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Abgrenzungsversuche zur Selbstfindung

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Alfred Pritz, Wiener Psychotherapeut, ist in seiner Praxis . hauptsächlich mit disziplinaren Fragen konfrontiert. „Eltern kommen und sagen, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Unser Fünfzehnjähriger raucht, trinkt, nimmt Drogen und solche Dinge. Und dann natürlich gehören da auch Lehrer her - Lehrer, die einerseits an der Schulbürokratie zugrunde gehen, weil sie für sich keinen Reformraum sehen -der aber in Wahrheit viel größer ist, als sie dann oft glauben - und dann natürlich die Gratifikation (siehe Seite 15)... das ist auch ein Dilemma.”

Pritz sieht sehr wohl große Chancen für Kinder, Jugendliche, die sich nach Lehrer-Elternmeinung in aussichtsloser Lage befinden, die „vehal-tensgestört”, aggressiv oder gewalttätig sind. „Da kam eine Mutter zu mir - zunächst wegen anderer Gründe - es stand aber sehr bald die Schulproblematik der Kinder im Vordergrund. Die Mutter wollte, daß ihre Kinder so easy durch die Schule gleiten, wie sie geglitten ist. Und das war überhaupt nicht der Fall. Es waren richtig schwierige, kantige Jugendliche, und einer davon hat sicher Drogen genommen, Haschisch. Und sie hat gedacht, die Welt geht unter. Sie war auch nicht informiert über die Wirkung von Haschisch, sie meinte es sei dasselbe wie Heroin und war verblüfft, als ich sie beruhigen konnte.”

Pritz sagt, daß das viele Kinder ausprobieren, weil es zur „Gegenkultur” gehöre. Und zwar nicht nur mehr in der Stadt, sondern auch auf dem Land. Die Zeit von 14 bis 20 sei eine wichtige Zeit der Selbstfindung, in der Jugendliche „Abgrenzungsversuche” machen müßten. „Ich sehe auch den Rechtsradikalismus” - so der Therapeut- „unter diesem Blickwinkel. Ich will ihn überhaupt nicht verharmlosen; aber wenn man heute irgendwo ein Hakenkreuz hinmacht, dann ist das bereits Provokation genug, um Heerscharen von Erwachsenen auf die Palme zu bringen. Und nichts ist leichter für einen Jugendlichen, als ein Hakenkreuz zu malen. Das muß man, glaube ich, auch einkalkulieren, daß diese Form des Jugendprotests sich heute dort akkumuliert.”

Früher waren es die langen Haare - „das kann man sich heute ja gar nimmer vorstellen, daß unsere Eltern gefunden haben, das Abendland geht unter, wenn man lange Haare hat” die zeigen sollten, „wir sind wer”. Pritz wünscht sich diesbezüglich viel mehr Verständnis für die Jugendlichen, auch für ihre kreativen Leistungen: „Wenn man zum Beispiel schaut - ich weiß nicht, wie das bei meinem Sohn einmal wird, vielleicht werde ich auch leiden - aber wie Jugendliche mit Irokesenhaarschnitt oft wunderbar geschmückt sind in den verschiedensten Farben - das ist doch eigentlich was Schönes, eine wirklich spezifische Subkulturästhetik; oder das Rollerskaten - die haben da eine eigene Uniform, die ist ganz grau in grau, aber sehr genau gestylt, die brauchen bestimmte Hosen, bestimmte Patschen -das ist doch super.” Verständnis zur Aggressionsmilderung oder -Vermeidung? Genau darum soll und muß es gehen.

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