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Angst vor Versteinerung?

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Im Zeitalter des Parteienstaates ist die Frage nach innerparteilicher Demokratie für viele Beobachter die zentrale Frage nach der Qualität der Demokratie überhaupt. Auch in Österreich ist es mit dem innerparteilichen Demokratieverständnis nicht allzuweit her, und es nimmt nicht wunder, daß sich in Anbetracht der bevorstehenden Parteitage der beiden Großparteien (der SPÖ* nächste Woche) die Stimmen mehren, die nach extensiven Parteireformen rufen.

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Im Zeitalter des Parteienstaates ist die Frage nach innerparteilicher Demokratie für viele Beobachter die zentrale Frage nach der Qualität der Demokratie überhaupt. Auch in Österreich ist es mit dem innerparteilichen Demokratieverständnis nicht allzuweit her, und es nimmt nicht wunder, daß sich in Anbetracht der bevorstehenden Parteitage der beiden Großparteien (der SPÖ* nächste Woche) die Stimmen mehren, die nach extensiven Parteireformen rufen.

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Insbesondere in der SPÖ ist die Diskussion aufgebrochen. Den Anstoß gab der bekannte Politologe Professor Norbert Leser, der in der zunehmenden Verbürokratisierung und Versteinerung der SPÖ eine ernste Gefahr für diese Partei sieht, die um so größer ist, da in der SPÖ infolge hinreichender Erfolge nach außen — eine Reform nach innen bisher verabsäumt wurde. Aber nicht nur Leser, sondern eine Reihe von ehrgeizigen Jungtürken haben eine Reform des Apparats und damit eine Verlebendigung der innerparteilichen Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben — mit ihnen wird am nächsten Parteitag zu rechnen sein.

Die Anforderungen, die heute an die innerparteiliche Demokratie gestellt werden, sind vielschichtig; sie reichen von der demokratischen Kandidatenauslese (z. B. durch parteiinterne Vorwahlen, wie sie von der ÖVP-Oberösterreich mit Erfolg praktiziert wurden) bis zur Bekämpfung der parteipolitischen Willensbildung durch sogenannte „Außensteuerung“ (Einflußnahme von Verbänden, Pressuregroups usw.).

Grundanliegen ist jedoch, daß die rechtlic/ie sowie tatsächliche Organisation der Parteien den in der Verfassung niedergelegten demokratischen Grundsätzen entspricht. Wie aus einer Bestandsaufnahme des deutschen Politologen Hans See („Volkspartei im Klassenstaat oder das Dilemma der innerparteilichen Demokratie“) hervorgeht, bestehen in der Bundesrepublik trotz Parteiengesetz 1967 immer noch Diskrepanzen zur Formalverfassung; so wird z. B. in allen im Bundestag vertretenen Parteien das allgemeine Wahl- bzw. Stimmrecht dadurch zur Farce, daß es in zahlreichen Gremien sogenannte Virilstimmen (Stimmrecht nicht gewählter Vertreter) gibt, ja diese Stimmen oft sogar die der ordnungsgemäß Gewählten übersteigen.

Das Parteiengesetz, das zwar zahlreiche innerparteiliche Mißstände beseitigen konnte, war nicht imstande, mit allen, den demokratischen Spielregeln widersprechenden Faktizitäten aufzuräumen. Dennoch wurde mit diesem Gesetz eine Entwicklung beschleunigt, die nur die logische Folge des Strukturwandels der politischen Parteien von Mitgliederparteien zu Massenparteien darstellt.

In Österreich gibt es — trotz wiederholtem Drängen von Angehörigen aller im Nationalrat vertretenen Parteien — noch immer kein Parteiengesetz; das ist schade, denn mit einem Parteiengesetz etwa in der Form, wie es in der BRD beschlossen wurde, wäre eine so kindlichtransparent hochgespielte Angelegenheit, wie die Aufhebung der Altersklausel für Bundeskanzler Kreisky, von Anfang an unmöglich gewesen.

Die politischen Hintergründe sind bekannt: um Bruno Pittermann abwählen zu können, war auch Bruno Kreisky seinerzeit die Altersklausel recht und billig. Nunmehr, da die SPÖ auf ihren mit Abstand hervorragendsten Politiker doch nicht verzichten kann und auch Bruno Kreisky einer neuerlichen Betätigung als Wahllokomotive nicht abgeneigt sein dürfte, soll eine „Lex Kreisky“ beschlossen werden. Sei es in Form einer einmaligen Ausnahmeregelung oder, und dies ist der wahrscheinlichere Fall, in Form einer völligen Sistierung des Alters-paragraphen.

Was aber die österreichische Bevölkerung viel mehr aufregen sollte als das „S-Pickerl“ für Kanzler Kreisky ist die Tatsache, daß sowohl SPÖ wie auch ÖVP (allerdings in einer milderen Form) sogenannte „Altersklauseln“ überhaupt beschließen konnten.

In der Bundesrepublik wäre so ein Vorgang unmöglich, da das Parteiengesetz im Zusammenhang mit dem Bonner Grundgesetz zu verstehen ist; die Parteien somit verfassungsrechtlich verbriefte

Rechte der Staatsbürger nicht einschränken dürfen. (Für verfassungswidrige Parteien sieht das Parteiengesetz in 32 das Verbot vor.) Selbstverständlich gibt es auch in Österreich die Möglichkeit, gegen verfassungswidrige Vereine vorzugehen, aber. einerseits sind weder SPÖ noch ÖVP nach dem Vereinsgesetz konstituiert, noch dürfte vielen die Tatsache bewußt sein, daß Parteien mit einer Altersklausel das verfassungsmäßig garantierte passive Wahlrecht für einen bestimmten Personenkreis faktisch außer Kraft setzen. Dieser Umstand wird infolge des österreichischen Wahlrechts um so gravierender, als ein Kandidat, der als Einzelgänger sein Wahlglück versuchen möchte, überhaupt keime Chance hat (zum Unterschied von Großbritannien), sondern den Umweg über eine neue Parteigründung wählen müßte.

Im Art. 26 Abs. 1 Bundesverfassungsgesetz heißt es: „Der Nationalrat wird vom Bundesvolk auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Wahlrechtes der Männer und Frauen, die vor dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das 19. Lebensjahr vollendet haben,nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt.“

Eine Grenze nach oben sieht die Verfassung nicht vor, dadurch haben die Parteien eigenmächtig eine Altersgruppe von der Möglichkeit politische Funktionen auszuüben, ausgeschlossen und versuchen gleichzeitig noch dem staunenden Wähler einzureden, dies sei der politischen Weisheit letzter Schluß; ja ganz Unverfrorene behaupten gar, die Altersklauseln seien eine demokratische Einrichtung, da durch sie junge Kräfte eine Chance erhielten!

Wenn es Parteien nicht gelingt, ihre „Alten“, die zugegebenermaßen manchmal dem Nachwuchs im Wege stehen und unter Umständen der Partei mehr schaden können als nützen, bei gutem Wind loszuwerden, dann liegt dies sicherlich nicht an fehlenden Altersklauseln, sondern an mangelnder innerparteilicher Demokratie, die ja erst die Verfestigung und Versteinerung bzw. das Ersitzen von Parteiämtern begünstigt und die bekannten Sesselkleber hervorbringt.

Insbesondere die Regierungspartei, aber auch die anderen Parteien, sollten die derzeit geäußerten Wünsche und Anregungen prüfen und aus der Diskussion, wie sie bereits in anderen Ländern lebhaft geführt wird, die entsprechenden Schlüsse ziehen.

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