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Angst vor dem Winter

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Einen unsicheren und gehemmten Eindruck hat Bundeskanzler Helmut Schmidt, sonst strahlende Miene des Erfolggewohn- ten betont Jehau stellend, bei der Ankunft in Moskau und seinen eiVtfflF Unterredungen mit Breschnjew gemacht. Die Ursache für das ungewohnte Verhalten Schmidts ist unschwer zu erraten, wenn man bedenkt, daß er am Tag vor seiner Abreise in die UdSSR eine schwere Niederlage seiner Partei in zwei Bundesländern hatte hinnehmen müssen. Denn wenn er sich auch in den Wahlkämpfen in Hessen und Bayern nicht allzusehr exponiert und engagiert hatte, so wußte Schmidt doch zu genau, daß dies Niederlagen nicht nur Hans Jochen Vogel und den hessischen Ministerpräsidenten Osswald treffen, sondern ihn. Denn beim Wahlgang der 11,5 Millionen Wähler in den beiden Bundesländern — rund ein Viertel der gesamten Wählerschaft der Bundesrepublik — zeigte ės sich, daß Schmidt nicht mehr wie kurz nach dem Abgang Brandts den Abwärtstrend der SPD bremsen kann.

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Einen unsicheren und gehemmten Eindruck hat Bundeskanzler Helmut Schmidt, sonst strahlende Miene des Erfolggewohn- ten betont Jehau stellend, bei der Ankunft in Moskau und seinen eiVtfflF Unterredungen mit Breschnjew gemacht. Die Ursache für das ungewohnte Verhalten Schmidts ist unschwer zu erraten, wenn man bedenkt, daß er am Tag vor seiner Abreise in die UdSSR eine schwere Niederlage seiner Partei in zwei Bundesländern hatte hinnehmen müssen. Denn wenn er sich auch in den Wahlkämpfen in Hessen und Bayern nicht allzusehr exponiert und engagiert hatte, so wußte Schmidt doch zu genau, daß dies Niederlagen nicht nur Hans Jochen Vogel und den hessischen Ministerpräsidenten Osswald treffen, sondern ihn. Denn beim Wahlgang der 11,5 Millionen Wähler in den beiden Bundesländern — rund ein Viertel der gesamten Wählerschaft der Bundesrepublik — zeigte ės sich, daß Schmidt nicht mehr wie kurz nach dem Abgang Brandts den Abwärtstrend der SPD bremsen kann.

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In Bayern, wo sich der ehemalige Münchner Bürgermeister-Star Vogel einst gar vorgenommen batte, zusammen mit der FDP die langjährige CSU-Herrschaft zu beenden, sackte die SPD auf 30 Prozent der Wählerstimmen ab (1970: 33), die FDP auf 5,2 (1970: 5,3). Die CSU aber konnte ihr Rekordergefonis von 56 Prozent im Jahr 1970, das als kaum erreichbare Traummarke gegolten hatte, auf nicht für möglich gehaltene 62 Prozent steigern. Weniger spektakulär fiel der Sieg der CDU in Hessen aus. Hier gelang es ihr zwar, erstmals stärkste Partei in diesem traditionell SPD-wählenden Bundesland zu werden (47 Prozent der Stimmen), aber das Ziel, die SPD/FDP-Koalitian im Wiesbadner Landtag zu entmachten, schaffte sie doch nicht. Die beiden Verlierer — Sozialdemokraten und Freie Demokraten — werden wieder die Regierung bilden.

Diese Wahlergebnisse haben den Trend bestätigt, den Demoskopen schön seit einiger Zeit ausgemacht haben. Der noch bei der Niedersachsenwahl wirksame Kanzlerbonus der SPD ist verspielt. Als maßgeblicher Grund muß dafür die wirtschaftliche Entwicklung angesehen werden. Die Krisenzeichen sind noch immer deutlich. Die Teuerungsrate, die sich für eine kurze Zeit nicht mehr wesentlich erhöht hat, steigt wieder. Die führenden wirtschaftlichen Institute prophezeien keinen radikalen Wandel in der Wirtschaftsentwicklung und für den Winter sogar eine Million Arbeitslose.

Noch kann der als „Macher“ angekündigte Schmidt keine Erfolge vor weisen. Sein Konzept läuft darauf hinaus, vorerst die Wirkung des Restriktionskurses zur Eindämmung der Inflation aibzuwarten und bei steigender Arbeitslosigkeit rechtzeitig vor den Bundestagswahlen 1976 Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft zu ergreifen. Ob dieses Konzept aufgeht, wird sich erst zeigen. Bis dahin bläst der SPD der Sturm ins Gesicht, und sie verschlechtert ihre Chancen nur, wenn sie nach den jüngsten Wahlniederlagen die Schuld nur beim politischen Gegner sucht, nicht aber bei sich selbst.

