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Angst vor Jakobinisierung

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Gerade die letzten, man kann fast schon sagen, zwei Jahrzehnte, haben gezeigt, daß neben der parlamentarischen Staatswillensbildung auf Wegen der direkten Demokratie, die in unserer Republik vorher nicht genutzt wurden—wie Volksbegehren und Volksabstimmung, zu welchen auch auf Landes- und Gemeindeebenen Bürgerinitiativen und Volksbefragungen getreten sind —, sich eine Mei-nungsbüdung aus dem Volk verdeutlicht, die heute auf keiner Ebene unseres Staates übersehen werden kann.

E s ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, daß viele österreichische Landtage in neuen Landesverfassungen bemerkenswerte Neuerungen in der parlamentarischen Kontrolle und bezüglich des Einbaues der direkten Demokratie eingeführt haben. Dieses Vordenken des Landesverfassungsgesetzgebers könnte auch der Bundesverfassungsgesetzgeber als Anregung beachten.

So sehr diese Zeichen direkter Demokratie begrüßenwert sind und für die Lebendigkeit unserer Politik und das kritische Mitdenken unserer Mitbürger sprechen, wäre es aber falsch, anzunehmen, sie könnten die Verantwortung von Verfassungsorganen ersetzen.

Das Gegenteil ist der Fall: je mannigfaltiger diese Aktivitäten sind, desto mehr kommt es darauf an, daß Parlament und Regierung als von der Verfassung beauftragte Organe Entscheidungen treffen, zu welchen, wie es der Schöpfer des Entwurfes zum Bundes-Verfassungsgesetz, Hans Kelsen, einmal geschrieben hat, die Einrichtungen der direkten Demokratie die Aufgabe haben, das freie Mandat der Abgeordneten zu ergänzen, nicht aber zu ersetzen.

Das wäre nämlich nicht der Weg zu einer stärkeren Demokratie, sondern zu einer mit unserem Verfassungssystem nicht zu vereinbarenden Jakobinisierung, die abzulehnen ist.

Als Motivation für eine Politik der Zukunft kann das Beispiel der Nachkriegszeit von besonderer Bedeutung sein; diese Generation hat uns nämlich vorgelebt, wie man mit Patriotismus und Optimismus an neue Aufgaben herangeht, wie man Grundsätze im Denken mit Toleranz im Handeln verbindet und so die Demokratie zu einem Maß des sachlich und menschlich Zumutbaren macht.

Sie haben persönlich Glaubwürdigkeit mit Zivilcourage verbunden und nicht mit Taktik Sachpolitik zu ersetzen gesucht.

Sie haben gewußt, daß man nicht mehr verteilen kann, als man erwirtschaftet hat, weil keiner auf Dauer erfolgreich sein kann, der mehr ausgibt, als er besitzt; all dies setzt voraus, Pflichten zu erfüllen und Leistungen zu erbringen.

So sehr es notwendig ist, gegen jede modische Abwertung der parlamentarischen Demokratie Stellung zu nehmen, auch wenn man bisweilen für eine solche leicht Schlagzeilen erhält, so sehr ist es auch erforderlich, in selbstkritischer Weise vor jeder Form verbaler Radikalisierung zu warnen.

Politiker sollten das Augenmaß bewahren und nicht durch Uber-treibungen aus vermeintlichem Augenblicksinteresse entweder selbst realitätswidrige Behauptungen aufstellen oder Journalisten hiezu Gelegenheit geben.

Nicht der verbale Schlagabtausch, sondern die gemeinwohlgerechte Sachentscheidung ist auch heute das Gebot der Stunde und wird von allen politisch Verantwortlichen erwartet.

Darum kommt es darauf an, daß Politiker und Journalisten gemeinsam durch ihre Arbeit den einzelnen im Staat informieren und so die demokratische Republik als Staatsform des Dialogs mit dem Bürger erlebbar werden lassen.

Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender des Bundesrats und 0 VP-Bundesrat. Der Beitrag ist ein Auszug aus seiner Rede bei der Festsitzung des National- und Bundesrates am 27. April 1985.

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