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Amerikas „Zauberer im Pflanzenreich“

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Als die amerikanischen Blätter begannen, den jungen Pflanzenzüchter Luther Burbank den „Pflanzenzauberer“ zu nennen, trat er diesem Schlagwort mit Entschiedenheit, doch ohne den geringsten Erfolg entgegen, es kehrte Zeit seines langen Lebens hartnäckig wieder. An seinem Tun, so beteuerte Burbank, sei gar nichts Geheimnisvolles und keinerlei Zauberei, er sei nur bei der Natur in die Schule gegangen und ihr gehorsamer Mitarbeiter geworden, er habe bloß die von ihr aufgestellten Gesetze befolgt und sich ihre Methoden zunutze gemacht, um ihr Wirken in gewünsohte Bahnen zu lenken und die Bildung neuer Formen vorzubereiten. Als sich seine Triumphe der Pflanzenzüchtung häuften, kam in der amerikanischen Öffentlichkeit der Witz in Umlauf: „Wissen Sie schon, daß Burbank die Eierpflanze mit der Milchpflanze gekreuzt hat, um eine Omelettepflanze herzustellen?“ Jeder andere Pflanzenzüchter hätte über solchen Beweis von Popularität wohlgefällig gelächelt. Burbank war erbittert: Er wollte seine Arbeit, die von einer glühenden, ja leidenschaftlichen Liebe zur Pflanze bestimmt war, nicht bewitzeln lassen. Aber geradezu in Zorn versetzte es ihn, als einer der unzählbaren Artikel, die in den Zeitungen über ihn und seine 7üchtungsmevhode erschienen, mit dem ichlagertitel „Burbank im Kampf mit der Natur“ überschrieben war. Nichts konnte alscher und törichter sein, nichts kränkender für den Mann, der sich als der getreue Dieser und Helfer der Natur fühlte.

Wenn man den alten Burbank von seiner Gartenarbeit kommen sah, schmutzig, schweißig, wirrhaarig, hätte nvan ihn für einen Landstreicher halten können, allerdings für einen sehr malerischen. Und doch war dieser Mann eine der bedeutendsten Persönlichkeiten Amerikas, Ehrendoktor mehrerer Universitäten, vom Kongreß feierlich für seine Verdienste bedankt, von wissenschaftlichen Gesellschaften immer wieder durch

ehrende Kundgebungen ausgezeichnet. An der Standford-Uraiversität hielt er Vorlesungen und Kurse über seine Züchtungsmethoden, das Carnegie-Institut beteiligte sich an der Deckung seiner ungeheuren Auslagen, um den Botanikern des Institutes Gelegenheit zum Studium seiner Arbeit bieten zu dürfen. Mit beinahe allen seinen Landsleuten von Rang und Namen war er befreundet: ein Henry Ford, ein Edison, der gefeierte Erzähler Jack London, die taubstummblinde Helen Keller bestaunten in seinen Gärten die neuesten Züchtungserfolge. Vor seinem Hause stauten sich bisweilen die Wagen der Besucher zu langen Reihen. Die Post brachte täglich Stöße von Briefen aus der ganzen Welt, die er alle gewissenhaft beantwortete und che fortzuwerfen er sich erst entschloß, wenn schon eine ganze Scheune mit ihnen vollgestopft war.

Schon als kleiner Junge beobachtete er auf der Farm seines Vaters in Lancaster bei Boston in Massachusetts mit brennendem Interesse die heimische Pflanzenwelt. Herangewachsen und vor die Berufswahl gestellt, die ihm mancherlei Möglichkeiten bietet, entscheidet er sich mit schlafwandlerischer Sicherheit für den Gartenbau. Auf einem kleinen Stück Land eröffnet er eine bescheidene Flandelsgärtnerei, baut vorwiegend Gemüse und bemüht sich, bessere Qualität zu erzielen und damit rascher auf den Markt zu kommen als die Konkurrenz. Und schon hilft ihm dabei eine erstaunliche, schier hellseherische Begabung, zwischen zwei scheinbar gleichen Arten oder sogar zwischen zwei scheinbar gleichen Pflanzen die richtige Wahl zu treffen und jene für die Fortpflanzung zu bestimmen, die ihm willens erscheint, einen kleinen Schritt vorwärts zu tun, also einen Fortschritt verspricht. Aber gerade die wichtigste Pflanze, die Kartoffel, widersetzt sich hartnäckig allen seinen Bemühungen. Und doch würde gerade sie eine Verbesserung bedürfen, denn ihre Knollen

