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Die Atombombe und die Menschheit

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In dem leider viel zu unbekannten Roman „Zanoni“ von Bulwer erwidert der alte Weise Mejnour dem wissensbegierigen Glyn-don auf seine Fragen, „warum sind die Er-gründer und Nutznießer solch erhabener Geheimnisse so zurückhaltend und eifersüchtig im Hinblick auf die Allgemeinheit, der sie ihre Kenntnisse vorenthalten?“

„Wohl gesprochen, du echter ' Zögling menschlicher Schulweisheit! Aber versuche jetzt doch einmal, die Sache von einem tieferen Ermessen aus zu bedenken. Gesetzt, wir wollten all unser Wissen den Menschen als Gemeingut dahingehen, den lasterhaften, wie den guten — wären wir dann die Wohltäter oder die Verderber der Menschheit? Denkt euch den Tyrannen, den Lüstling, den Mörder und den Dieb und alle die bösen, mit verbrecherischen Instinkten Belasteten im unbeschränkten Besitz dieser gewaltigen und furchtbaren Fähigkeiten und Kräfte: wäre es nicht, als ob eine ganze Legion böser Geister entfesselt und auf Erden losgelassen wäre? Und denkt euch nun die Guten mit demselben Vorrecht bekleidet, in welchen Zustand würde dann die Gesellschaft und das Gemeinwesen in allen Teilen der Kulturwelt geraten? Ein Kampf der Titanen und Giganten in Permanenz erklärt, würde die unausbleibliche Folge davon sein. Die Guten, unablässig genötigt, sich zu verteidigen, die Bösen immerdar als Angreifer, und alle Missetäter stets auf neue Verbrechen sinnend, bis ein allgemeines Chaos den Zusammenbruch jeder Daseinsmöglichkeit besiegelt haben würde. Übrigens übt die Natur eine strenge, niemals versagende Aufsicht, denn sie hat grauenvolle Wächter und unüberschreitbare Schranken zwischen den Ehrgeiz des Lasters und die Erhabenheit des Wissens von der Ewigkeit und dem Übermenschlichen gestellt!“

In wahrhaft prophetischer Weise beantwortet hier Lord Lytton Bulwer die Fragen, die heute die Politik bezüglich der Geheimnisse der Atomenergie stellt. Einfach liegen die Dinge eben nicht, wie das aus den zahllosen und schwierigen Diskussionen, die in aller Welt von den besten * Köpfen über diesen Gegenstand geführt werden, deutlich hervorgeht. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß bei einer Volksabstimmung in Amerika, die das berühmte Gallup-Institut vornahm, 73 Prozent der Abstimmenden sich für die Aufrechterhaltung des Geheimnisses der Atombombe aussprachen.

Manche hervorragende Forscher, wie Professor Albert Einstein, vertreten die Ansicht, daß das Geheimnis der Atomenergie nur einer Weltregierung bekanntgegeben werden dürfe, in letzter Zeit mehren sich von berufener Seite die Stimmen, welche für die internationale Kontrolle der Atomenergie eintreten, und es wird sicherlich in den kommenden Konferenzen der Hauptgegenstand der Verhandlungen sein, wie diese Kontrolle praktisch durchgeführt werden kann und soll.

Andererseits weisen die Wissenschaftler, die an der Ausarbeitung der Erfindung selbst in hervorragender Weise beteiligt waren, mit Recht darauf hin, daß eine internationale oder besser gesagt übernationale Kommission der Wissenschaftler den wichtigen Beratungen der Politiker in entscheidender Weise beigezogen werden müßte, ja das Primat der Politik vor dem der Wissenschaft in diesem Falle nicht mehr aufrechtzuerhalten sei, wenn der Mißbrauch dieser Erfindung verhindert werden solle. Nur die Vertreter der Wissenschaft selbst sind berechtigt, eine entsprechende Kontrolle auszuüben, und nur sie haben die Möglichkeit, die Verwendung der Atomenergie in ökonomischer Weise vorzunehmen und aus ihr eine Quelle des Segens zu machen, während jede wie immer geartete Machtpolitik eine chaotische Situation für die ganze Menschheit heraufbeschwören würde.

