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Angst vor Westwetter

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Als die ÖVP Niederösterreich die Landtagswahlen vom Herbst auf Juni vorverlegte, da wurde sie wohl auch ein wenig von dem Gedanken beflügelt, ansonsten in den Sog von Präsidentenwahlen hineinzugeraten. Die Rechnung ist aufgegangen. Oder vielleicht doch nicht ganz? Wird die 14 Tage nach den Landtagswahlen stattfindende Entscheidung auf Bundesebene “ihre Schatten vorauswerfen?

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Als die ÖVP Niederösterreich die Landtagswahlen vom Herbst auf Juni vorverlegte, da wurde sie wohl auch ein wenig von dem Gedanken beflügelt, ansonsten in den Sog von Präsidentenwahlen hineinzugeraten. Die Rechnung ist aufgegangen. Oder vielleicht doch nicht ganz? Wird die 14 Tage nach den Landtagswahlen stattfindende Entscheidung auf Bundesebene “ihre Schatten vorauswerfen?

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ÖVP-Spitzenkandidat Landeshauptmann Maurer glaubt nicht, daß der Einfluß groß sein wird. Die Volkspartei ist übrigens bestrebt, die Wiaihlkämpfe strikte zu trennen. „Generalstabschef“ Landespartei-sakretär Bernau hat einen „reinrassigen“ Landtagswahlkampf konzipiert — die Lugger-Plakate werden erst nach dem 9. Jund aufgehängt.

Landeshauptmann Maurer wird sich nicht bei Bürgermeister Lugger anhängen, eher umgekehrt. Maurer selbstbewußt: „Nach den Landtagswahlen werde ich mit unserem Präsidentschaftskandidaten durchs Land fahren, vorher wird er in den anderen Bundesländern werben.“

Für die Präsidentschaftswahlen macht also die ÖVP in Niederösterreich einen Miniwahlkawupf, die Superlative braucht man für den Ur-nengang auf Landesebene. Verständlich, daß Maurer, Prader und Bernau das Hemd näher ist als der Rock. Seit vergangenem Sonntag sind „die Könner“ — so ein Plakat, das die ÖVP-Spitzenkandidaten zeigt — mit sechs Konvois unterwegs. Tag für Tag reisen Landeshauptmann Maurer und Landeshauptmannstellvertreter Ludwig mit „fahrenden Rednerpulten“ durch Niederösterreich. Die Armada der ÖVP wird in den vier Vierteln noch durch die etwas kleineren Geleitzüge der Spitzenkandidaten ergänzt. Im Wonnemonat Mai will die ÖVP, wde Bernau sagt, in erster Linie einen Wahlkampf im Freien schlagen. Bei den Blitzbesuchen in den über 500 Gemeinden Niederösterreichs will man vor allem die Randschichtenwähler ansprechen, ja auch die Diskussion mit dem sozialistischen Fußvolk suchen.

Der Volkspartei paßt also der Präsidentenwahlfcampf vor dem 9. Juni nicht ins Konzept. Auf Lugger und Kirchsetiläger — wie auch auf den überraschenden Präsidentschaftskandidatenaustausch — wird man in der ÖVP-Werbung wohl nur dann eingehen, wenn man gefragt wird.

Anders wird es bei der SPÖ in Niederösterreich sein. Spitzenkandidat Hans Czettel wird nicht so allein durchs Land schreiten — den Fortschritt verheißend —, wie das ein riesiges Plakat zum Ausdruck bringt. (Das gut gemachte Plakat ist übrigens dem seinerzeitigen „Schnittma-cher“-Plakat des oberösterreichischen Landeshauptmannes Wenzl täuschend ähnlich.) Czettel sagte offen vor Pressevertretern, daß man die Wahlkämpfe nicht völlig trennen könne. Das sei für die Funktionäre unzumutbar. In sozialistischen Wahlveranstaltungen wird also zuerst für Czettel und dann für Kirchschläger geworben — oder umgekehrt. Man hat in der SPÖ-Niederösterreich auch keine Angst, daß etwa auf den Plakatwänden nun der Außenminister dem sozialistischen Landeshauptmannstellvertreter die Show stiehlt.