sind klein, wenig schmackhaft und auch nicht genügend haltbar. Da fesselt auf einem abgeblühten Kartoffelacker ein Samenball seine Aufmerksamkeit, mit dem gemeinhin niemand etwas anzufangen weiß, weil ja bekanntlich die Kartoffel nicht durch Samen vermehrt wird. Er aber weiß sehr wohl etwas mit den dreiundzwanzig Samenkörnern anzufangen, die er dem Bällchen entnimmt: Er legt sie in die Erde, zieht dreiundzwanzig Sämlinge aus ihnen, wählt von ihnen die zwei besten und gewinnt aus diesen allmählich die ausgezeichnete „Burbank-Kartoffel“, die seinen Ruf als Pflanzenzüchter begründet. Nun sieht er seinen Weg klar vor sich, verkauft] die Gärtnerei und wandert im Jahre 1875 als Sechsuhdzwanzigjähriger, ein schönes Stück Geld in der Tasche und zehn Knoilen seiner neuen Kartoffel im Reisegepäck, nach Kalifornien aus, dessen Klima und Vegetation ihm die besten Voraussetzungen für seine weiteren pflanzenzüch-terischen Versuche zu bieten scheinen. Das Stück Land, auf dem er seine Besitzung „Santa Rosa“ einrichtet, ist wenige Jahre später schon zu achtfacher Größe angewachsen und breitet sich immer noch beständig aus, bis endlich alles Land in weiter Runde mit den Burbankschen Versuchsgärten bedeckt ist. Die Handelsgärtnerei ist längst aufgegeben, es werden keine Blumen und Früchte, kein Gemüse mehr auf den Markt gebracht, alles Leben, alle rastlose Mühe und Sorge dreht sich hier nur mehr um die Heranzüchtung neuer, verbesserter Arten, nur mehr darum, in der Pflanze die vom Menschen erwünschten Eigenschaften zu entwickeln; die in ihr schlummern, und dadurch ihren Wert zu erhöhen. Viele Jahre, ja nicht selten sogar Jahrzehnte werden der Züchtung einer einzigen angestrebten Pflanzenvarietät gewidmet. Tausende und aber Tausende von Dollars werden an Kosten für sie aufgewendet, denn ungeheure Mengen von Versuchspflanzen, Propfreisern und Jungbäumen, die sich als wertlos erwiesen haben, müssen immer wieder vernichtet Verden, ehe sich endlich der ersehnte Erfolg einstellt. Da werden beispielsweise 35.000 Pflaumensetzlinge gezogen, aber nur wenige Dutzend als für weitere Versuche geeignet erkannt, alle anderen verbrannt.

Meist wählt sich Burbank selber das „Zuchtziel“, das ist die Pflanzeneigenschaift, die entwickelt werden soll.

