie wenden die Gesetze an, die Gott gegeben und sein Prophet erklärt hat... Ich bewundere das Genie des Propheten, der die sozialen Prinzipien des Sozialismus schon vor Jahrhunderten verkündet hat. Ich bin glücklich, daß eine große Anzahl der sozialistischen Prinzipien nichts anderes ist als die Verwirklichung der Weisungen Mohammeds."

Der Sinn dieser Sätze - gesprochen auf einem Kongreß sowjetischer Mohammedaner in Taschkent - ist klar: Der Sozialismus sei für den Islam annehmbar, weil er angeblich dessen Ziele verfolgt!

Das könnte natürlich auch zur Annahme verleiten, daß hier der Islam durch die Sowjetmacht ausgenützt werde. Aber das hieße, die sowjetische Wirklichkeit und die Argumentation der Muslime zu übersehen. Die sowjetische Wirklichkeit ist ein mono-ideologisches und mono-orga-nisatorisches System, in dem sich der Islam und nicht der Kommunimus verteidigen muß.

Wenn sich der Islam durch „Anpassung" „verteidigt" und dadurch überleben kann, ja noch an vitaler Kraft hinzugewinnt, dann heißt das ja nichts anderes, als daß in das auf Einheitlichkeit begründete sowjetische System mit dem Islam ein Element des Pluralismus eingewuchert ist!

Noch einmal sei die Politologin d'Encausse zitiert: „Dieses Sowjetsystem, das niemals auch nur bereit war, die Konkurrenz einer anderen Ideologie oder einer anderen Organisation zu dulden, kann es das ertragen? Ohne auch nur angegriffen zu werden, sieht hier das sowjetische System neben sich das Fortbestehen und die Weiterentwicklung eines anderen sozialen Systems, das auf einer anderen Ideologie basiert. Und dieses konkurrenzierende System schart mehr als ein Fünftel der Sowjetbevölkerung um sich."

Und nicht nur das, diese intakte und lebendige Glaubensgemeinschaft in der UdSSR, durch ihre „Anpassung" kaum wirklich angreifbar, fühlt sich trotz aller Trennung solidarisch mit der mohammedanischen Welt und als Teil jener großen islamischen Familie jenseits der Grenzen der Sowjetunion. Das muß - neben dem außen- und machtpolitischen Kalkül, das im Falle des Irans Chomeinis zwar „stimmt" - die Kremlführung beunruhigen.

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