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Angst vor serbischen Finten

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In Kroatien reißen die Kämpfe nicht ab. Am Wochenende gab es Zusammenstöße zwischen Kroaten und der .jugoslawischen Volksarmee" in Pakrac. bei Lipik, Osijek und Slavonski Brod.

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In Kroatien reißen die Kämpfe nicht ab. Am Wochenende gab es Zusammenstöße zwischen Kroaten und der .jugoslawischen Volksarmee" in Pakrac. bei Lipik, Osijek und Slavonski Brod.

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Kritiker werfen der derzeitigen kroatischen Staatsführung vor, sie gewähre unter dem Druck der Europäischen Gemeinschaft den Serben jetzt eine Autonomie, wie sie diese nicht einmal vor Ausbruch des Krieges gefordert hätten. Die kroatische Staatsführung kontert damit, daß es sich um eine Autonomie innerhalb des souveränen kroatischen Staates handeln würde, während die Autonomie vorher innerhalb Jugoslawiens gegolten habe. Diese beiden Begriff seien jedoch nicht identisch.

Die Frage ist allerdings nicht, welches Ausmaß an serbischer Autonomie die Kroaten nach all dem, was passiert ist, „schlucken" können, sondern welche Autonomie sie hinnehmen müssen, wenn sie die Fortsetzung des Krieges und enorme Probleme mit Europa und den USA vermeiden wollen. Die politischen Probleme sollten auf der - Montag vor einer Woche wieder begonnenen - Konferenz in Brüssel bereinigt werden? Aber mit welchen serbischen Finten muß gerechnet werden, fragt man in Zagreb. Man betont zwar, daß es keine gewaltsamen Grenzveränderungen geben wird, aber wird es vielleicht solche auf gewaltlosem Weg, mittels Druck geben?

Grenzveränderungen und ein Verlust an Territorium wären für jede kroatische Führung das Ende. In diesem Fall wäre das Heer von einer halben Million Vertriebener - zum größten Teil aus den reichsten Gebieten Kroatiens - ein dauerndes Problem. In Kroatien sind diese Vertriebenen derzeit in Hotels und Privatunterkünften untergebracht. Dies kann schon deshalb nicht mehr lange aufrechterhalten bleiben, weil das Ausmaß an Hilfe seit Weihnachten beziehungsweise Neujahr spürbar abgenommen hat.

Für Kroatien spezifisch ist der Wahlsieg einer Partei, der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft von Präsident Franjo Tudjman. Der Vorteil war, daß einiges schneller und wirksam in Gang gesetzt werden konnte; dieses Spezifikum hat natürlich auch Nachteile - jetzt drängen sich Karrieristen, die schon das frühere System zugrundegerichtet haben, in diese Partei. Sie sind noch immer dem Denken und Handeln den Schablonen eines repressiven Systems verhaftet. Die Opposition übt zwar überzeugend Kritik, aber sie bietet keine ebenso überzeugende Alternative - weder in ihren Persönlichkeiten noch in ihren Programmen. Mit dem Krieg wird das Ausbleiben des Erfolgs bei der Umstrukturierung der Betriebe und ihrer Reprivatisierung gerechtfertigt; es wird viel von Privatisierung geredet, echte Resultate gibt es nicht.

Alles Schlechte hat auch etwas Gutes, sagt der kroatische Volksmund. Vielleicht hilft die Wut, die sich an sakralen Bauten und Gegenständen austobt (FURCHE 11/92, Seite 1) mit, die Menschen zur Kirche und zu geistigen Werten zurückzuführen. Schüler melden sich in den Schulen zum Religionsunterricht an, viele Ehepaare wollen ihre Ehe kirchlich regeln, Stadtpfarren registrieren Hunderte Katechumenen. Militärkommandanten fordern für ihre Soldaten und aus Sorge um sie priesterliche Hilfe an; viele Soldaten tragen schon seit Ausbruch des Krieges als Erkennungszeichen Rosenkränze um den Hals. Weil bisher noch kein Militärvikariat eingerichtet werden konnte, besuchen Ortspfarrer in eigener Initiative die Soldaten in ihren Stellungen. Sind dies Anzeichen einer geistigen Erneuerung, von der man in Kroatien immer häufiger spricht, die kürzlich auch Präsident Tudjman betont hat?

Die Kirche, obwohl selbst schwer vom Krieg betroffen (in einigen Diözesen sind zahlreiche Pfarren entvölkert, die Priester vertrieben, die Kirchen zerstört), hat sich dank der Hilfe des Auslands - besonders der Auslandskroaten und der Kirchen Deutschlands und Österreichs - rasch gefaßt; der Caritas-Dienst wurde ausgebaut und funktioniert bereits ganz gut. Während die Menschen mit Bekleidung schon ausreichend versorgt sind, besteht großer Bedarf an Lebensmitteln, besonders für die Vertriebenen. Vertriebene Priester sind mit ihren Gläubigen in deren Zufluchtsorten in Kontakt geblieben, sorgen für sie in Zagreb oder in den Hotels an der Küste, besuchen sie und kommen ihnen in ihren geistigen und materiellen Sorgen zu Hilfe.

In den Orten und auf den Feldern verstreut sind noch zahlreiche Granaten und Minen, die nicht explodiert sind. Diese bedrohen in besonderem Maße die Kinder, aber auch die Bauern. Es sind auch schon Opfer zu beklagen. Kroatien hat nicht genügend Minensuchgeräte. Auch auf diesem Gebiet bedarf Kroatien der dringenden Hilfe des Auslands.

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