Der Nußbaum wächst langsam und beginnt erst spät zu tragen, das ist sein immer wieder beklagter „Fehler“. Also züchtet Burbank eine schnellwüchsige Walnuß, die schon im sechsten Jahre mindestens doppelt so groß, dick und weitverästet ist, wie die bisherigen Arten in etwa zwei Jahrzehnten wurden. Gleich nach seiner Ankunft in Kalifornien fiel ihm auf, daß es dort bloß drei Sorten von Pflaumen gab, die überdies in keiner Weise befriedigten und insbesondere für die Verschiffung ungeeignet waren. Seit damals befaßt er sich nun unablässig mit der Heranzucht immer neuer und immer besserer Pflaumensorten, so daß heute in den Obstgärten Nordamerikas und anderer Länder etwa ein Dutzend Burbankscher Pflaumen-züchturigen massenhaft fruchtet, das Ergebnis von1 mindestens 25.000 verschiedenen Versuchen mit Pflaumen. Eines Tages stößt der ewig Wißbegierige in der technischen Bibliothek von San Franzisko auf den Bericht eines Seefahrers, der die Güte der Pflaumen in der japanischen Provinz Satuma nicht genug rühmen kann. Sogleich schreibt Burbank dorthin und bittet, ihm ein Dutzend Pflaumensetzlinge zu senden. Endlich treffen sie ein, aber sie sind mangelhaft verpackt, vollkommen verdorrt, und es müssen neue bestellt werden. Diese überstehen die Reise um den halben Erdball gut, wachsen prächtig an und aus den beiden besten von ihnen gewinnt Burbank endlich — es sind inzwischen zehn Jahre vergangen, seit er jenen Bericht des Seefahrers las — zwei neue Pflaumensorten, die alle Erwartungen übertreffen und die er selber einen „zur Wirklichkeit gewordenen Traum“ nennt. Aber damit gibt er seine Bemühungen um die Pflaume noch immer nicht auf, und es erregt ungewöhnliches Aufsehen, als ihm eines Tages die Züchtung einer Pflaume ohne Stein oder fast ohne Stein gelingt, gewonnen aus einem Ableger, den ihm ein Mitarbeiter aus Frankreich sendete. Auch an der Kirsche, der Birne, der Kastanie, der Weinrebe, am Mais und Verschiedenen Gemüsearten kann er immer neue züchterische Erfolge verzeichnen. Dem gegenüber mag es wohl von minderer Bedeutung sein, wenn er auch den Blumen, Gräsern und Ranken unentwegte Aufmerksamkeit schenkt, wenn er etwa das bescheidene Gänseblümchen zu den fast mannshohen, herrlichen Blütenoüschen der „Shasta Marguerite“ entwickelt oder mit der „Burbank-Rose“ überrascht, die das ganze

Jahr blüht. Die Kataloge seiner Neuschöpfungen von 1893 bis 1901 zeigen ihn auf der Höhe seiner Tätigkeit, in diesen acht Jahren züchtet er nicht weniger als siebenhundert verschiedene Varietäten.

Er selbst hält für das wertvollste Geschenk, das er seiner Heimat und der ganzen Menschheit zu hinterlassen gedenkt, offenbar den stachellosen Kaktus, dessen Züchtung ihm nach unendlicher Mühe gelingt. Von der Überzeugung ausgehend, daß der Kaktus von Anbeginn noch keine Stacheln getragen, sondern sich erst allmählich mit ihnen bewaffnet habe, als ihm völlige Ausrottung durch das nahrungssuchende Tier drohte, bringt er die Pflanze zur Rückentwicklung in ihre Urform, er gewöhnt dem Kaktus sozusagen seine Stacheln wieder ab, doch erlebt er es nicht, daß die Eigenschaft der Staehellosigkeit zuverlässig erbbeständig wird, es erfolgen immer wieder Rückfälle in die uralte Gewohnheit. Seiner Meinung nach wird es aber beharrlich fortgesetzten Bemühungen eines Tages doch glücken, daß diese unglaublich lebenszähe Pflanze die Wüsten in fruchtbares Land verwandeln und gewaltige Mengen hochwertigen Futters liefern wird. Wenn Burbank zerschunden und zerkratzt von seinen Arbeiten an den Kakteen heimkommt, gleicht seine Haut einem Nadelkissen und starrt sosehr von Stacheln, daß er sie nicht einzeln herausziehen kann, sondern sie von Händen und Gesicht wegrasieren oder mit Schmirgelpapier wegreiben muß.

