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Angewiesen sind wir aufeinander

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Europas Katholiken müßten sich intensiver der Gesellschaftspolitik widmen: Darin waren sich die Vertreter von 18 Nationalkomitees des Europäischen Forums in Vught (Holland), vier Österreicher unter ihnen, einig. Das Referat von P. Ludwig Bertsch SJ setzte klare Markierungen.

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Europas Katholiken müßten sich intensiver der Gesellschaftspolitik widmen: Darin waren sich die Vertreter von 18 Nationalkomitees des Europäischen Forums in Vught (Holland), vier Österreicher unter ihnen, einig. Das Referat von P. Ludwig Bertsch SJ setzte klare Markierungen.

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Mehr als zu anderen Zeiten wird heute wieder bewußt, daß Kirche nur wirksam werden kann, wenn sie als Kirche aus Priestern und Laien in der Gesellschaft sichtbar wird. Das Bild vom Leib Christi ist hier aussagekräftig. Der Kopf kann nicht zu den Füßen sagen: „Ich brauche euch nicht!", und das Auge kann nicht zur Hand sagen: „Ich bin nicht auf dich angewiesen!" Alle sind aufeinander angewiesen. , Paulus unterstreicht dies mit einem Satz, den wir oft nicht ernst nehmen: Gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich (1 Kor 12,12-31a). Dies gilt nach innen und nach außen.

In säkularisierten Bereichen ist Kirche oft nur anwesend durch Laien, die dort überzeugt ihr

Christsein und Kirchesein leben. Sie sind die ersten, die an Orten, an denen es kein Christentum gibt, christliche Gemeinde zu begründen anfangen.

Es ist wie zu allen Zeiten des Christentums. Die römischen Legionäre haben dort, wo sie als Laien sich niederließen, in unseren Ländern, die ersten Gemeinden begründet. So sind es heute in Afrika Laien, die in die kleinen Dörfer mit ihrer Familie einziehen, um dort durch ihr Leben als christliche Familie Gemeinden zu begründen. Erst viel später, wenn . sie den Weg auf die Taufe hin gegangen sind, ist der Priester inmitten der Gemeinde, kann Eucharistie gefeiert werden.

Dies gilt aber auch im Innenraum der Kirche. Die Liturgie ist ein deutliches Beispiel dafür. Der Priester steht der Gemeinde in Person Christi, des Hauptes, vor. Doch was ist das Haupt ohne den Leib? Leider sind die Erwartungen in vielen unserer Gemeinden noch so, daß man vom Priester alles erwartet. Er soll Haupt, Hand und Fuß sein. Die Folge ist, daß deshalb vieles bei uns weder Hand noch Fuß hat. Dies schafft keine Konkurrenzsituation von Priestern, Bischöfen und Laien, sondern die gegenwärtige Situation macht ihre gegenseitige Zuordnung und ihr gegenseitiges Auf-einander-angewiesen-Sein besonders deutlich.

Eine der Hauptaufgaben, die die Kirche in der heutigen Gesellschaft zu leisten hat, ist in dem Wort des Thessalonicher-Briefes ausgesagt: „Prüft alles, das Gute behaltet!" (1 Thess 5,21). „Die/ Kirche schließt sich ihnen (denen,

die um die Gefahr des Menschen in unserer Gesellschaft wissen) mit ihrer evangelischen Unterscheidungsgabe an, indem sie ihren Dienst an der Wahrheit, der •Freiheit und der Würde jedes Mannes und jeder Frau anbietet. Die von der Kirche geleistete Unterscheidung wird zum Angebot einer Orientierung, mit dem Ziel, daß die ganze. Wahrheit und die volle Würde von Ehe und Familie gerettet und verwirklicht werde" (Familiaris Consortio 4-5). Das gilt nicht nur für die Situation von Ehe und Familie, die der Papst in diesem Rundschreiben behandelt, es betrifft alle Bereiche kirchlichen Apostolates.

Das Rundschreiben macht eine wichtige Voraussetzung: die notwendige Kenntnis der Situation. Diese ist „eine für die Evangelisierung unerläßliche Notwendigkeit". Denn „die Forderungen und Anrufe des göttlichen Geistes sprechen auch aus den Ereignissen des Geschichte, weshalb die Kirche auch durch die Situationen, Fragen, Ängste und Hoffnungen der Jugendlichen, der Eheleute und der Eltern von heute zu einer tieferen Kenntnis des unerschöpflichen Mysteriums der Ehe und Familie geführt werden kann" (Familiaris Consortio 4).

Ausdrücklich greift Johannes Paul II. die Lehre des Zweiten Vaticanums vom Glaubenssinn aller

Gläubigen auf. Amtsträger und Laien haben hier ihre je verschiedene und eigene Aufgabe. „Hirten und Laien haben in der Kirche Anteil an der prophetischen Sendung Christi: die Laien, indem sie mit Worten und mit ihrem christlichen Leben den Glauben bezeugen; die Hirten, indem sie unterscheiden, was in diesem Zeugnis Ausdruck echten Glaubens ist und was dem Licht des Glaubens weniger entspricht; die Familie als christliche Gemeinschaft schließlich durch ihr eigenes Glaubensleben und Zeugnis" (Familiaris Consortio 73).

Hier könnte es so aussehen, als hätten die Amtsträger das eigentlich Entscheidende in diesem Prozeß beizutragen. Doch der Papst meint es sicher anders. Er spricht davon, daß es zu einem Dialog zwischen Seelsorgern und Familie kpmmt. Er erwähnt: „Durchaus nicht überflüssig ist der Hinweis darauf, daß aus solchem Einsatz, wenn er mit gebührendem Unterscheidungsvermögen und wahrhaft apostolischem Geist geleistet wird, dem geweihten Diener der Kirche neue Anregungen und geistliche Kräfte auch für die eigene Berufung und die Erfüllung seines Dienstamtes erwachsen" (zum Ganzen: Familiaris Consortio 73; auch 5).

Unsere westliche Welt ist weithin kulturlos und deshalb un-

menschlich geworden. Hier liegt eine besondere Aufgabe auch des Laien, der Glaubender ist. Ich möchte sie mit einem Wort meines Mitbruders Alfred Delp, der dem national-sozialistischen Terror am 2. Februar 1945 zum Opfer fiel, ausdrücken: „Brot ist wichtig, die Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung".

Trotz des beispiellosen, weltweiten Bemühens um Brot und Freiheit wachsen Hunger und Unmenschlichkeit. Der Grund dafür ist jene Gottlosigkeit und Gottes-„Unfähigkeit", die viele Menschen unserer Zivilisation befallen hat.

Unsere Arbeit in den Gremien, in den Räten, in Verbänden, müßte aus dieser Mitte kommen, wenn sie zur Heimholung und Bekehrung unserer Gesellschaft beitragen will. Nur Menschen der ungebrochenen Treue und unverrate-nen Anbetung vermögen auch andere, zu ermutigen, Gott in ihrem Leben die Zukunft zuzutrauen. Wir müssen gemeinsam Oasen des Lebens schaffen, damit von da aus die Wüsten unserer Gesellschaft in einen Garten verwandelt werden und der Heilige Geist das Neue vollenden kann, das er begonnen hat.

Der Autor, Frankfurter Theologe und Seminarregens, hielt dieses (stark gekürzt wiedergegebene) Referat in Vught, wo beschlossen wurde, das nächste Europäische Forum 1984 in Irland abzuhalten.

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