Jener Mißbrauch der Wissenschaft, welcher im letzten Kriege zu so furchtbaren Zerstörungen geführt hat, daß noch Jahre vergehen werden, bis wir uns von den Folgen dieser Verwüstungen, von Elend, Hunger, Kälte und Obdachlosigkeit befreien werden können, darf nicht mehr vorkommen. Jene von der Wissenschaft entschleierten tiefen und furchtbaren Naturgeheimnisse dürfen nicht mehr schamlos einer Gewaltpolitik preisgegeben, sondern sollen nur unter strengster Kontrolle der Wissenschaftler, denen die Natur ihre Wunder offenbarte, in segensreiche Bahnen gelenkt werden. Das sind die Ansichten der hervorragendsten Vertreter der Wissenschaft der ganzen Welt und mit ihnen stimmen auch die einsichtsvollen großen Staatsmänner überein. Wir haben den größten Grund zur Dankbarkeit, daß es den nazistischen Verbrechern nicht gelungen ist, dit Geheimnisse der Atombombe ihren verbrecherischen Handlungen dienstbar zu machen, wenn wir hören, daß nicht viel dazu gefehlt hätte. Nun, nach der Niederwerfung der Mächte des Bösen hat die Menschheit eine unerhörte Gelegenheit, die größten Energiequellen der Welt in einem wohldurchdachten und von der Wissenschaft kontrollierten Aufbauwerk zu erschließen und humanitären Zwecken dienstbar zu machen.

Ein solcher Optimismus ist aber nur dann begründet, wenn die maßgebenden Politiker und Wissenschaftler jenen christlichen Humanismus besitzen, der als das wertvollste Erbe abendländischer Kultur angesehen werden kann. Der amerikanische Dichter Archibald M a c L e i s h hat in einem Aufsatz über „Humanismus und Glaube an den Menschen“ diese Einstellung eindringlich formuliert:

„Wenn Regierungen sich überall in der Welt' vom unerschütterlichen Glauben an die Würde des Menschen, an den Wert des Menschen als Menschen leiten ließen, so daß Regierungsentscheidungen überall in Einklang mit diesem Glauben getroffen würden und ihn bestärkten, dann könnte niemand bezweifeln, daß die Welt gut regiert werden würde, und daß der Frieden so sicher wäre, wie er in einem veränderlichen Universum eben sei kann. Der Mangel des Glauben an die wesentliche Würde und den Wert des Menschen ist es, der demokratische Regierungen untergräbt und schwächt; er macht es möglich, daß an die Stelle einer Regierung für das Volk eine Regierung von Herrsdiern im Herrscherinteresse gesetzt wird. Zweifel an Würde und Wert des Menschen bahnt den Weg für Tyranneien und Diktaturen, die keine andere Wahl haben als Krieg. Die zynische Verachtung von Wert und Würde des Menschen macht die Kriege der Diktatoren zu Kriegen um Sklaverei und Unterjochung.“ Wer das Leben der großen geistigen Pioniere der Wissenschaft betrachtet, wird finden, daß dieses oft ebenso einsam und zurückgezogen von der Welt verläuft, wie das der Mönche in den Klosterschulen des Mittelalters oder der Tempelpriester im alten

Ägypten. Schlaglichtartig beleuchtet der gegenwärtig in Wien laufende außerordentliche Film „Madame Curie“ dieses weitabgewandte' und doch mit so großen geistigen Spannungen erfüllte Wirken der ersten Entdecker der Atomenergie.

Es lohnt sich, die Entwicklung dieser Entdeckung bis zur Vollendung der Atombombe in großen Zügen zu verfolgen.

Auf die Entdeckung des Urans durch M. H. K 1 a p r o t h im Jahre 1789 vergingen nicht weniger als 100 Jahre, bis im Jahre 1896 durch H. Becquerel die Wirkung radioaktiver Strahlen von Uran-pechblende auf die photographische Platte aufgezeigt wurde. Dann setzte allerdings mit der mühevollen Isolierung des Radiums und anderer radioaktiver Stoffe durch das Ehepaar Curie im Jahre 1898 blitzartig eine ungeahnte Entwicklung ein. Kurz aufeinander folgten die Aufzeigung der X-Strah-lung durch Rutherford und die Aufstellung der Atomzerfallshypothese gemeinsam mit F. Soddy im, Jahre 1902, nachdem W. Crookes um 1900 die Aktivität des Urans abtrennen konnte.

Die erste Erörterung über das Vorhandenr sein von radioaktiven Isotopen (Elemente mit identischen physikalischen und chemischen Eigenschaften, die sich nur im Atomgewicht und den radioaktiven Eigenschaften unterscheiden lassen) wurde von S o d d y im Jahre 1910 vorgenommen. Nachfolgend waren die Untersuchungen von Aston über die Isotopen der anderen'Elmente grundlegend.