Bald ist es bekannt, daß man bei Burbank auch neue Pflanzensorten mit bestimmten Zuchtzielen in Bestellung geben kann. Er hält sich dann gewöhnlich einen Tag und eine Nacht Bedenkzeit offen. Hat er aber einmal zugesagt,-so kann man sich auf ihn verlassen. Der amerikanische Konservenfabrikant, der eine kleine, süße, saftige Zuckererbse für Einmachzwecke wünscht, wie er sie immer um teures Geld aus Frankreich beziehen muß, weil sie in Amerika durchaus nicht gedeihen will, bekommt sie schon nach zwei Jahren, obwohl deren sechs ausbedungen waren, denn zu Burbanks eigener Überraschung ermöglicht ihm das glückliche Klima Kaliforniens, alljährlich zwei Generationen von Versuchserbsen zu ziehen.. Der japanische Seidenraupenzüchter, der einen ergiebigeren Maulbeerbaum bestellt hat, erhält einen, der doppelt soviel Laub für die Raupenfütterung liefert, wie die bisherigen Sorten. Auch jenem Manne kann geholfen werden, jenem Plantagenbesitzer, der innerhalb von neun Monaten 20.000 Pflaumenbäume benötigt, die ihm alle Baumschulen des Landes zusammen nicht liefern können. Burbank hat sie auch nicht, aber er zieht aus der raschkeimenden Mandelnuß sofort geeignete Unterlagen, die alsbald durch eine Menge fachkundiger Leute mit Pflaumenaugen okuliert werden können, so daß nach einem weiteren, besonders erdachten Verfahren in der festgesetzten Frist tatsächlich die Riesenmenge von Pflaumen-stämmchen fertig ist.

Immer wieder stöbert Burbank auf weiten Wanderungen in den Bergen Kaliforniens blühende Wildpflanzen auf, die ihm für seine Züchtungsversuche geeignet erscheinen. Um sich später ihre Samen holen zu können,

kennzeichnet er sie mit kleinen Leinenstreifen, die er stets bei sich trägt. Gehen ihm diese aus, so zerschneidet er Sacktucn und Hemd, ja er nimmt notfalls auch noch seine Schnürriemen zuhilfe und wandert in offenen Schuhen mühselig heim. Freiwillige Helfer melden sich, sie sammeln für ihn Pflanzen in den hohen Gebirgen, an den Küsten und in den Wüsten fast der ganzen Welt, er bekommt Samen gesendet, die in Siedlungen von Höhlenbewohnern und in uralten Königsgräbern gefunden wurden.

Als Burbank begann, stand die Pflanzen Züchtung, wie er selber sagt, noch an ihrem frühesten Anfang. Seither ist sie eine reichverzweigte und in ansehnliche Tiefen durchdachte Wissenschaft geworden, an deren Entwicklung Österreich mit reichen Verdiensten beteiligt ist. Es ist unr nicht bekannt, ob sich Burbank bei seinen Arbeiten der Lehre Gregor Mendels bediente, der mit seinen, in der einsamen Stille des winzigen Brünner Klostergärtleins ergründeten Gesetzen von der Aufspaltung und konstanten Vererbung der Pflanzeneigenschaften den sicheren Grundstein für die gesamte Pflanzenzüchtung legte. Daß ihm diese Lehre bekannt war, entnehmen wir einer beiläufigen und befremdenderweise fast abfälligen Bemerkung in seinem Buche „Lebensernte“, in dem er allerdings Gregor Mendel als „großen Gelehrten“ gelten läßt. Das Werk Mendels verfiel bekanntlich nach seinem Tode zunächst jahrzehntelanger Vergessenheit. Dem bescheidenen österreichischen Forscher im Priesterrock blieb freilich das Hochgefühl versagt, das Luther Burbank erfüllt haben mag, wenn er, im hohen Alter durch die Landschaften Kaliforniens reisend, allenthalben in den Gärten

und auf den Feldern Früchte prangen, Ernten reifen und Blumen leuchten sah, deren Entstehen ihm zu danken war, dem „genialen Gärtner“, wie ihn der große holländische Botaniker Hugo de Vries nannte, dem „Gärtner Gottes“, wie ihn Edison anredete, dem „Zauberer im Pflanzenreich“, als den ihn seine Landsleute bestaunten.

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