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Digital In Arbeit

Angst vor den „Kleinkapitalisten“

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Mit der Ausarbeitung eines Entwurfs für eine weitreichende Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Großbetrieben und für eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen größerer Firmen haben die beiden Bonner Koalitionsparteien SPD und FDP einen Schritt getan, der kurzfristig die innnenpolitische Szene in der Bundesrepublik in Aufregung versetzt, langfristig aber für dieses Land und für andere westliche Länder weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen haben kann. Sollten die beiden Reformvorhaben, gegenwärtig zwischen allen betroffenen Parteien noch umstritten, realisiert werden, so würde in der Bundesrepublik ein „sozialpolitischer Zeitzünder“, so ein Kommentator, gelegt werden, über dessen Sprengkraft heute niemand Bescheid weiß.

Die Pläne van SPD und FDP sehen vor, daß in Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Beschäftigten Kapital und Arbeit paritätisch in den Aufsichtsräten vertreten sein sollen. Den zehn Vertretern der Kapitaleigner sollen zehn Arbeitnehmer gegenüberstehen, von denen einer ein sogenannter leitender Angestellter ist und drei Vertreter der Gewerkschaften sind.

Bei der Beteiligung am Produktivvermögen sollen Arbeitnehmer bis zu einer bestimmten Einkommens-grenze jährlich Vermögenszertifikate in Höhe von rund 200 D-Mark erhalten. Diese sind für sieben Jahre gesperrt. Wer sie dann oder in den nächsten fünf Jahren veräußert, verwirkt das Recht, in den folgenden fünf Jahren weitere Zertifikate zu erhalten. Damit soll der Verbleib der Gelder als Produktivkapital gesichert und ihre Umwandlung in Sparvermögen verhindert werden. Die Verwaltung der Vermögensteile erfolgt durch mehrere Fonds. Das Vermögen, das auf diese Weise zur Verteilung kommt, soll von Firmen über eine bestimmte Gewiinngrenze hinaus abgeführt werden.

Von der Mitbestimmungsregelung wären rund vier Millionen Beschäftigte, von der Vermögensbeteiligung 23 Millionen betroffen. Allein dies würde ein allgemeines Interesse an diesen Regelungen rechtfertigen. Die heftigen Debatten nach Bekanntwerden des Koalitionskompromisses — die FDP hatte vor allem in der Mit-bestimmungsfrage zurückstecken müssen — sehen jedoch alle Parteien, die Gewerkschaften und die Arbeitgeber als Beteiligte.

Am lautesten erheben in jüngster Zeit die Arbeitgeber ihre Stimme gegen die angestrebte Mitbestim-mungsregelung. Sie wird als teilweise Enteignung der Kapdtaleigner angesehen, weil diese im Aufsichtsrat das Entscheidungsrecht verlieren. Schon drohen Un'temehmerverbände mit Verfassungsklagen, da ihrer Meinung nach mit einer solchen paritätisehen Besetzung des Aufsichtsrates das verfassungsmäßig garantierte Eigentumsrecht verletzt wird. Wie massiv der Streit ausgetragen wird, zeigte kürzlich eine von radikalen Gewerkschaftlern gestörte Unter-nehmerkundgebunjg gegen die Mitbe-stimmiungsregeiung. Die Gewerkschaftler schreckten nicht davor zurück, Referenten mit Brachialgewalt vom Rednerpult zu verdrängen und Veranstaltunigsbesiucher zu belästigen.

Wenn auch diese Radikalen nicht für die Gewerkschaften schlechthin stehen können, deutet ihr Auftreten auf das starke Engagement der Gewerkschaften in dieser Frage hin. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte schon vor einigen Jahren die Mitbestimmungsfrage zu einem Schwerpunkt: seiner Politik gemacht und damit eine Vorreiter-rolle in der gesamten Gewerkschaftsbewegung übernommen. Der Einfluß des DGB war es auch wesentlich, der den SPD/FDP-Kompromiß prägte und diese Vereinbarung fast zu einer Niederlage der FDP werden ließ. Die Gewerkschaften sollen entgegen den ursprünglichen Plänen der FDP drei Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden, die nicht dem Betrieb angehören. Allerdings müssen sie die Zustimmung der Betriebs-Belegschaft erhalten. Das undemokratische Verfahren der Montan-Mitbestimmung in Bergbau und Stahlindustrie, wo die Gewerkschaften nach ihrem Belieben Aufsichtsratsmitglieder benennen, wurde vermieden. Trotzdem haftet der jetzt gewählten Regelung ein Hauch von Funktionärswesen an.