Niederösterreichs ÖVP, im besonderen das Triumvirat Maurer, Prader und Bernau, zeigte sich -t>eim Wahlkampfstart sehr selbstbewußt. Landesparteiohmann Prader erklärte beim Sonderparteitag in Tulm am vergangenen Samstag vor einigen tausend Delegierten: „Wir können siegen, Wir wollen siegen, wir werden siegen.“

Der Optimismus wird durch einige Meinungsforschuragsergebnisse untermauert. Dazu Landesparteisekretär Bernau: „Wir rechnen mit sicheren 31 Mandaten.“ Da zur Zeit die Volkspartei über 30 Sitze, die Sozialisten über 26 Sitze im Regionalparlament verfügen, würde dies den Gewinn eines Mandates ergeben (eben dieses eine Mandat war 1969 an die SPÖ verlorengegangen).

Die SPÖ, deren Hauptangriffs-punfcte „die Agrarkamarilla“ (Czettel) und die ÖAAB-Herrschaft im Landesdienst sind, wirft der Volks-partei Hochmut vor und agiert selbst tatsächlich recht bescheiden. Das Wahlziel der Sozialisten umschrieb Czettel mit dem Wort: „Durchkommen.“ Das allein, also das Halten der 26 Mandate, sei schon ejn. Erfolg, „wenn man überfallen wfyd. Damit meint der sozialistische Spitzenkandidat die überraschende Vorverlegung der Wahlen. Der Hauptgrund ist aber wohl der, daß man — gute zwei Monate nach den Salzburger Laridtagswahlen — keine Trendumkehr erwarten kann. Das Halten der Stellung wäre da für Czettel schon tatsächlich ein Erfolg. Immerhin wäre es ihm nämlich gelungen, ausgerechnet in der „schwarzen Hochburg Niederösterredch“ den Trend zur ÖVP zu stoppen.

Das könnte freilich nur dann der Fall sein, wenn es die Sozialisten vermögen — durch welche Maßnahmen auch immer —, die bundespolitische Großwetterlage zu ändern. Vielleicht, daß die SPÖ durch die Aufstellung Kirchschlägers wieder mehr das Image einer offenen Partei örhält? Vielleicht, daß die von Krei-sky angekündigte Erhöhung der Geburtenbeihilfe und die bereits in den Grundzügen beschlossene Steuerreform auch Czettel ein paar Pluspunkte einbringen? Wohl nicht zufällig hatte der SPÖ-Landeshaupt-mann vor kurzem zu Journalisten gesagt: „Ich brauche eine Einigung über die Steuerreform noch vor den Laradtagswahlen.“

Es ist verständlich, daß der Spitzenkandidat der Sozialisten alle Ereignisse begrüßt, die das Westwetter aus Salzburg mildern könnten. Mit der scharfen Kritk an der ÖVP-Mehrheit allein wird er den Trend kaum stoppen können. Die überraschenden Präsidentenwahlen sind für die SPÖ sicher angenehmer als die überraschende Vorverlegung der Landtagswahlen.

Auch Kreisky und sein Team werden neben Kirchschläger — mehr als die ÖVP-BundespoMtiker — in Niederösterreich im Einsatz sein.

Mit dem Rücktritt Willy Brandts ist eine Ära in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands beendet. Die Causa hat viele Facetten. Brandt vmrde ein immerhin sehr starker Abgang ermöglicht: er wird sich von einigen seiner Amtsvorgänger zumindest insofern äußerst vorteilhaft abheben, als er sich nicht an seinen Sessel geklammert hat — er wußte zu gehen. Viele Politiker haben diese Kunst verlernt.

Weniger vornehm steht seine Umgebung da, in der sofort ein großes Massen-Reinewaschen unter dem Motto „Ich war es nicht“ (und fallweise mit dem Unterton „ ... aber der!“) begann. Willy Brandt nahm alles auf sich. Er machte sich zum Sündenbock der SPD — im alten, im quasi-kultischen Sinne des Wortes.

Dabei darf man aber keinesfalls übersehen, daß der Fall Guillaume die SPD per Saldo eher gestärkt als geschwächt haben könnte. Wie Brandt die Partei wieder in den Griff hätte bekommen, wie er sein (gleichgültig, ob mit Berechtigung oder nicht) zerstörtes Image wiederherstellen hätte können, war nicht abzusehen. Sein starker Abgang in Vornehmheit und Integrität, dieser im besten Sinne konservative Abgang eines sozialistischen Politikers, gibt der SPD die Chance, wenn schon nicht sich, so doch wenigstens ihre Erscheinung zu erneuern und sich dem Wähler als frischgestärkte und wieder wählbare, als eine Partei, die wieder zu sich gefunden hat. zu präsentieren. (So Jusos und CDU/CSU mitspielen.)

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