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„Am Küstenstreifen der Verlorenheit“

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Die Tür ist aufgestoßen: Sind wir der Nacht gewachsen, die -uns ent. gegenflutet? Was ist zu erwarten als die in den Kosmos geworfene Projektion menschlich-kreatürli-cher Tragik, der Geschichte, die nur für den Gläubigen Heilsgeschichte ist, aber unter dem von Dunkelwolken umdüsterten

Sterne von Bethlehem? Wir sollten Menschheit werden vor der Offenbarung unserer Un-macht, die wir selbst an den Himmel schreiben. Die Satelliten sind verzweifelte Fragen — und hundertfaches Echo der Fragen wird Antwort sein. Wir sollten Menschheit werden am Küstenstreifen, vor der Verlorenheit. Aber auf unserem Wissen liegt keine Verheißung. Was wir aufbringen sollten an der Schwelle des Raumes, ist weltumfassendes Ethos, ein Soll, das die Krücke der Verheißung abwirft, einen Glauben, der stark genug ist, in die tausend Augen der Finsternis zu blicken. Der Kosmos, der unergründliche, fordert die Menschheit heraus,

Menschheit zu werden. Ist das möglich? Ist es das nicht? Die steinernen Masken der Osterinsel blicken ratlos in den Raum. In Vermessenheit sind wir in den Raum gestürmt, dem wir nicht entsprechen konnten: fassen wir den Mut, ein Gleichgewicht anzustreben zwischen unserer Wissenschaft und unserer Sittlichkeit: es ist das kühnste Unterfangen; dem die Menschheit sich unterziehen könnte; es ist einfach Notwendigkeit. Wir wollen den Sog der Leere nicht unterschätzen. Vielleicht setzt dann erst die Verarbeitung des Geschehens ein. Sicher ist es keineswegs; wir erreichen die Schwelle des Raumes; aber unsere Lebenszeit verbietet uns, sie zu überschreiten. Im Augenblick des Startes müssen wir sterben, im Angesicht der Unmöglichkeit. Forschung im heute gültigen Sinn wurde vor etwa 350 Jahren von Galilei und den großen Holländern eröffnet; wie sollte sie die Resultate von Jahrmilliarden einholen? Die Frage

ist, ob die Raumschiffe, die das Schwerefeld der Erde für eine Weile überwinden, auch das bisheriger Geschichte durchbrechen können. Es ist die vom eben vergangenen Jahre aufgeworfene Frage, die fortan die Erde umkreisen wird, Sprache der Satelliten: sie sind Exponent der Geschichte, deren Sinn und Ergebnis es. ist und bleibt, daß der Mensch sich selber ins Antlitz blickt; daß er sich, in unvorstellbarer Verlassenheit, ein Herz fassen soll zu seinem Menschentum. Wahrscheinlich wird er die Kraft dazu nur aufbringen im Namen Gottes, der Fleisch wurde, der einging in Kosmos und Menschheit; im Namen des Einen, den der Kosmos mit einem Rätselgestirn grüßte, als Er kam; der in Macht ist, Menschheit im All zu konstituieren.

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