Den Gewerkschaften ist es auch gelungen, die Pläne der FDP mit den „leitenden Angestellten“ weitgehend zu durchkreuzen. Die FDP wollte Vertreter dieser Arbeitnehmergrup-pe, die in etwa das Management repräsentiert, direkt durch ihren eigenen Stand wählen lassen. Die Gewerkschaften, die hier nichts von Klassenwesen hielten, erreichten, daß nur ein leitender Angestellter dem Aufsichtsrat angehören kann, und dieser vom allgemeinen Wahl-männergremium gewählt wird.

CDU-Generalsekretär Biedenkopf, Spezialist in Sachen Mitbestimmung, kritisierte an dem Entwurf der Regierungskoalition, daß er „Unvereinbares miteinander zu vereinbaren“ suche. Denn nach den Vorstellungen von FDP und SPD soll es durch im Detail noch umstrittene, teilweise sehr komplizierte Einigungsvorschriften möglich sein, daß es zu einem Interessenausgleich zwischen den zahlenmäßig gleichstarken Faktoren Kapital und Arbeit kommt. Biedenkopf wül dagegen, weil er bei einem solchen Zahlenverhältnis den Betrieb lähmende Patt-Situationen im Aufskhtsrat befürchtet, die letzte Entscheidung bei Konflikten den Anteilseignern überlassen.

Das Dilemma der CDU besteht jedoch darin, daß sich Biedenkopf mit diesem Modell zwar auf dem Hamburger Parteitag durchsetzen konnte, die Sozialausschüsse aber erklärte Gegner dieser das Kapital bevorzugenden Lösung sind. Daher wird auch, sollte es zu einer parlamentarischen Behandlung der Mitbestimmungsfrage kommen, kaum ein Alternativentwurf der CDU und CSU vorliegen. Die Möglichkeit, daß bei einer Abstimmung über Mitbestimmung und Vermögensbetedligung wechselnde Mehrheiten im Bundestag Zustandekommen, wird nicht ausgeschlossen. Einige FDP-Abgeordnete könnten den Regelungen ihre Zustimmung versagen, während linke CDU-Abgeordnete ihnen ihr Plazet geben.

Sollte die sozial-liberale Koalition die umstrittenen Regelungen durchbringen, so sind sich heute schon alle Beteiligten darin einig, daß weitreichende Folgen nicht ausbleiben werden. Die Unternehmer prophezeien ein Erlahmen der Wirtschaftskraft, ein Zurückgehen unternehmerischer Initiative und eine Zunahme des verwaltenden und nicht entscheidenden Funktionärsstaates. Linke Gewerkschaftler prophezeien eine radikale Umwandlung der Gesellschaft und treffen sich damit mit ihren rechten Kontrahenten.

Zwischen diesen Polen erhofft man sich von einer Mitbestimmungs- und Vermögensbeteiligungsregelung eine Stabilisierung des sozialen Friedens. Die Einbindung der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften, so lautet das Argument, zwänge diese in ihrem eigenen Interesse als Mit-Unterneh-mer zu einer Sicherung der Prosperität der Unternehmen. Der Antagonismus von Kapital und Arbeit und das damit zusammenhängende soziale Spannungsfeld könnten überwunden werden. Diese Möglichkeit wird auch von den Linken in SPD und DGB gesehen, weshalb sie vor allem die Vermögensbeteiligung ablehnen. Sie befürchten daa Entstehen von lauter „Kleinkapitalisten“, deren Klassenbewußtsein erheblich von dem abwiche, was nach Marx für Arbeiter typisch zu sein hat.

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