Im-Jahre 1930 beobachteten Bothe und Becker, daß aus Beryllium durch a-Strahlenbeschuß eine Strahlung ausgelöst wurde, die ein ungewöhnliches Durchdringungsvermögen besaß. Der englische Forscher Chadwick erkannte 1932, daß diese Strahlung aus Teilchen bestand, welche die Masse eines Protons, aber keine Ladung besitzen und gab ihnen den Namen Neutronen. Diese Neutronen sind allein imstande, in die hochgeladenen Kerne der schweren Elemente, wie Uran, einzudringen, da sie keine Masse besitzen. Im Jahre 1934 entdeckten

J. Curie und M.' Pols ot bei der Beschießung von Aluminium mit a-Strahlen die künstliche Radioaktivität.

Nachdem Fermi und seine Mitarbeiter durch Neutronenlagerung beim Uran künstliche radioaktive Produkte nachgewiesen hatte, die sie als Transurane deuteten, beobachteten O. Hahn, L. Meitner und F. Straßmann im Jahre 1939 bei einem grundlegenden Versuch einen Kernzerfall der Uranatome, wobei sich die neu entstandenen Elemente als radioaktiv erwiesen.

Nach einer anfänglich falschen Ausdeutung im Sinne der. Transurane stellte sidi heraus, daß hier ein vollkommen neuer Kernzerfall vor sich ging, wobei sich aktive Isotope der Edelgase Krypton und Xenon und solche von Barium und Strontium feststellen ließen. Weiters fand man, daß diese radioaktiven Edelgasisotope unter Aussendung von i -Strahlung einerseits in Rubidium, Strontium, Yttrium und Zirkonium, andererseits in Cäsium, Barium, Lanthan, Cer und Praseodym zerfielen und bei diesem Zer- 1 spaltungsprozeß immer wieder neue Neutronen entstanden, die neuerlidi Urankerne spalteten, wobei wiederum Neutronen ff ei wurden.

Das ist die sogenannte Kettenreaktion, bei der ungeheure.thermische Energien frei werden, die zu einer Atomexplosion im wahren Sinfte des Wortes führen. Wesentlich ist dabei, daß diese Reaktion nur bei dem Uran-isotop Actino-Uran mit der Massenzahl 235 ausgelöst werden kann. Wenn man bedenkt, daß dieses Isotop im. gewöhnlichen Uran nur in einer Menge von 0,72 Prozent vorhanden ist, so wird man verstehen, daß große Mengen der Rohrprodukte notwendig sind, um den wesentlichen Bestandteil einer Atombombe herzustellen. Dabei kann als Neutronenquelle zur Auslösung des Prozesses die Strahlung eines Poloniumpräparates auf ein Lithiumpräparat benützt werden.

Viele raffiniert durchdadite Arbeitsvorgänge, wie die Abbremsung der Neutronen durch schweres Wasser bei tiefen Temperaturen und andere waren ■ notwendig, um diesen Ketten Vorgang in einer Atombombe praktisch zu verwirklichen. Wenn man die ganze Entwicklung überblickt, so muß man die gigantische Leistung — zusammengesetzt aus Einzel- und Gemeinschaftsarbeit der Wissenschaftler derversdiiedensten Länder —r-bewundern. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß auch unser ös t e r r e i c h einen nicht unwesentlichen Beitrag für die Erforschung der radioaktiven Stoffe geleistet hat, da dem Ehepaar Curie für seine Arbeiten zwei Waggon Uranpechblenderückstände aus dem Bergbau Joachimstal durch die Vermittlung des berühmten Geologen Ed. Su e ß, des damaligen Präsidenten der Wiener Akademie der Wissenschaften kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Auch war die in Wien gebürtige Physikerin L.“ M e i t n e r als Mitarbeiterin von O. Hahn maßgebend bei den E nt deckungen des Uranzerf alls beteiligt. Sie war es, die das Tatsachenmaterial an den dänischen Nobelpreisträger Nils Bohr weitergab, der dann die. Ausarbeitung der Atombombe zusammen mit englischen und amerikanischen Physikern vollenden konnte. Wir wollen der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Atomenergie für die. Menschheit den Beginn einer neuen Epoche von .Energieverwertung bedeutet, die dazu dienen wird, aus den Ruinen des letzten Krieges wieder blühendes Leben wachsen und gedeihen zu lassen. Dazu ist nicht nur die Zusammenarbeit der Wissenschaftler der ganzen Erde notwendig, sondern auch die Einsicht der maßgebenden Politiker der Gegenwart im Sinne eines christlichen Humanismus.

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