Bundeskanzler Schmidt bekommt mit den Wahlniederlagen seiner Partei auch die Rechnung für die Fehler seines Vorgängers präsentiert. Die SPD macht auf viele Wähler einen völlig zerrissenen Eindruck. Die Unsicherheit, wie weit linksorientierte Gruppen in dieser Partei mitzureden haben, schreckt viele Sympathisanten der Sozialdemokraten ab, die Aufspaltung in Gruppen und deren Kämpfe gegeneinander verstärken beim Wähler das Gefühl, daß diese Partei nicht die Stärke und Entschlossenheit besitzt, ein Land in einer wirtschaftlich schwierigen Situation zu -führen. Die FDP, in Bayern von den erhofften Zugewinnen weit entfernt und nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde gesprungen, bekommt jetzt die Rechnung für ihre zu intensive Anbindung an die SPD und die ungeschickte Taktik der letzten Monate präsentiert. Sosehr sie sich bemüht, nicht als „Unfallpartei“ zu gelten, so wenig hilfreich ist auf die Dauer ein starres Bündnis mit der

SPD. Wer in Hessen die SPD nicht mehr in der Regierungsverantwortung sehen wollte, durfte auf keinen Fall FDP wählen. So erwies sich die FDP als Stütze für eine SPD, von der sie selbst weiß, daß ähr angesichts einer unerträglichen Vettern- und Freundewirtschaft eine Regenerationskur auf den Oppositionsbänken dringend not täte. Auch die Personaldebatte in der FDP nach Scheels Entrückung ins Präsidentenamt, die wenig überzeugende Führung der Partei durch- Genscher und ein FDP-Kirchenpapier, das vor allem in Bayern viel Ablehnung und wenig Zustimmung brachte,, trugen ebenfalls zur Demontage dieser kleinen Partei bei, die wieder einmal einer schweren - Existenzkrise entgegengehen dürfte.

Die Unionsparteien dürfen nach den Wahlen in Bayern und Hessen jubilieren. Sie müssen freilich aus den berauschenden Erfolgen die richtigen Konsequenzen ziehen, sollen in diesen beiden Ländern nicht Pyrrhussiege errungen worden sein. Der Schluß, eine Politik der Härte ä, la Strauß und Dregger sei das Patentrezept auch für die übrige Bundesrepublik, dürfte sicherlich falsch sein. Dabei würde übensehen werden, daß es die Union in beiden Ländern mit Gegnern zu tun hatte, deren Form sich unter dem Bundesdurchschnitt bewegte. Der große CSU-Sieg gerade in München ist nur vor dem Hintergrund des systematischen Verfalls der SPD in der bayerischen Landeshauptstadt zu erklären. Schon hat die CDU aus dem Wahlerfolg aber soviel Kraft geschöpft, daß Helmut Kohl nun sogar schon einen Termin für die Benennung des Kanzlerkandidaten der Unionsparteien genannt hat. Ende Mai kommenden Jahres soll feststehen, wer Schmidt, dessen Ruf als unbesiegbarer Pragmatiker plötzlich arg ins Wanken geraten ist, heraus- fordern wird. Allein die Nennung dieses Datums, das in den zurückliegenden Monaten immer wieder hinausgeschoben und unbestimmt gelassen wurde, zeigt, wieviel Selbstbewußtsein die Unionsparteien gewonnen haben, in deren Reihen sogar schon die Hoffnung, in absehbarer Zeit wieder die Macht in Bonn übernehmen zu können, geschwunden war. Plötzlich sehen die Chancen, weit mehr als nach höheren Wahlsiegen in Hamburg oder Rheinland-Pfalz, günstiger aus.

Ob sie es auch wirklich sind, können nur die nächsten Bundestagswahlen erweisen. Denn niemand kann heute sagen, welche Motivationen hinter den individuellen Wahlentscheidungen zugunsten der CDU/ CSU stehen. Verraten die beiden Landeswahlen einen echten Umschwung zum konservativen Lager? Oder sind ihre Ergebnisse als die sogenannter „Denkzettelwahlen“ zu verstehen? Oder fallen sie in die Kategorie der Zwischenwahlen, die vom Bundestrend abweichende, ihn konterkarierende Ergebnisse bringen? Haben die Wähler auf kurzlebige Momente mit einem kurzlebigen Meinungsumschwung reagiert — oder hat der konservative Trend Dauer? Fest steht nur: Die deutschen Konservativen dürfen hoffen. Niemand hat den Sieg in der Tasche. Die SPD jedenfalls mit Sicherheit nicht.

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