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Angst vor Fremden

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Der „Tag des Flüchtlings" am 16. Juni war ein Anlaß mehr, sich über die Haltung der Österreicher gegenüber dem Zustrom von Flüchtlingen Gedanken zu machen. Im Gegensatz zu irüher, wo 90 Prozent der Flüchtlinge von Österreich wieder weiterreisten, bleiben heute 90 Prozent hier bei uns. Im Hinblick auf einen Stand von: 10.000 Rumänen, 3.000 Tschechen, 2.000 Türken und Kurden, 1.500 Bulgaren, 1 .000 Iraner, 286 Libanesen, 254 Syrer, 99 Afghanen, 560 Jugoslawen, 103 Ghanesen, 1 52 Russen, 190 Iraker (Kurden), 154 Staatenlose, 124 Kambodschaner, 88 Vietnamesen und elf Chinesen, die heute Lagern und Pensionen leben, wurde eine Umfrage in Auftrag gegeben, die kürzlich veröffentlicht worden ist. Sie geht der Frage nach: Leben in Österreich zu viele, zu wenige oder die richtige Anzahl von Flüchtlingen? „Zu viele", gaben 66 . Prozent zur Antwort.

Claus Feldmann, UN-Flüchtlingshochkommissär und selbst erst seit drei Jahren in Wien, erinnert sich, daß das Thema „Flüchtlinge" und „Ausländer" zu Beginn seiner Tätigkeit bei uns noch gar kein Thema war. Österreich galt damals

als Transitland, als Land, das mit Recht auf seine Tradition als hilfreiches Flüchtlingsland stolz war. Für ihn ist eine Anderung in der „Identifizierung" der Flüchtlinge eingetreten. Seit der kommunistische Machtbereich in unseren N achbariändern verschwunden ist, gibt es für den Österreicher den „Flüchtling" im herkömmlichen Sinn nicht mehr. Diesbezüglich ist der politische Konsens abhanden gekommen.

Dazu kommt noch, daß in den letzten zwölf Monaten zu 1 90.000 ausländischen Arbeitnehmern in Österreich etwa 20.000 Menschen dazugekommen sind, die sich hier wegen der zerrütteten Verhältnisse in ihrer Heimat ihren Familienangehörigen angeschlossen haben.

Im Gegensatz zu anderen Ländern hat aber Österreich keine bestehende Tradition, was die nichtstaatliche Hilfe zur sozialen Integration dieser Menschen betrifft. Diese wird meist kirchlichen und sozialen Institutionen überlassen. Gut bewährt haben sich in der Vergangenheit Pfarrpatenschaften für die .soziale Eingliederung von Zu-. wanderern sowie eine weiterführende praktische Begleitung im Alltag dieser Menschen.

Aus der oben zitierten Umfrage

wir uns diesem historisch gewachsenen Bild in uns nicht stellen, begeben wir uns in eine sowohl individuelle als auch kollektive Neurose. Uniforme und einseitige Identifikationskategorien bergen immer die Gefahr einer Katastro-· phe in sich.

1 786 zitierte der Bayer Johann Petzl, der als Beobachter nach Wien gekommen war un???? hier seinen kulturellen „Wien-Stadtführer" erstellte:

„Was die innere, unmerkbare Verschiedenheit der Wiener Bewohner betrifft, ist in dieser Rücksicht wahr, daß keine Familie ihre einheimische Abstammung mehr bis in die dritte Generation hinaufführen kann. Ungarn, Böhmen, Mährer, Siebenbürger, Steiermärker, Tiroler, Niederländer, Italiener, Franzosen, Bayern, Schwaben, . Sachsen, Schlesier, Schweizer, Westfäler, Lothringer und so weiter wandern in unaufhörlichen Mengen nach Wien, suchen dort ihr Glüc!k, finden es zum Teil und naturalisieren sich. Die OriginalWiener sind verschwunden. Eben diese Mischung so vieler Nationen erzeugt hier jene unendliche Sprachverwirrung, die Wien vor allen europäischen Plätzen auszeichnet."

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