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Angst vor neuem Deutschland?

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Nüchtern reagiert Israel gegenwärtig auf die immer näher kommende Vereini- gung der beiden Deutsch- länder. Das war nicht immer so. Jetzt scheint aber die Angst überwunden zu sein.

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Nüchtern reagiert Israel gegenwärtig auf die immer näher kommende Vereini- gung der beiden Deutsch- länder. Das war nicht immer so. Jetzt scheint aber die Angst überwunden zu sein.

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Als im November des Vorjahres die Frage der Vereinigung der bei- den deutschen Staaten aufkam, war die ursprüngliche Angst unter den Juden, insbesondere unter jenen, die den Holokaust durchmachten, eine sehr große. Viele sahen es da- mals so, als ob die Vergangenheit sie jetzt einholen würde. Der Schock des Holokausts ist heute noch zu- tiefst im jüdischen Volk verankert. Dementsprechend waren auch die Reaktionen auf eine möglich ge- wordene deutsch-deutsche Verei- nigung mehr als negativ. •

So war diese für den Nobelpreis- träger Eli Wiesel angsteinflößend, der Schriftsteller Aharon Appel- feld warnte vor der Entstehung eines gefährlichen Monsterblocks.

Der in Deutschland geborene Chefredakteur der Tageszeitung „Haarez", Gustav Gerschom Schocken, sagte damals: „Noch sitzt der Schrecken und die Angst vor dem Holokaust in uns. Wir dürfen nicht vergessen, daß das kultivierte deutsche Volk für die beiden Welt- kriege und den Holokaust verant- wortlich ist."

Diejenigen, die sich vor einem dreiviertel Jahr für ein vereintes Deutschland aussprachen, waren eine verschwindende Minderheit. Jerusalems, in Wien geborener Bür- germeister Teddy Kollek freute sich damals über das Fallen der Berli- ner Mauer. Der ehemalige ameri- kanische Außenminister Henry Kissinger, der als Jude in Deutsch- land geboren wurde, sagte schon damals: „Eine Wiedervereinigung Deutschlands hätte ich nicht ver- mißt, doch ich habe auch keine Angst vor einer solchen. Jeder Ver- such, diese aufzuhalten, ist zweck- los. In der Wiedervereinigung sehe ich eine wirtschaftliche Logik - und habe deswegen keine Angst."

Heute, neun Monate später, ha- ben sich die Juden und die Israelis unter ihnen, an diesen Gedanken langsam gewöhnt. So reagierte dieser Tage Israels Ministerprä- sident Jizchak Schamir auf die Ver- einigung der beiden Deutschländer sehr positiv. Nicht, daß er sich diese gewünscht hat; doch sieht er die Einheit Deutschlands als eine nicht mehr wegzudenkende Tatsache an, die man deswegen als solche auch zu akzeptieren habe.

Schamir betont jetzt sogar fast bei jeder Gelegenheit die guten Beziehungen zwischen der Bundes- republik Deutschland und Israel, die sich im Laufe der Jahre entwik- kelt haben. So empfing er auch die beiden deutschen Parlaments- präsidentinnen Rita Süßmuth vom Bundestag und Sabine Bergmann- Pohl von der Volkskammer sehr herzlich. Er nahm ihren Good-will- Besuch als eine Art Versöhnungsakt mit den Deutschen auf.

Das Problem der Wiedervereini- gung ist inzwischen hierzulande schon längst nicht mehr auf der Ta- gesordnung. Vielleicht hat man sich in Israel an das neue Faktum ge- wöhnt. Zufällig von mir Befragte standen meist gleichgültig dieser Angelegenheit gegenüber. Das Pro- blem der Einwanderer aus der So- wjetunion, die Arbeitslosigkeit und die akute Wohnungsnot, die bereits zu heftigen Protesten geführt hat, sind für die Israelis viel interes- santer. Nur die Holokaustüberle- benden, die bis heute das Erlebte nicht verkraften konnten, sind nicht bereit, das vereinte Deutschland zu akzeptieren und haben vor einem noch stärkeren Deutschland Angst.

Diese Leute kann auch niemand vom Gegenteil überzeugen. Einer von ihnen, Munisch Zwikowski aus dem Kibbuz Barkai, sagte zu mir: „Sobald ich Deutsch im Befehlston höre, sehe ich mich wieder im KZ und beginne zu zittern. "Den Über- lebenden des Holokausts sitzt die traumatische Vergangenheit zu- tiefst in den Gliedern. Einer von ihnen ist auch der israelische Par- lamentspräsident Dov Schilanski. Er weigerte sich, die beiden Par- lamentspräsidentinnen offiziell zu empfangen und nahm deshalb Ur- laub. Den Empfang der Gäste Süß- muth und Bergmann-Pohl überließ er seinem Stellvertreter. Schilans- ki lud jedoch die beiden Damen zu sich nach Hause ein, um ihnen seine eigene Leidensgeschichte zu erzäh- len, damit sie durch seine Verwei- gerung nicht beleidigt sind und ihn verstehen können.

Israel wird nicht gegen die be- vorstehende offizielle Vereinigung der beiden deutschen Staaten pro- testieren noch etwas dagegen un- ternehmen. Man findet sich mit den Tatsachen ab - und die Wiederver- einigung ist eine solche.

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