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Angst vor der De-facto-Abwertung

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Vor dem Fernsehschirm begründete Frankreichs Wirtschaftsund Finanzminister Valery Giscard d'Estaing die Freigabe des Franc-Kurses: „Insgesamt werden die wichtigsten Industriestaaten 1974 ein Defizit von ungefähr 60 Milliarden Dollar aufweisen, und heute weiß noch niemand, wie diese Zahlungsbilanzdefizite finanziert werden“. Londons „Financial Times“ schätzt den Devisenbedarf für das Jahr 1974 auf „irgendwo zwischen 80 und 106 Milliarden Dollar“.

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Vor dem Fernsehschirm begründete Frankreichs Wirtschaftsund Finanzminister Valery Giscard d'Estaing die Freigabe des Franc-Kurses: „Insgesamt werden die wichtigsten Industriestaaten 1974 ein Defizit von ungefähr 60 Milliarden Dollar aufweisen, und heute weiß noch niemand, wie diese Zahlungsbilanzdefizite finanziert werden“. Londons „Financial Times“ schätzt den Devisenbedarf für das Jahr 1974 auf „irgendwo zwischen 80 und 106 Milliarden Dollar“.

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In' Österreich zeigen sich die Probleme der westlichen Welt im kleinen, doch groß genug, um die Wirt-schafts- und Währungspolitik in große Sorge zu versetzen: der österreichische Außenhandel verzeichnete immer ein Defizit, das durch ständig steigende Nettoeinnahmen aus dem Reiseverkehr jedenfalls in den Jahren 1967 bis 1969 in ein Aktdvum verkehrt wurde (das Leistungs-bilanzaktivum betrug 1969 immerhin 2,6 Milliarden Schilling). Seit 1970 entwickelt sich die Handelsbilanz in Richtung rasch steigender Defizite (1973: 37,9 Milliarden Schilling; 1974 soll das Handelsbilanzdefizit rund 51,3 Milliarden Schilling betragen). Seit 1972 können die Zuwachsraten der Einnahmen aus dem Fremdenverkehr nicht mehr Schritt halten mit den Zuwachsraten des Handelsbilanzdefizits; 1974 sollen die Nettoeinnahmen aus dem Fremdenverkehr gegen 1973 sogar so stark zurückgehen, daß das Leistungsbilanzdefizit bei rund 22 Milliarden Schilling liegen dürfte. Die Entwicklung der österreichischen Handels- und Leistungsbilanz, vor allem seit 1972,zeigt deutlich, daß das nahezu unfinanzierbare Defizit des laufenden Jahres nicht allein auf die steigenden Ausgaben für Rohstoffe zurückzuführen ist. Unzweifelhaft haben die drei Schilling-Aufwertungen, das steigende Preisniveau und die Einführung der Mehrwertsteuer die Konkurrenzfähigkeit des österreichischen Fremdenverkehrs und der heimischen Exportwirtschaft schwer erschüttert. Noch ehe die Ölkrise auch über Österreich hereinbrach, konnte eine verhältnismäßig günstige Wirt-schafbsentwicklung das keimende Zahliunigsbilanzdefizit verdecken, heute aber müßte es im Mittelpunkt aller wirtschaftspolitischen Betrachtungen und Maßnahmen in Österreich stehen.

In einer ähnlich schwierigen Situation ging Frankreich auf das Franc-Floaten über. Das Ausscheren des Franc aus dem Mini-Block-Floaten (nach Großbritannien, Italien und Irland) bedeutet für Österreichs Wirtschaft, daß sich der Kurs des Schilling derzeit nur noch an der Kursentwicklung weniger europäischer Währungen (der D-Mark, der schwedischen Krone, der Dänenkrone, des Holland-Gulden und — mit Einschränkungen — des Schweizer Franken) orientiert. Die Teilnehmer an diesem Mind-Block-Floaten, deren Währungen nach offizieller Doktrin der Oesterreichischen Nationalbank „wertbeständig“ sind (daß das nichts besagt, geht auch daraus hervor, daß in einigen Staaten die Währungsreserven relativ niedriger als die Österreichs, die Inflationsraten dafür aber höher sind), nehmen nur mit rund 50 Prozent am österreichischen Außenhandel teil.

Die Exportwirtschaft fordert vor allem aus Gründen einer besseren Wettbewerbsfähigkeit auf den ausländischen Märkten den Ubergang zu einem „großen Indikator“, zu einer Ausrichtung des Schillingkurses auf die Währungen von mehr Staaten als bisher. Die Bundesregierung scheint derzeit nicht geneigt, dieser Forderung zu entsprechen, wohl vor allem deshalb, um eine De-facto-Abwertung des österreichischen Schilling aufzuhalten.

Solche Überlegungen sollten die Bundesregierung aber nicht daran hindern, wenigstens die wichtigsten Forderungen der Eportwirtschaft zu erfüllen, weil exportfördernde Maßnahmen in der gegebenen Situation als das herkömmlichste aller Mittel zur Eindämmung des Zahlungsbilanzdefizits erscheinen. Maßnahmen in dieser Richtung wurden von der gewerblichen und industriellen Wirtschaft schon dem Finanzminister vorgeschlagen (Verbesserungen beim Exportfonds, eine rasche Wiederaufnahme der Finanzierung des Produktionszeitraums von Exportaufträgen durch die österreichische Kontrollbank, Aufstockung der Beteiligungsgarantien und -flnanzie-rung, verstärkte Erteilung von EE-Fonds-Haftungen für Auslandsinvestitionen, Abbau der Restriktionen bei Kapitalimporten usw.). Geschieht das und haben diese Maßnahmen auch die zu erwartenden Erfolge, dann werden in diesem und auch im nächsten Jahr die Währungsreserven Österreichs möglicherweise nicht in dem zu befürchtenden Ausmaß angegriffen.

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