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Angst vor der eigenen Courage

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Eine Zumutung!" stand dick mit schwarzem Filzstift quer über einen Abstimmungszettel, den die ÖVP-Funk-tionäre einer kleinen niederösterreichischen Gemeinde im Wiener Umland zur Auszählung auseinanderfalteten: eine ungültige Stimme im Rahmen der zweiten Urabstimmung der OVP, genau zwei Jahre nach dem ersten derartigen Gehversuch mit mehr innerparteilicher Demokratie.

Zuvor standen jn der Woche vom 18. bis zum 22. Jänner in den ländlichen Gebieten Österreichs Hausbesuche bei ÖVP-Mitglie-dern auf dem Programm, während in den Ballungszentren ÖVPler im Postweg bei ihren Bezirksparteileitungen über fünf Fragen des Bundespartei abstimmen durften:

Frage 1: Soll ein Steuerstopp sofort sicherstellen, daß mit weiteren Belastungen (wie Sparbuchsteuer, Besteuerung des Urlaubsund Weihnachtsgeldes) Schluß gemacht wird und soll es danach zu einer spürbaren Steuersenkung kommen?

Frage 2: Soll für junge Familien eine Wohnstarthilfe von 100.000 Schilling geschaffen werden, die aus dem Verzicht auf die 30-Schil-ling-Wohnungsbeihilfe finanziert wird?

Frage 3: Soll der,.Familienschilling" (Mittel aus dem Familienlastenausgleich) wieder ausschließlich den Familien zugute kommen und sollen kinderreiche Familien überdurchschnittlich gefördert werden?

Frage 4: Soll wegen der derzeit schwierigen Wirtschaftslage die Sicherung der Arbeitsplätze und

Einkommen Vorrang vor einer Arbeitszeitverkürzung haben?

Frage 5: Soll mehr zur Betreuung Drogensüchtiger getan und soll gleichzeitig die Bestrafung von Suchtgifthändlern verschärft werden?

Zusätzlich stellten sechs der neun Landesparteiorganisationen eigene Fragen (der Bogen spannt sich von der Briefwahl bis hin zur Pendlerbeihilfe), nur die Steiermark, Wien und Burgenland beschränkten sich auf die „Pflichtübung" (OVP-Kommen-tar).

Am 28. Jänner um zwölf Uhr wird das Ergebnis der zweiten ÖVP-Urabstimmung vorliegen, wobei es durchaus Überraschungen geben könnte: Erste Zwischenberichte deuten darauf hin, daß die ÖVP-Mitglieder nur ungern ihre 30-Schilling-Woh-nungsbeihilfe verlieren möchten — ohne deshalb gegen die Wohnstarthilfe zu sein.

Die Fragestellungen sind es auch, an denen sich der Unmut der Parteimitglieder entzündet.

Wobei Generalsekretär Sixtus Lanner trotzdem „eine sehr gute Stimmung bei den Mitgliedern" festgestellt hat. Allerdings: „Einige Leute aus der Mittelschicht murren."

Nicht ganz ohne Grund: Denn ganz so hart und konkret, wie der Fragekatalog nach den ursprünglichen Plänen (Sommer 1981) hätte aussehen sollen, sind die schließlich im Parteivorstand ausgeknobelten Formulierungen nicht.

Angst vor der eigenen Courage zur innerparteilichen Demokratie etwa gab es in der Frage Ladenschlußzeiten: „Ladenschlußzeiten war ein Vorschlag, bei dem ich sehr lange gekämpft habe — aber das Votum im Parteivorstand war dafür nicht zu bekommen" (Lanner).

Aus Angst vor der Kontroverse kam auch die Frage, ob bei einer berechtigten Gleichstellung der Frau ihr Pensionsalter auch künftig um fünf Jahre niedriger sein soll als bei Männern, nicht über die Idee hinaus. Ebenso wurde das Thema Gesamtschule frühzeitig ausgeschieden.

Sixtus Lanner zu diesem heiklen Themenkomplex: „Der Parteivorstand war der Meinung, daß die jetzt gestellten Fragen die richtigeren wären."

Etwas aber stellt er entschieden in Abrede: daß versucht worden wäre, Einfluß auf die Länderfragen zu nehmen.

Was an dieser Eindeutigkeit freilich irritiert: In einem westösterreichischen Bundesland erinnert man sich an den Wunsch, die Frage „Soll das Atomkraftwerk Zwentendorf nach Erfüllung aller Sicherheitsvorkehrungen in Betrieb gehen?" den Lan-des-ÖVPlern vorzulegen. Es sollte beim Wunsch bleiben.

Hartnäckige Gerüchte, daß in Oberösterreich eine Frage nach dem Kauf von Abfangjägern der Rücksichtnahme auf die Bundespartei zum Opfer gefallen sei, muß Landesparteisekretär Helmut Kukacka ehrlich bestätigen: „Lassen wir die Frage weg, haben wir gesagt, damit es keinen Wirbel gibt."

Der Versuch freilich, alle Fragen, bei denen die Meinungen quer durch die Partei gehen, auszuklammern und nur solche zu stellen, bei denen man Zustimmung vom Parteivolk erwartet hätte, könnte bei der Frage 2 trotzdem mißlingen:

Sollte letztlich eine Mehrheit der ÖVPler eine Abschaffung der Wohnungsbeihilfe ablehnen, wird man in diesem Punkt beim ÖVP-Parteitag Anfang März das „Modell Österreich" modifizieren müssen. „Wir müssen die Kraft haben, dem Votum Rechnung zu tragen" (Lanner).

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